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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dem stillen Familienleben auch den Vorzug vor den Freuden der Welt, so war er doch der richtigen Ansicht, daß eine Familie früher oder später ihrer bedarf. Und dann sah er mit Stolz, wie man seiner reizenden Gattin huldigte, die an Schönheit und Liebenswürdigkeit alle Damen überstrahlte.

Es war gegen Ende des Sommers. Ein heiterer Septemberabend hatte sich auf die herrliche Landschaft herabgesenkt, und die Ruhe der Nacht begann sich über der Besitzung auszubreiten. Ludwig stand mit seiner Gattin an der Wiege des kleinen Friedrich. Die Freude über den reizenden Knaben, der ruhig schlafend in den weißen Kissen lag, durchbebte die Herzen der Aeltern. Innig umschlungen standen sie da und lauschten auf das leise Athmen des kleinen Schläfers.

„Ludwig,“ flüsterte Henriette, „ist unser Kind nicht ein Engel?“

Er schloß sie in seine Arme und flüsterte zurück:

„Dem Himmel können nur Engel entsteigen, und Du bist mein Himmel, Henriette, meine Vorsehung, mein Leben!“

Sie lehnte ihr Gesichtchen, das in diesem Augenblicke von einer überirdischen Schönheit zu sein schien, an seine Wange. Ludwig fühlte, wie ihr Herz an dem seinigen klopfte„ wie der würzige Hauch ihres Mundes sein Gesicht fächelte.

„O, könnte ich Dir Alles sein, was Du soeben ausgesprochen!“ rief sie leise. „Ich lebe ja nur für Dich und für unser Kind. Nun,“ fügte sie mit einem Lächeln unter Thränen hinzu, „ich werde mich wenigstens bemühen, durch Liebe und Ergebenheit Dein Glück zu fördern. Bleibt das Resultat hinter meinen Bemühungen zurück, so habe Nachsicht, Ludwig – –“

Er schloß ihr durch einen leidenschaftlichen Kuß den kleinen, blühenden Mund.

„Henrtette,“ rief er dann, „sprich nicht weiter, Du tödtest mich!“

Sie hing sich an seinen Hals; er umschlang sie mit beiden Armen und trug sie zu dem Sopha. Nachdem er sie langsam auf das schwellende Polster gesetzt, ließ er sich zu ihren Füßen nieder, ergriff ihre Hände und sah zärtlich zu ihr empor.

„Bist Du nun ganz glücklich, Ludwig?“ fragte sie leise.

„Ich bin es, und daß ich es bin, danke ich Dir. Ich wiederhole es, Henriette, mein Reichthum wäre mir ohne Dich Nichts gewesen, und gern würde ich ihn hingegeben haben, wenn ich mir dadurch Deinen Besitz hätte erkaufen müssen.“

„O mein Freund, Du kommst schon wieder auf Annahmen, wie einst in der Laube, als die Würfel über unser Schicksal geworfen wurden. Vertrauen wir, wie bisher, dem Sterne unserer Liebe und wahren wir uns das Glück für die Zukunft in der eigenen Brust. Du bist gut, Du bist großmüthig, Ludwig, unaere Freunde achten Dich und suchen Dich auf – bedürfen wir noch einer Bürgschaft für unser Glück und das unseres Kindes? Die Vorsehung allein kann uns dessen berauben, was wir besitzen. Sieh’, Ludwig, Du sagtest mir, daß ich für Dich das schönste Weib auf der Erde sei – ich glaube Dir, mein lieber Freund, ja ich glaube Dir, weil es mich glücklich macht, denn Du wirst aufrichtig und wahr von dem schönsten Weibe der Erde geliebt. Und ich bin stolz auf diese Liebe, ich halte mich bestimmt, nur dieses eine Gefühl zu empfinden. Sieh’ dorthin,“ fügte sie hinzu, indem sie auf die Wiege blickte, „dort schlummert unsere Zukunft, und können wir leugnen, daß sie noch große und reiche Schätze birgt?“

Sie strich sein dunkles Haar zurück, und drückte einen langen Kuß auf seine Stirn. Nach einer halben Stunde traten sie noch einmal zu der Wiege und flüsterten mit dem kleinen Schäfer, als ob er die an ihn gerichteten Worte verstände. Dann verließ der Baron seine junge Gattin, nachdem er sie zärtlich geküßt.

„Henriette hat Recht,“ rief er aus, als er allein auf seinem Zimmer war; „ich bin der glücklichste Mensch auf dieser Erde, und es ist thöricht, mir durch abgeschmackte Annahnmen das Leben zu verbittern. Auf meiner Seele haftet kein Vorwurf, ich kann getrost zum Hinnnel emporblicken, und Gott wird mich schützen!“

Er stand im Begriffe, Bob, seinen braunen Kammerdiener zu rufen, als sich auf dem Pflaster im Hofe Hufschläge vernehmen ließen. Es war nicht weit mehr von zehn Uhr, wer konnte so spät noch einen Besuch abstatten? Ludwig trat rasch zum Fenster und öffnete es. Da hörte er Heiligenstein’s Stimme, die nach dem Gutsherrn fragte. Ludwig’s hatte sich ein leichter Schrecken bemächtigt, aber die Stimme des Freundes beruhigte ihn wieder. Er schloß das Fenster und eilte auf den Corridor hinaus. Heiligenstein, mit Staub und Schweiß bedeckt, trat ihm entgegen. Arm in Arm gingen die beiden Männer in das Zimmer zurück.

„Sie kommen spät, Freund, und in einer Aufregung, die mich auf wichtige Nachrichten schließen läßt,“ sagte Ludwig in einer Befangenheit, die Heiligenstein nicht entging. „Was bringen Sie?“

Heiligenstein legte Hut und Reitpeitsche ab. Der Baron erschrak über die Exaltation, die sich in den Zügen des Freundes aussprach, des Freundes, der stets nur in ruhiger Heiterkeit sich ihm genähert hatte.

„Sind wir ungestört?“ fragte ängstlich der Edelmann.

„Warum? Warum?“

„Tragen Sie Sorge, mein Freund, daß uns der Oberst und Ihre Gattin nicht überraschen, ich habe Ihnen allein wichtige Eröffnungen zu machen.“

„Mir allein?“ fragte Ludwig, indem er erbleichte.

Heiligenstein schob den Riegel vor die Thür, ergriff die Kerze und führte den Baron in das angrenzende Schlafgemach. Hier ließen sich Beide auf einem kleinen Sopha nieder.

„Ludwig,“ begann der Edelmann, „ich bin Ihr Freund, Ihr väterlicher Freund, und daß meine Freundschaft eine wahre, eine aufrichtige ist, glaube ich nicht nur bereits bewiesen zu haben, ich werde es auch jetzt noch darthun, denn ich schätze und liebe Sie. Aber sind auch Sie stets wahr und offen gegen mich gewesen? Haben Sie mir Nichts aus Ihrer Vergangenheit verschwiegen? Bei dem großen Gotte, Ludwig, der Sie so wunderbar geführt hat, die Zeit ist gekommen, wo Sie jede Falte Ihres Herzens öffnen müssen, wenn Sie nicht ein namenloses Unglück allen denen zuziehen wollen, die Ihnen nahe stehen und Sie lieben.“

Der Baron hatte mit Mühe seine Fassung wiedererlangt. Heiligenstein faßte ihn scharf in’s Auge; unwillkürlich zuckte er zusammen, als er den innern Kampf des Barons gewahrte, der sich in seinen bleichen Zügen abspiegelte.

„Sie sprechen so ernst und feierlich,“ sagte Ludwig, „als ob es sich um ein Verbrechen handelte.“

„O, die Sache ist so ernst, mein armer Freund, daß ich Sie bitten muß, anzunehmen, es handelt sich um ein Verbrechen.“

Ludwig ergriff die Hand des Edelmanns.

„Heiligenstein,“ sagte er mit bewegter Stimme, „Sie sind mein Freund, Sie kennen mich, und können mich eines Verbrechens für fähig halten? Anstatt mich zu vertheidigen, wenn Neid und Feindschaft ihre Arme nach mir ausstrecken, kränken Sie mich durch einen furchtbaren Verdacht. Mein Gewissen ist frei von jedem Vorwurfe, und ich schwöre zu Gott, dem ich mein unendliches, überschwengliches Glück verdanke, daß ich wissentlich keinem Menschen in der Welt ein Unrecht zugefügt habe. Mein Vermögen verdanke ich meinem Muthe und meiner Thätigkeit; kein Seufzer, keine Thräne beeinträchtigt mir den ruhigen Besitz desselben.“

„O, mein Gott,“ unterbrach ihn Heiligenstein, „ich wollte Sie nicht kränken! Es ward mir schwer, die Einleitung zu dieser Unterredung zu treffen, die ich Ihnen als Freund nicht erlassen kann. Ludwig, ich glaube Sie genug vorbereitet zu haben – lesen Sie selbst, und erlassen Sie mir jede weitere Erklärung. Diesen Brief brachte mir vor einer Stunde ein Courier aus der Residenz; er kommt von einem Verwandten, der einen hohen Posten bei dem Criminalgerichtshofe bekleidet. Lesen Sie, und Sie werden mein Benehmen erklärlich finden und entschuldigen.“

Der Baron entfaltete das Papier und las:

„Mein lieber Vetter! Ihre Beziehungen zu der Familie Nienstedt sind durch die Rückkehr des jungen Barons freundschaftlicher geworden, als je. Ich weiß, daß jeder Schlag, der jene trifft, auch Sie berührt, denn Sie betrachten sich als ein Glied derselben, um das Andenken an Ihre verstorbene Braut zu ehren. Es ist betrübend, eine geachtete Familie plötzlich am Rande des Abgrundes zu sehen, und ich halte es für Pflicht, Sie von einer Denunciation in Kenntniß zu setzen, die auch Sie in den Criminalprozeß verwickeln kann, der dem jungen Baron von Nienstedt droht. Sie erinnern sich, daß dem Freiherrn von Erichsheim kurz vor seinem Tode, also vor sechzehn Jahren, bedeutende Werthpapiere entwendet wurden, und daß alle Nachforschungen kein Resultat ergaben. Vor acht Tagen erschien der Rechtsanwalt der Wittwe von Erichsheim und reichte eins von den Papieren ein, die um jene Zeit dem Freiherrn entwendet wurden. Zwar hat es weiter keinen Werth, aber es ist von der Hand des verstorbenen Freiherrn geschrieben und befindet sich mit auf der Liste, die der Beraubte auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_047.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)