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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 4. 1856.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Vorurtheile.
(Fortsetzung.)


„Herr Baron,“ sagte der Greis, „Ihr Rechtsanwalt hat die schwierige Angelegenheit zu einem gedeihlichen Ende geführt. Genehmigen Sie die Punkte, die ich mit ihm zu verabreden gezwungen war, so kann ich den Willen meiner Tochter mit gutem Gewissen sanctioniren.“

„Ich genehmige Alles, Alles,“ rief Ludwig, „denn Heiligenstein ist mir ein väterlicher Freund, er besitzt die ausgedehnteste Vollmacht.“

„Und Du, Henriette?“

Sie reichte dem jungen Baron die Hand und trat mit ihm zu dem Vater.

„In Gottes Namen!“ rief der greise Oberst. „Und Du, alter Freund,“ fügte er gerührt hinzu, indem er zum Himmel emporblickte, „gieb wie ich deinen Segen zu einer Verbindung, die unabhängig von allen äußern Einflüssen geschlossen ist. Mein ältestes Kind ward ein Opfer der Verhältnisse, ich hege die frohe Zuversicht, daß meine Henriette in der Wahl ihres Herzens glücklich sein wird!“

Gerührt kehrten Alle in das Zimmer des Obersten von Eppstein zurück. Hier erzählte Ludwig die Scene mit den Erichsheim’s. Die drei Männer hielten eine kurze Berathung. Es ward beschlossen, daß Ludwig der Freifrau am nächsten Morgen einen Besuch abstatten und bei dieser Gelegenheit die Geschäfte seines künftigen Schwiegervaters ordnen sollte. Nach Tische unternahmen die Liebenden eine Landparthie, und der Oberst und Heiligenstein begleiteten sie. Ludwig stand auf dem Gipfel seines Glücks – als er am Abend schied, trug er den Verlobungsring Henriette’s am Finger.


VI.

Am folgenden Tage begab sich Ludwig zu der Freifrau von Erichsheim. Die alte Dame war überrascht, aber sie empfing den Besuch stolz und mit kalter Artigkeit,

„Sie wollen meinen Sohn sprechen?“ sagte sie.

„Zunächst bitte ich die gnädige Frau um eine kurze Unterredung.“

„Mich, Herr Baron? Zählen Sie auf eine Vermittlung des Ehrenhandels mit meinem Sohne, so muß ich im Voraus bitten, mich zu verschonen, denn – –“

„Verzeihung, gnädige Frau, ich bin gewohnt, meine Ehrenhändel selbst auszufechten; mein gegenwärtiger Besuch hat einen andern Zweck, er betrifft eine Geschäftssache.“

Nachdem die Dame dem jungen Baron einen Stuhl angedeutet, ließ sie sich mit der Würde einer Königin auf dem Sopha nieder. Ungezwungen nahm Ludwig ihr gegenüber seinen Platz.

„Gnädige Frau,“ begann er, „Sie haben diesen Morgen dem Obersten von Eppstein das Kapital gekündigt, das Sie auf seinem Gute Nienstedt stehen haben. Dieses Kapital ist Ihnen nicht nur durch die erste Hypothek genannten Gutes gesichert, Sie besitzen über dieselbe Summe auch noch einen Wechsel.“

„Ah, das ist es!“ flüsterte höhnend die Freifrau.

„Ja, das ist es, Madame !“

„So sind Sie der Negociant des Herrn Obersten?“

„Ich bitte, nehmen Sie mich als solchen.“

„Nun gut, so sagen Sie ihm, daß ich nach acht Tagen zunächst von dem Rechte Gebrauch machen würde, das mir der Wechsel giebt. Noch heute,wird mein Rechtsanwalt Auftrag erhalten – –“

„Ersparen Sie sich diese Mühe, gnädige Frau; ich komme im Auftrage des Herrn Obersten, um den Wechsel, sofort einzulösen. Dieses Portefeuille enthält die volle Summe in guten Staatspapieren.“

Der Baron holte ein Taschenbuch hervor und behielt es in der Hand. Fast bestürzt sah es die Freifrau an.

„Dieser Umstand würde das Geschäft allerdings vereinfachen,“ sagte sie mit einem verlegenen Lächeln. Demnach würde ich meinem Rechtsanwalt nur Auftrag zu geben haben, das Kapital gegen die Papiere einzutauschen.“

„Und wenn sich die gnädige Frau auf der Stelle diesem Geschäfte unterzöge?“

„Dies ist unmöglich, da ich die betreffenden Papiere nicht bei mir führe. Aber zählen Sie darauf, in acht Tagen wird das Geschäft beendet sein. Wo hat sich mein Geschäftsträger einzufinden?“

„Auf dem Gute Nienstedt.“

Ludwig verbarg sein Portefeuille und erhob sich. Die Freifrau verließ ebenfalls ihren Platz. Man grüßte sich gegenseitig sehr artig, und der Besuch entfernte sich. Frau von Erichsheim war in der Mitte des Zimmers stehen geblieben.

„Verdammt,“ zischte sie, „so wäre mir das letzte Mittel entrungen, mit dem ich den alten Schwachkopf meinem Plane geneigt machen konnte! Armer Ignaz, die schöne Henriette ist für Dich verloren. Und wer trägt die Schuld daran? Wer zerstört alle Hoffnungen, alle Aussichten auf einen glücklichen Erfolg? Dieser Abenteurer, dieser spekulirende Baron. Er ist uns ein gefährlicher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_045.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)