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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Noch einmal Verzeihung, Henriette! Wer wie ich liebt, sieht in dem kleinsten Umstande Gefahr, er zittert für sein Heiligstes bei jeder dunkeln Wolke. Die Saison naht sich ihrem Ende, die Ereignisse drängen zu einem Ziele hin, und wenn wir uns trennen müßten, ohne daß eine definitive Entscheidung stattgefunden – Sie haben tausend Rücksichten zu nehmen –“

„Aber keine, mein lieber Freund, die mich bestimmen könnte, mein Herz völlig unbeachtet zu lassen. Ich habe den Muth gehabt, Ihre Betheuerungen anzuhören, ich habe Sie aufgefordert, dem Freiherrn von Erichsheim entgegenzutreten – ich werde auch den Muth haben, meine Neigung offen zu bekennen, jetzt, da ich weiß, daß der Baron von Nienstedt meinem Vater das ist, was er ihm sein soll. Ich verhehle es nicht, daß nur ein blendender, künstlich erzeugter Schimmer uns umgiebt, daß ich ein armes Mädchen bin, wenn die Verhältnisse schwinden, die diesen Schimmer erzeugen.“

„O, mein Gott,“ rief Ludwig hingerissen. „Sie beregen Dinge, die mir so fern liegen –“

„Und dennoch halte ich es für Pflicht, sie zu beregen, denn Sie dürfen über meine Person nicht den leisesten Zweifel hegen. In diesem Augenblicke entscheidet sich unser Loos, und in diesem Augenblicke will ich ganz offen sein. Ludwig, Sie schilderten mir den Eindruck, den mein erstes Erblicken auf Sie ausgeübt – dieselben Empfindungen bemächtigten sich meiner, als ich Sie, den Fremden, zum ersten Male auf dem Schlosse Nienstedt sah. Sie folgten uns in das Bad, und ich entzog mich Ihrer Annäherung nicht, da sie einem Gefühle entsprach, das ich bis dahin nicht gekannt hatte, und ich bekenne es, mich glücklich machte. Mein Vater entdeckte mir nun die Absicht der Erichsheim’s, mit Schaudern gedachte ich des traurigen Schicksals meiner ältern Schwester, und Ludwig, der nicht ohne mich leben zu können schwur, ward mir ein Trost, eine Stütze, denn Alle hatten mich verlassen, man wollte mich rücksichtlos den Verhältnissen opfern. Sie wissen es,“ fügte sie flüsternd hinzu, „ich barg dem Vater das Geheimniß meines Herzens, um gegen ihn und seinen Plan zu conspiriren. Vielleicht war dies ein wenig leichtsinnig, aber ich bauete fest auf den ehrlichen Charakter, der sich so offen in Ihren Zügen ausspricht und glaubte den Versicherungen, daß ein Standesunterschied zwischen uns nicht obwalte. Der Ball bei dem Fürsten gab mir die Gewißheit, daß ich mich nicht getäuscht hatte, und als ich Ihren wahren Namen hörte, ward mir die Vorsicht erklärlich, die Sie anwendeten.“

„Henriette,“ rief Ludwig, „ich wäre sicher ein Fremder geblieben, würde unzweifelhaft mein Incognito bewahrt haben, hätte mich die Liebe nicht zu Ihren Füßen festgebannt! Ich begriff, daß meine Abkunft die einzige Waffe war, mit der ich Sie vertheidigen konnte –“

Sie reichte ihm verschämt lächelnd die Hand und flüsterte:

„Huldigen wir den Vorurtheilen, da das Glück meines armen Vaters davon abhängt. Ich habe Sie geliebt, ehe ich Ihren Stand kannte, und Sie müssen überzeugt sein, daß meine Neigung keine bedingte ist.“

„O, mein Gott, Henriette, ich habe nie daran gezweifelt!“

„Und dennoch erblicke ich eine Wolke auf Ihrer Stirn, die Ihr Glück zu trüben scheint. O, sprechen Sie sich offen aus, diese Stunde darf nicht vergehen, ohne daß der kleinste Zweifel beseitigt wird. Woran denken Sie?“ fragte sie zärtlich, indem sie ihre kleine Hand an seine glühende Stirn legte. „Theilen Sie sich mir mit, vielleiht kann ich Sie beruhigen.“

„Henriette, ich denke an einen Umstand, den der Zufall hätte fügen können.“

„Nennen Sie mir diesen Umstand.“

„Wenn es mir nun nicht vergönnt gewesen wäre, einen Stammbaum aufzuzeigen? O, meine Geliebte, sagen Sie mir, was wäre mein Loos gewesen?“

„Sie gehen zu weit, Ludwig!“ antwortete sie lächelnd und erröthend. „Auch ich habe mir diese Frage in jener Zeit der Ungewißheit vorgelegt –“

„Und was antworteten Sie sich darauf?“

„Ich vertraute dem guten Genius der Liebe, und, wie Sie sehen, hat er mich nicht getäuscht. Warum soll ich jetzt noch an Dinge denken, die mir nur Qual bereiten? Ich liebe Sie, Ludwig, und dieser eine Gedanke füllt mein ganzes Herz aus, daß für andere kein Raum mehr darin ist.“

Hingerissen ergriff Ludwig ihre beiden kleinen Hände und drückte sie an seine Lippen. Henriette legte ihre Wange an seine Schulter, als ob sie ihr glühendes Gesicht verbergen wollte. Ein Geräusch von Schritten schreckte die Liebenden empor. Als sie aufsahen, stand die bleiche Freifrau von Erichsheim am Eingange der Laube; der blonde Ignaz hielt den Arm seiner Mutter in dem seinigen Mutter und Sohn schienen sprachlos vor Erstaunen zu sein. Henriette war nur überrascht, sie erhob sich und grüßte durch eine leichte, anmuthige Verneigung.

„Man sagte uns, daß der Oberst von Eppstein hier bei seiner Tochter sich befände,“ begann die alte Dame mit zitternder Stimme.

„So hat man Ihnen die Unwahrheit gesagt, gnädige Frau,“ antwortete Henriette so ruhig, als ob der Besuch sie durchaus nicht belästige. „Mein Kammermädchen wußte, daß der Herr Baron von Nienstedt mir Gesellschaft leistet, und ich habe durchaus keinen Befehl gegeben, mich zu verleugnen. Mein Vater befindet sich in seinem Zimmer und hat Geschäfte mit dem Herrn von Heiligenstein. Wollen Sie ihn sprechen, so werde ich selbst gehen –“

Die lange bleiche Frau vertrat dem jungen Mädchen den Weg.

„Ich bitte, bleiben Sie mein liebes Fräulein!“ sagte sie spöttisch lächelnd. „Nach dem tête-à-tête, das der tüchtige Zufall uns zu belauschen gestattete, fällt der Grund des Besuches weg, den ich dem Herrn Obersten zugedacht. Der Herr Baron von Nienstedt soll sich nicht darüber beklagen, daß wir dem zärtlichen Ergusse seines Herzens auch nur um eine Minute Abbruch gethan.“

„O, gewiß,“ fügte der blonde, junge Mann höhnend hinzu, „man soll uns nicht der Zudringlichkeit zeihen, und deshalb bitte ich Fräulein von Eppstein annehmen zu wollen, daß wir durchaus keine Ansprüche aus den Beziehungen herleiten, in denen wir zeither gestanden haben.“

Henriette verneigte sich zum zweiten Male. Dann antwortete sie mit kalter Artigkeit:

„Ich habe dies seit dem Augenblicke vorausgesetzt, daß ich das Glück hatte, den Herrn von Erichsheim kennen zu lernen.“

„Wahrhaftig?“ fragten Mutter und Sohn zugleich.

„Sie werden nicht in Abrede stellen, gnädige Frau, daß ich mir das Recht frei zu handeln in jeder Beziehung gewahrt habe.“

„Eben so wenig,“ fügte die Freifrau hinzu, „daß Sie dieses Recht auch geübt haben. Wahrlich, ich kann es mit gutem Gewissen bestätigen!“

„Gnädige Frau,“ sagte Ludwig, dessen Geduld zu Ende ging, „es bedarf Ihrer Bestätigung nicht, denn Fräulein Henriette hat mir den Vorzug eingeräumt, ihrem Vater zu sagen, daß sie der Familie von Nienstedt anzugehören kein Bedenken trägt.“

Die Freifrau zuckte zusammen. Wie krampfhaft drückte sie die Spitzen ihrer schwarzen Mantille in der Hand, und dabei schleuderte sie einen furchtbaren Blick auf die beiden jungen Leute, die mit furchtloser Stirn vor ihr standen.

„Sie trägt kein Bedenken!“ zischte sie, in tiefster Seele verletzt.

„Ich verschmähe es, von Ihnen, mein Herr eine nähere Deutung dieser Worte zu fordern.“

„Aber ich verschmähe es nicht, Mutter!“ rief Ignaz. „Mein Herr,“ wandte er sich zu Ludwig, „Sie werden nicht abreisen, ohne mir Rede gestanden zu haben! Erwarten Sie bis morgen meinen Cartelträger.“

„Seien Sie gewiß mein Herr, daß ich ihn erwarte!“

Mutter und Sohn verließen rasch die Laube und verschwanden in den Gängen des Gartens. Henriette sank an Ludwig’s Brust.

„Die Entscheidung ist rascher gekommen, als ich geglaubt habe!“ flüsterte sie. „An ein Umkehren ist nicht mehr zu denken, darum schreiten Sie vorwärts, und vergessen Sie nicht, daß meine Ehre in Ihre Hand gegeben ist!“

„Ach, Henriette, ich werde sie zu wahren wissen!“ rief der Baron. „Nur mit meinem Leben erlischt die Sorge für Ihre Ehre, für Ihr Glück!“

Nach einigen Minuten erschien das Zimmermädchen. Ihr auf dem Fuße folgend der Oberst und Heiligenstein.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_036.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)