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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

setze mich also diesen Mittag in den Stand, daß ich ihn ertheilen kann. Henriette, vergiß die Ehre unseres Standes, vergiß Deinen Vater nicht!“

Der Oberst entfernte sich. Die letzten Worte hatte er in einem fast bewegten Tone gesprochen.

„Was ist das?“ fragte sich Henriette bestürzt. „Ich bin einem neuen Geheimnisse auf der Spur, und wenn mich nicht Alles täuscht, so hat jene ränkesüchtige Familie der Erichsheim’s meinen armen Vater in eine Schlinge gezogen, aus der er sich ohne Verlust seiner Ehre nicht wieder befreien kann. Der Vermögensantheil Ludwig’s an dem Schlosse ist Nichts – hier liegt eine neue Infamie zum Grunde.“

Sie zog die Glocke; die Kammerfrau erschien.

„Wo ist mein Vater?“

„Er befindet sich auf seinem Zimmer. Herr von Heiligenstein und Herr Ludwig von Nienstedt sind bei ihm.“

„So vollende rasch meine Toilette, denn man wird ohne Zweifel bald nach mir rufen!“


IV.

Wir verlassen das Putzzimmer der jungen Dame, und betreten das Gemach des Herrn von Eppstein, das durch einen kleinen Saal davon geschieden ward. Die beiden Freunde hatten sich so eben auf die Einladung des Obersten niedergelassen.

„Sie sind pressirt, Herr Oberst,“ begann Ludwig; „darum werde ich mich kurz fassen, wenn mir auch bei dem Ernste der Sache ein tieferes Eingehen wünschenswerther erscheint. Mein Besuch hat zunächst den Zweck, mich Ihnen persönlich als den Letzten des Hauses Nienstedt vorzustellen. Ich halte dies aus mehr denn einer Rücksicht für eine Pflicht, die ich nicht umgehen kann.“

„Aus mehr denn einer Rücksicht?“ fragte wie neugierig der Oberst.

„Ja, mein Herr!“

„Und die erste?“

„Weil Sie der gegenwärtige Bewohner meines väterlichen Stammschlosses sind.“

„Sagen Sie lieber: der rechtmäßige, unantastbare Besitzer des Gutes Nienstedt.“

„O gewiß, mein Herr.“ sagte Ludwig lebhaft, „denn Sie haben es mit Ihrem Vermögen erkauft, und ich müßte ein Wahnsinniger sein, wollte ich Ihnen einen Stein daran streitig machen. Ich freue mich vielmehr, daß das Stammschloß der Nienstedt’s auf eine so würdige Familie als die Ihrige übergegangen ist. Muß es mir, dem in der Schule des Lebens gereiften Manne, nicht ein beruhigendes Gefühl sein, wenn er die Orte, die alle seine Jugenderinnerungen einschließen, unter der Obhut eines Mannes weiß, der sie aus Rücksicht für seinen verstorbenen Freund heilig hält? Herr Oberst, als ich vor zwölf Jahren Europa verließ, kannte ich zum Theil die zerrütteten Vermögensumstände meines Vaters, und ich reiste mit dem festen Vorsatze ab, entweder nie, oder mit einer kräftigen Hülfe zurückzukehren. Ich kehre zurück, die Hülfe trage ich bei mir; aber der, dem sie zu Gute kommen soll, ist nicht mehr, selbst meine Schwester schlummert den ewigen Schlummer. Sie standen, was ich damals nicht wußte, da mich meine Studien fern von der Heimath hielten, mit dem alten Baron von Nienstedt in freundlichen Verhältnissen – –“

„Mein Herr, Sie wollten sich kurz fassen,“ sagte unruhig der Oberst.

„Es geschieht, Herr Oberst; ich spreche kein Wort, das nach meinem Gefühle nicht sehr wichtig wäre. O, verschmähen[WS 1] Sie nicht, mich anzuhören, denn ich bilde mir ein, daß ich vor meinem Vater stehe. Und darum muß ich mich zunächst selbst anklagen.“

„Sich selbst anklagen?“ fragte verwundert der Oberst.

„Und diese Anklage mag Ihnen den Beweis von der Aufrichtigkeit dessen liefern, was ich so eben ausgesprochen habe. Es giebt Dinge, mein Herr, die man im Leben nur einmal begehen kann, weil sie mit der Reue das Verlangen erzeugen, das Geschehene ungeschehen zu machen. Zu diesen Dingen zähle ich den letzten heimlichen Aufenthalt in dem Hause meines Vaters. Zu der beabsichtigten großen Reise bedurfte ich einiger Legitimationspapiere und vorzüglich solcher, die sich über meinen Geburtsadel aussprachen. Sie erlassen mir die Erörterung der Gründe, die mich dazu veranlaßten. Ich wiederhole es, daß mich die reinsten Absichten zu dem Unternehmen überhaupt leiteten, und daß mir Alles daran lag, meinen Vater, der mich sicherlich durch alle Mittel zurückgehalten haben würde, nicht in das Geheiumiß zu ziehen. So benutzte ich meinen letzten kurzen Besuch auf Nienstedt dazu, mich eines kleinen Packets Papiere zu bemächtigen, die dem angegebenen Zwecke entsprachen. Der Verlust derselben konnte, wie ich damals wähnte, meinem Vater nicht schaden; mir aber konnten sie in jeder Beziehung den erwarteten Vortheil bringen. Ich verließ Nienstedt, um kurze Zeit darauf nach der neuen Welt, nach meinem Eldorado, zu reisen. Nach einer langen, aber glücklichen Fahrt kam ich in Calcutta an. Ich bedurfte meiner Papiere, und unterwarf sie_der ersten, sorgfältigen Prüfung. Da machte ich die Entdeckung, daß sich ein Document unter ihnen befand, das in den Händen meines Vaters besser aufgehoben gewesen wäre. Ja, Herr Oberst, ich verwünschte meinen Leichtsinn, und würde Alles in der Welt darum gegeben haben, hätte ich das Papier sofort zurücksenden können. Dies aber war aus mehr als einem Grunde ein Ding der Unmöglichkeit, und ich suchte mich mit dem Gedanken zu trösten, daß mein Vater auch ohne dieses Papier eine Summe von 24,000 Thalern zurückerhalten würde, denn der Aussteller war mir als ein Mann von Ehre und hoher Rechtschaffenheit bekannt.“

„Wahrlich, mein Herr,“ sagte der Oberst, indem er rasch und stolz seinen Kopf emporwarf, „in diesem Punkte haben Sie sich nicht getäuscht! Es war diese Sunnne zwar nur eine Spielschuld, aber der Oberst von Eppstein zahlt alle seine Schulden mit gleicher Gewissenhaftigkeit. Verzeihung, Herr von Heiligenstein, da Sie einmal als Zeuge bei dieser delicaten Verhandlung eingeführt sind, so erlauben Sie mir, daß ich sie in Ihrer Gegenwart zu Ende bringe. Ihr Vater, mein Herr,“ wandte er sich zu dem jungen Manne, „war nicht minder gewissenhaft als ich; er verweigerte die Annahme der Schuld, da er mir meinen Ehrenschein nicht zurückerstatten konnte, und da er fürchtete, daß man ihn mir früher oder später präsentiren würde. Noch mehr, mein Herr, Ihr Vater ging in seinem Stolze und in seiner Gewissenhaftigkeit so weit, daß er die Zerrüttung seines Vermögens zu verbergen suchte und mich bat, von einer Angelegenheit ferner nicht zu reden, die nur durch den unglücklichen Schein selbst beseitigt werden könne. Was ich damals nicht begriff, wird mir in diesem Augenblicke klar: der würdige Vater leistete unter den drückendsten Verhältnissen auf eine Forderung Verzicht, von der er fürchtete, daß sie später sein Sohn mit Hülfe des Ehrenscheins gelten machen würde – ja, mein Herr, der alte Herr von Nienstedt hatte schon damals die Ehre seines Sohnes im Auge, dessen Vergehen er zwar nicht kannte, wohl aber ahnte. Es unterliegt keinem Zweifel: seine Ahnung hat ihn nicht getäuscht.“

Ludwig’s Gesicht überflammte eine dunkele Röthe; einen Augenblick vermochte er kaum zu antworten, er schien die Fassung verloren zu haben. Der Oberst stand vor ihm und sah ihn mit großen, glühenden Augen an.

„Herr von Nienstedt,“ sagte er mit kalter Höflichkeit, „Sie sehen, daß es einer weitern Einleitung nicht bedarf – ich erwarte ohne Umschweife Ihren Antrag.“

Die beiden Gäste erhoben sich. Ludwig ermuthigte sich durch einen Blick auf seinen Freund Heiligenstein, dessen Gesicht ruhig und gelassen geblieben war.

„Herr Oberst,“ begann der junge Mann ernst und fest, „ich bin allerdings gekommen, um Ihnen einen Antrag zu stellen, aber er ist anderer Art als Sie wähnen. Der einzige Vertreter der Familie Nienstedt hält es für Pflicht, jeden, auch den leisesten Makel zu erlöschen„ mit dem ein widrigcs Geschick den Schild derselben beflecken könnte. Ich bitte Sie, ein Papier zurückzuempfangen, das mein Vater nie hätte von Ihnen annehmen sollen.“

„Mein Herr!“ rief der Oberst überrascht, indem er einen Schritt zurückwich.

„Diese Erklärung“ fuhr Ludwig fort, „glaube ich Ihnen nur in Gegenwart eines Mannes geben zu können, der von den Intentionen des Verstorbenen am Besten unterrichtet ist, der sein Freund war. O, nehmen Sie es, Herr Oberst, und helfen Sie mir die Mission meines Lebens erfüllen. Und kann ich meinen leichtsinnigen Schritt – wenn ich heute das kühne Unternehmen meiner Jugend noch so nennen darf, da es durch einen herrlichen Erfolg gekrönt ward – kann ich diesen Schritt würdiger ausgleichen?

Nicht ich biete Ihnen dieses Document, sondern der verstorbene

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verfchmähen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_034.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)