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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Weihnachtsfeste im trauten Familienkreise bei dem Einen oder Andern wohl den Gedanken an Speise und Trank nicht aufkommen ließen.

Endlich, am ersten Weihnachtstage Morgens neun Uhr wurden die Anker gelichtet. Das Wetter war schön, der Wind jedoch nicht günstig. Der Transit fuhr der Küste entlang, und gegen Abend hatte er wohl schon den Kanal passirt. Plötzlich, als die meisten Leute sich schon zur Ruhe begeben, nach acht Uhr, erlitt die Maschine eine Beschädigung. Mehrere Offiziere eilten in’s Zwischendeck, die Soldaten wurden auf’s Verdeck kommandirt. Durch die Beschädigung der Maschine war das Schiff leck geworden; die ganze Mannschaft mußte abwechselnd an die Pumpen. Das Schiff schwankte hin und her, die Dampfkraft war nicht mehr zu benutzen, das Steuer versagte den Dienst. Man sagt, der Kapitain, nicht Willens umzukehren, habe das Schiff der französischen Küste wollen zutreiben lassen, wo es an den Klippen gewiß gestrandet sein würde; allein die energischen Vorstellungen des Oberstlieutenants v. Aller hatten den Kapitain endlich zur Umkehr vermocht. Der Morgen des zweiten Festtags brach heran. Das Schiff trieb mitten auf dem Meere; es brauchte nicht mehr so stark gepumpt zu werden. Der Transit konnte sich nur noch mit Hülfe der Segel bewegen.

Nun erhob sich gegen Mittag ein Sturm. Das Schiff drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Die Kapitains Schmidt und Riedel eilten in das Zwischendeck und beorderten alle Leute nach dem Hinterdeck zu. Die schäumenden Wellen spritzten über das Verdeck, die Situation war mehr als einmal kritisch. Auf dem Hinterdeck stand in seinen Wassermantel gehüllt, mit dem breitkrämpigen Hute auf dem Kopfe, der erste Schiffslieutenant, seine schrille Kommandostimme drang durch das Heulen des Windes. Die Soldaten, die am Tage zuvor von der Seekrankheit arg mitgenommen waren und die ganze Nacht hindurch angestrengt hatten arbeiten müssen, benahmen sich gefaßt und ruhig. Nach drei Uhr Nachmittags kam die kreidige Küste Englands wieder zu Gesicht. Schiff und Mannschaft konnten damit als gerettet betrachtet werden.

Aber sein Opfer hatte dieser Tag verlangt. Freilich nicht aus den Reihen der Legion. Ein Matrose stürzte während des heftigsten Sturmes aus dem Takelwerk in die See und er war natürlich rettungslos verloren.

Um fünf Uhr Abends befand sich der Transit wieder auf der Rhede von Portsmouth und warf Anker. Die ermüdeten Leute konnten der wohlverdienten Ruhe pflegen.

Der folgende Morgen bot einen prachtvollen Anblick. Unzählige Schiffe lagen zerstreut auf der Rhede, unter ihnen bedeutende Kriegsschiffe, wie der Wellington und Neptun. Auch das 3. leichte Infanterieregiment der Legion, das inzwischen an Bord gegangen war, konnte man auf einem dem Transit ähnlichen Transportschiffe bemerken. Dasselbe verließ gegen Abend die Rhede und dampfte unter Hurrahruf, während die Musikbande God save the queen spielte, am Transit vorüber. Wohin, kann ich nicht sagen. Auch der Bestimmungsort des Transit war bei der Abfahrt noch nicht bekannt.

Gegen Abend erwartete die Soldaten eine neue Qual. Sie hatten den ganzen Tag auf dem Verdeck zubringen müssen, da die untern Schiffsräume gereinigt wurden. Allmälig machte sich in Folge des vielfach genossenen Salzes ein furchtbarer Durst geltend. Der Apparat zur Bereitung des trinkbaren Wassers befand sich im Zwischendeck, wohin die Engländer, die mit der Schiffsreinigung noch nicht zu Ende waren, Niemand lassen wollten. Der Zugang zum Zwischendeck war von Durstigen besetzt, die ihren Unmuth bald genug laut werden ließen. Laute Klagen und Verwünschungen ertönten. Kaum konnten die Offiziere die Leute beruhigen. Endlich ließen sich die Engländer bereit finden, das an sich sehr wohl genießbare Wasser zu verabfolgen.

Auch am Freitag blieb der Transit unbeweglich liegen, und noch heute, am 29. December, liegt er wie festgebannt. Eine Kommission von Seeoffizieren ist am Bord und untersucht den Zustand des Schiffes. Wie es heißt, wird das Regiment auf demselben verbleiben, und morgen oder übermorgen, nachdem der Schaden gebessert, der Transit seine Fahrt auf’s Neue beginnen. Möge sie glücklicher sein als die jüngst versuchte!





Ein „sechster Sinn“ der Vögel. Audubon, der berühmte Naturforscher, schrieb eine ornithologische Biographie: Lebensschilderungen der Vögel. Darin behauptet er unter Anderem, daß die Geier und Adler sich blos vom Gesicht zu ihrer Beute führen ließen, der Geruchssinn helfe ihnen dabei gar nichts, obgleich man die für sie gedeckten Tische, Aas und Verwesung, oft Meilen weit riecht. Neuerdings hat man die Vögel genauer beobachtet und gefunden, daß sie allerdings ihre Nahrung theils riechen, theils sehen oder auch Beides zugleich, sie aber doch noch einen andern Sinn haben haben müssen, der für Fälle dient, in welchen die schärfsten Augen und Riecher nicht hinreichen. Man sagt wohl, es sei der „Instinkt.“ Aber was heißt das? Was nennen wir „Instinkt“ in den Thieren? Was wir nicht wissen. Das Wort ist blos eine Bezeichnung unserer Unwissenheit, wie viele andere gelehrte Ausdrücke, die sich immer zur rechter Zeit einstellen, wenn Begriffe fehlen. „Instinkt“ ist ein Reiz, ein Trieb, eine im Organismus auf einen bestimmten Punkt gerichtete Willensmeinung. Was erregt den Willen, den Trieb? Die Anregung muß von Außen gekommen sein, also einen „Sinn“ haben. Tauben fliegen morgens gleich frischweg und direct nach einem frisch gesäeten Acker oft Meilen weit, so daß sie das Futter weder sehen noch riechen konnten.

Wilde Enten, die in der Regel des Nachts schmausen, sind eben so schnell und sicher in Auffindung dessen, was ihnen gut schmeckt. Worin besteht in diesem Falle ihr Instinkt oder ihr „sechster Sinn?“ Der Hirsch weiß genau, wenn das Fleckchen Getreide des Schäfers im Walde reif ist und kommt nicht selten in großer Gesellschaft, um in einer Nacht die ganze Ernte zu verzehren. Alle Arten von Vögeln, was auch ihre Nahrung sein mag, besitzen eine Gabe, aus den größten Entfernungen, über welche weder Gesicht noch Geruch hinreichen, ihre Nahrung zu erwittern. Es ist dieselbe Gabe, welche die Brieftaube, mag man sie durch und durch verhüllt noch so weit tragen, sicher wieder nach Hause leitet. Wirf sie in die Luft, sie kreis’t ein paar Augenblicke und nimmt nun plötzlich schnurgerade ihre bestimmte Richtung, ohne zu schwanken oder unsicher zu werden.

Audubon erzählt vom Kreuzschnabel: „Der Scharfsinn, welcher diese Vögel sicher auf einen Punkt wieder zusammenbringt, nachdem sie des Nachts in allen Richtungen umher flogen, oft Meilen weit von einander, ist mir ein reines Wunder. Gegen Morgen zu einer bestimmten Zeit vereinigen sie sich schnell in der Luft und kommen dann erst gemeinschaftlich auf einen Ruheplatz herunter. Dieses pünktliche Versammeln oben in der Luft kann nur Folge einer den Abend vorher bestimmten Uebereinkunft sein.“

In Bezug auf das Auge der Vögel können Ornithologen mit einer noch merkwürdigeren Thatsache aufwarten. Die meisten Vögel besitzen nämlich eine außerordentliche Gabe, den Focus ihrer Augenlinsen zu verändern. Dadurch sind sie im Stande, den uns unsichtbaren, entferntesten Gegenstand eben so genau zu sehen, wie das kleines Insekt dicht vor dem Schnabel in der Baumrinde. Beobachte einmal die Herren, welche Brillen tragen, besonders ältere, weitsichtige mit convexen Gläsern. In der Ferne sucht er dich über die Brille hinweg zu erkennen, in der Nähe durch dieselbe. Gehe zum besten Optiker und sage ihm, er möge dir eine Brille machen, durch welche du weite und nahe Gegenstände gleich deutlich sehen könntest. Er wird dir sagen: Das Ding geht nicht. Er kann nicht solche Brillen machen, wie die Vögel von Natur in ihren Augen haben.

Der Mensch mit gesunden Augen hat allerdings einen weiteren Gesichtskreis, als die Vögel, aber er sieht nicht so scharf. Kapitain Roß erzählt in seinem Bericht über die Baffinsbay-Expedition, man habe bei hellem Himmel 150 englische Meilen weit nach allen Richtungen das Meer übersehen können. Wahrscheinlich kann nie ein Thier so weit sehen. Aber welch’ eine Schärfe besonders im Auge des Raubvogels! Der Adler schwebt über uns, ein bloßes schwarzes Pünktchen. Von da aus sieht er das von uns nicht vom Heiderich, worin es sich versteckt, zu unterscheidende Birkhuhn und fängt es, wie ein Pfeil herabschießend. Ein Ornithologe streute einmal kleine erdfarbige Käferchen in beträchtlicher Entfernung von einer Drossel, so daß das menschliche Auge sie auch in der Nähe nicht vom Erdboden unterscheiden konnte. Die Drossel bemerkte sie augenblicklich. Aus Aesten und Zweigen, an denen das menschliche Auge nichts bemerkt, holt mancher Vogel delikate Insekten. Das Auge des Vogels ist verhältnißmäßig von außerordentlicher Größe, und die Hornhaut convexer als an jedem andern Auge, außerdem mit einem sclerotischen (harten) Ueberzuge und einem Cirkel knochenharter Platten versehen.

Die Iris ist außerordentlich zusammenziehbar, wie man besonders an sterbenden Vögeln beobachten kann. Es dienen dazu blos sechs Muskeln, wie im menschlichen Auge. Die großen Augenballen sind bei vielen Vögeln ziemlich unbeweglich, in den Kopf der Eule sind sie wie eingeleimt, deshalb besonders stier und häßlich. Wie sich das Auge zum genauesten Erkennen der fernsten und nächsten Gegenstände immer blitzschnell einzurichten weiß, ist ein noch nicht physiologisch aufgeklärter Prozeß. Im Allgemeinen sagt man, das Auge ändere, ohne selbst an Größe zu- oder abzunehmen, die Kugelform der Krystalllinse, und vermehre und vermindere so die Kraft der Lichtbrechung. Dabei bleibt der Ausspruch des alten Schweigger in Halle immer noch richtig: „Es giebt keine dunklere Parthie in der Naturwissenschaft als die Lehre vom Lichte. In keiner Sphäre des Wissens sind wir so blind, als in der Wissenschaft des Sehens. Wir machen wohl Striche und Bogen, um den Lichtstrahl und das Auge zu zeichnen und zu demonstriren, wie das Licht einfalle u. s. w., aber wie wir sehen und sogar einsehen, ist noch nicht einzusehen. Nach der gewöhnlichsten Seh-Theorie sehen wir Alles verkehrt, die Menschen auf dem Kopfe gehend u. s. w. Vielleicht hat die Theorie gar keinen Kopf, darauf zu fußen.“



In meinem Verlage erscheint von Neujahr ab:

Aus der Fremde.
Wochenschrift für Natur- und Menschenkunde der außereuropäischen Welt. Von A. Diezmann.
Wöchentlich ein Bogen mit oder ohne Illustrationen. Preis vierteljährlich 16 Ngr.

Diese neue Zeitschrift erscheint in den Familien des Vaterlandes wie ein Weitgereister in der Heimath. Wer hörte einen solchen nicht gern erzählen von seinen Wanderungen? Sie ist die erste, die es versucht, das große Publikum über die Natur und die Menschen jenseits Europa zu unterhalten, und fügt selbst Illustrationen bei. Sie vermeidet alles Trockene und Langweilige, bringt „aus der Fremde“ stets Neues, vermehrt die Kenntnisse ihrer Leser durch Unterhaltung und wird deshalb für Jedermann von Interesse sein.

Die eben erschienene Nr. 2 enthält: Wanderungen in Süd-Australien. – Insolvente Schuldner werden Leibeigene. – Reisen und Abenteuer an der Mosquitoküste. (Forts.) – Eduard Vogel. (Forts.) – Moderne Flibustier. – Aus allen Reichen.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

     Leipzig, 5. Januar 1856.

Ernst Keil. 
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