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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

in London. Aber es war kein Fest des Krieges und der Könige, sondern ein Kulturfest der Kunst und Schönheit für das Leben des Friedens. Die modernen Priester des Vulkan und der Kerameutik, der Schmied-, Hämmer- Treib-, Gieß- und Galvanoplastik, legten den Grundstein zu einem Volkskulturtempel, in welchem dem arbeitenden Volke Wissenschaft und Kunst, Geschmack und Schönheitssinn für die Industrie gelehrt und in Vorbildern gezeigt werden soll. Die „Eisen- und Metallmeister“ hatten auf die erste Anregung 10,000 Pfund Sterling zum Aufbau dieses Tempels gezeichnet und mitten in einem erschöpfenden, entmuthigenden Kriege auch zusammengelegt, um nun zur Vollendung des ganzen Baues noch zweimal 10,000 Pfund zu geben. Das ist überhaupt ein schöner, charakteristischer Zug in England, daß die Reichen, die Großen und Götter des Staates, des Lebens und der Industrie für alle mögliche, nützliche und schöne Pläne Hand und Herz haben und so Museen und Athenäen, Schulen und Akademieen für’s Volk, zur Vereinigung der Wissenschaft und Kunst mit der arbeitenden, producirenden Hand, allenthalben freudig ohne Staat und hohe Obrigkeit aus den Mitteln freier Association emporschießen. In solchen Erscheinungen liegt die Bürgschaft für die Zukunft Englands, nicht in gewonnenen und verlorenen Schlachten, nicht in Parlamentsgesetzesfabrikation, nicht in den Minister spielenden Familien Noode und Doodle, die sich immer einander ablösen, wie in den alten Bauerwetterhäuschen, aus denen vor gutem Wetter „sie“, vor schlechtem „er“ auf einem Hundearme herausgedreht werden.

Das „Birmingham- und Midland-Institut“, wie der Tempel heißt, in welchem die schwielige Hand des Arbeiters zur Künstlerhand, der Handwerker zum Manne praktischer Wissenschaft erhoben und sein sorgenumdüsterter, ausdrucksloser Kopf mit der Freudigkeit klaren Wissens und schönen Könnens durchleuchtet werden soll, ward neulich an einem trüben Novembertage, mitten im öden Kriegsnebel, feierlich begründet. Prinz Albert, beneidenswerth, daß er nicht König geworden und deshalb als frei gewählter König aller möglichen civilisirten, nützlichen und schönen Institute und Unternehmungen der Kultur sich eben so nützlich als angenehm machen kann, warf den Mörtel zum Grundstein mit einer goldenen und künstlerisch fein getriebenen Maurerkelle, die ihm hernach als Geschenk verehrt ward. Sie ist ein Werk des berühmtesten, größten, englischen kerameutischen Instituts, der Herren Elkington, den Dichtern in Gold und Silber und Galvanoplastik, in welchem Dr. Braue, ein Deutscher, und viele andere Deutsche den Geschmack, die Aesthetik, die Schönheit vertreten. Besonders schön ist die Verbindung des Handgriffs mit der Fläche der Maurerkelle, gebildet durch zwei silberne Göttinnen, die Hand in Hand die Wissenschaft und Industrie personificiren.

Die Reden und Festessengerichte übergehen wir hier und bemerken nur noch, daß das erst begründete Bauwerk, von uns in einer Abbildung des vollendeten Gebäudes gegeben, der Zeichnung des Baumeisters entlehnt ward, der bekanntlich jedes seiner Werke theoretisch und in Zeichnung bis in’s Kleinste und Einzelnste fertig haben muß, ehe er praktisch anfangen kann. Es ist im italienischen Style gehalten, klar und einfach in seinen Formen, blos durch die Proportion und Symmetrie seiner einzelnen Theile und Linien wirkend, mit spärlichen Verzierungen an den Fenstern u. s. w., so daß diese die heitere Einfachheit des Ganzen nicht stören können. Es wird ein großartiger Tempel der Vereinigung von Wissen und That, der Erhebung industrieller Produktion in das Reich des Gedankens, der Schönheit. Als solcher wird er enthalten: Bibliotheken, Lesezimmer, Auditorien, Laboratorien u. s. w., Museen und Sammlungen von Mustern für die einzelnen Zweige der Kerameutik und der Metallgewinnung (Bergwerkskunde), Auditorien für Vorträge über Naturwissenschaften, Versammlungssäle zu öffentlichen Discussionen der Arbeiter, Gemälde- und Skulpturen-Gallerien. Ein Departement wird sich zu einer Schule industrieller Wissenschaft gestalten, mit Stunden und Klassen für alle Arten von Manufactur, Mechanik, Agrikultur, Metallurgie, Mineralogie, Geologie u. s. w., also zu einer Art von Gymnasium und Universität für das lebendige, praktische Wissen.

Wir sehen hier ohne viel Scharfblick den Weg, den die moderne Kultur und Entwickelung der Völker gehen will und trotz aller Hindernisse gehen wird, mag die Welt sich sonst in Kriegen und politischen Krisen, in socialen und staatlichen Verstopfungen und Quacksalbereien abquälen, wie sie will. England und Frankreich und Deutschland geben sich von gewissen Richtungen her die peinlichste Mühe, Stillstand oder gar „Umkehr“ zu erzwingen; aber im Ganzen und Großen und auch im Kleinsten und Einzelnsten gehen die Kinder dieses Jahrhunderts doch sicher und zuversichtlich durch Büreauschranken und Bretter hindurch, vor Warnungstafeln und gewerbenräthlichen Edikten vorbei einem großen, schönen Ziele entgegen, das wir zwar nicht Alle lebendig erreichen; aber es ist auch schon etwas werth, den Weg mit zu gehen und das gelobte Land in der Ferne schimmern und winken zu sehen, wie Moses es sah vom Berge Pisga aus, ehe er mit dem Bewußtsein starb, die in ägyptischer Sklaverei freiheitsunfähig gewordenen Kinder Israel aus dem Gröbsten herausgehauen zu haben.




Ein Belagerungskrieg zwischen Schwalben und Sperlingen.

Der fröhliche, fleißige Gast des Sommers, der den Sommer macht, von welchem ein Dichter singt, daß er die Tempel und Dächer und Balken und Friese und Ecken und Winkel, an und unter welchen er seine hängende Wohnung anklebe, heilige, und die Luft, in der er lebe, baue, brüte und zwitschere, gesünder und würziger sei, als sonst, die Schwalbe ist unter unsern häuslichen Freunden einer der gemüthlichsten, liebenswürdigsten und interessantesten. Fast überall hat man eine herzliche Pietät für die Schwalbe und ihr Nest, selbst die ungezogendsten Bauerjungen nehmen ihr Nest nicht aus, da sonst, wie die Kuhmagd mit feierlicher Miene des Glaubens versichert, die Kühe Blut milken und dem Hause und den Ställen noch andere Unglücksfälle begegnen. Ueberhaupt hüllt sich die Schwalbe in den Vorstellungen der Leute, bei denen sie ihre Sommerwohnung aufschlägt, noch gern in romantisches Mysterium. Selbst die Naturkundigen waren und sind zum Theil noch jetzt im Zweifel über ihre Winterquartiere und die Art, wie sie den Winter durchbringt.

Vor mehreren Jahren behauptete ein gelehrter und frommer Mann in einer besondern Schrift, daß die Schwalben im Monde oder einem andern kleinern, mit bloßen Augen nicht sichtbaren Trabanten der Erde überwinterten. Doch war dies den nichtfrommen Naturalisten etwas zu arg, so daß sie ihn sofort gründlich aus der gelehrten in die fromme Welt hinausbissen. Klaus Magnus war der Erste, der die sehr populär gewordene submarine Theorie aufstellte, nämlich, daß sich die Schwalben im Herbste in langen Reihen, wie an einen Faden gefädelt, in einander fügten und in’s Meer versenkten, bis das frühlingende Quaken der Frösche sie wieder aufriefe. Diese Theorie galt lange als ausgemachtes, naturwissenschaftliches Factum, selbst bei Linné und sogar bei dem größten Thiergelehrten Cuvier. Man las in gelehrten Gesellschaften authentische Berichte von Fischern, die ganze Reihen Schwalben aus dem Bette von Flüssen gezogen haben wollen. Endlich stand ein ungläubiger Deutscher, dessen Namen ich vergessen habe, mit dem öffentlich ausgebotenen Preise auf, daß er für jede solche ausgefischte Reihe Schwalben so viel pures Silber geben wolle als sie noch naß wiegen würden. Noch Niemand hat den Preis gewonnen, er ist also vielleicht noch zu haben. Die submarine Theorie verschwand aber seitdem unter den Gelehrten und fristet heut zu Tage nur noch ein gläubiges Dasein unter den Landleuten, die noch frei sind von dem „Schmerze der Erkenntniß.“ Aber wo logiren sie nun im Winter? Wahrscheinlich in Aegypten oder sonst irgendwo, wo’s im Winter Sommer ist, aber, unter uns gesagt, ich weiß es nicht.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und wozu brauche ich Wärme, wenn die Schwalbe gekommen ist? Und da ist sie eines schönen Frühlingsmorgens, des schönsten in diesem Jahre, der noch mitten im harten Winter den „theuern“ Ofen unterstützt, wenn wir daran denken, da sitzt sie auf dem Pflocke an der Stallwand und zwitschert so lustig, so Allegro, so sommerlich, daß der Bauerjunge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_695.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2023)