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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 47. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.
(Schluß.)

Draußen stürmte es gewaltig und der Wind heulte wunderlich in dem Walde. Die Bäume ächzten unter seinen heftigen Stößen und der Regen schlug plätschernd gegen die Hütte, welche indessen in dieser Nacht eine Probe bestand, die für die Vortrefflichkeit ihrer Bauart und Einrichtung das beste und gültigste Zeugniß ablegte.

Unter den beiden Holzhauern, die mehr im Dunkel der Hütte saßen und bescheiden sich zurückhielten, war jetzt ein Flüstern vernehmbar.

„Erzählt’s doch!“ hörte ich den Einen zu dem Andern sagen. Ich ergriff die Veranlassung, ihm zuzureden, und als auch mein Freund einstimmte, hob endlich ein alter Mann zu erzählen an:

„In der Stadt pflegt man zu sagen: auf dem Dorfe gehe Alles so stille und ordentlich her, daß man kaum von solchen Dingen höre, wie sie sich in der Stadt leider alle Tage ereignen. Das ist wohl nicht ganz wahr. Menschen sind überall Menschen und ihr Leid und ihre Fehler tragen sie überall mit sich herum, wie sie ihr Schatten begleitet. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich erlebt habe, die Ihnen beweisen wird, wie auch auf dem Dorfe sich Dinge ereignen, die das Menschenherz abschildern mit allen seinen Gebrechen.

Ich bin daheim, wo der Donnersberg mit seinen schönen Buchenwäldern sich emporhebt, weithin das flache Land der Pfalz überschauend. Dort lag ein kleines, von pfälzischen Landen umschlossenes Gebiet, das Nassau-Saarbrückisch gewesen ist. Sie wissen ja, wie vielherrisch es bei uns zu Lande aussah, ehe die Franzosen das Land nahmen. Meine Heimath ist ein ansehnliches Dorf in diesem kleinen Gebiete. Mein Vater war dort Holzhauer und ich folgte ihm in diesem Erwerbe, und kam durch gar mancherlei Geschicke in diese Gegend, wo ich mich verheirathete und seitdem wohne. Der hauptsächliche Beweggrund, warum ich meinen Heimathsort verließ und in die Ferne zog, war eben die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will.

Man sagt, die Rheinpfälzer seien ein leichtfertig und leichtsinnig Volk, und ich will es nicht in Abrede stellen, daß das in vielem Betrachte wahr ist. Das Leben ist lustiger, heiterer wie hier, und es geht ziemlich Alles oben drüber hin, ohne daß es tiefer unter die Haut dringt. So steht’s auch häufig mit der Gesinnung und dem Gefühle der Leute. Eine Erfahrung mag für viele reden!

In unserm Dorfe wohnte, wie ich etwa achtzehn bis neunzehn Jahre alt war, eine Wittwe, deren Mann in einem Steinbruche am Donnersberge sein Leben verlor. Er und seine Frau hatten leichtsinnig in den Tag hinein gelebt, herrlich und in Freuden, wenn sie Geld hatten, und wenn sie keins hatten, legten sie sich krumm und darbten. Da denkt man nicht an die Zukunft, nicht an die Tage, von denen es in der Schrift heißt, sie gefallen mir nicht, und wenn sie dann endlich doch kommen, kriegt man unliebe Miethsleute und Tischgenossen, nämlich Mangel und Sorgen. So war es der Wittwe ergangen. Sie mußte im Tagelohn und mit Waschen ihr kärglich Brot verdienen und ihr Kind, ein liebliches Mädchen, erziehen. Lieschen wurde freilich nicht sonderlich gottesfürchtig erzogen, denn der Sinn ihrer Mutter war allezeit geblieben, wie er in der Jugend gewesen, und – der Apfel fällt nicht weit vom Stamme; auch darin fiel er nicht weit, daß Lieschen so bildhübsch war, wie ihre Mutter einst gewesen, ja, die Leute meinten, es sei noch hübscher, als sie einst war. Leichtsinnig und gutmüthig zusammengemischt, giebt selten eine dauernd hübsche Farbe, sagt man bei uns im Sprüchwort.

Als das Mädchen konfirmirt und aus der Schule war, that’s die Wittwe Breier in die Stadt, wo es bei einer Verwandten blieb und das Nähen, Kleidermachen und Stricken lernte, und wie das Gedistel alle heißt, damit die Mädchen und Frauen sich abgeben. Der Gedanke war nicht übel, denn so sicherte sie ihrem Kinde doch den Lebensunterhalt, mochte Gott über sie etwa heute oder morgen verfügen. Aber in der Stadt war das Lieschen bei Weitem so strenge nicht gehalten, wie es bei seiner Art und Weise hätte gehalten werden sollen. Die Verwandte war eine alte, gute, kränkliche Frau. Die bekam Sand in die Augen, blauen Nebel davor und Lieschen ging Gassaden. Leichten Staub weht leichter Wind in die Höhe – kurz, Lieschen kam höchst unmuthig heim, als seine Mutter erkrankt war. Sie pflegte sie zwar getreulich, bis sie genesen war, aber nun sollte Lieschen auf dem Dorfe bleiben – das war eine bittere Arznei. Sie sollte ihr Brot selbst verdienen, das forderte Ausdauer und die hatte sie nicht, und es fehlte an Unterhaltung; denn der Anblick des wunderholden Lieschens mit den flammenden Augen fuhr wie ein Blitz in die Jungburschenherzen, und ich will es nicht leugnen, daß ich auch die Wirkung fühlte. Item, das schöne Lieschen war für mich zu alt. Auf dem Dorfe halten sich die Jahrgänge zusammen und selten greift einmal einer in den andern über. Sie sind im Umgange streng geschieden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_619.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)