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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

seines Turbans, holt seine Rohrpfeife hervor und pfeift schrill und lebendig ein munteres Lied, daß die ganze Wüste zu erschrecken scheint. Dies ist dem Kameele eine ganz erquickende, stärkende Mahlzeit. Mit beschleunigtem Schritt segelt es wieder vorwärts, immer schnurgerade nach einer vielleicht erst in acht bis vierzehn Tagen am fernsten Horizonte sichtbar werdenden Gegend. Musik und Melodie ist die Dampfkraft des Schiffes der Wüste.

Pferde, Kameele, Elephanten, Schlangen u. s. w. sind passive musikalische Genies, Musikfreunde. Die wahren activen Musikanten der Natur sind die fröhlichen Chöre, die in den grünen Baumkronen sich wiegen, die befittigten Blumen des Feldes und Waldes, die Vögel, die manchmal blos aus Stimme bestehen, die mit Flügeln und Federn bewachsen sind. Man denke nur an die liederreiche Brust der Nachigall, an die fröhlich aufschießende Rakete des Frühlings, die Lerche, welche Stunden und halbe Tage lang im blauen Aether oben ungesehen für fünf bis sechs Dörfer zu gleicher Zeit singt. Sie sind geborne Musikgenies und componiren und singen eben so genial aus eigenen Mitteln, als sie, wie Virtuosen, die Lieder Anderer nachspielen. Der Gesang der Nachtigall ist oft genug besungen und auch schon gründlich studirt worden. Schon vor 200 Jahren wies der gelehrte Kircher fünfundzwanzig verschiedene Strophen in ihrem Gesange nach, welche neuerdings Bechstein besonders classificirte und taufte. Auf der ruhlaer Vogelsingakademie unterscheidet man vierzig Arten von Finkengesang, von dem einer Primadonna bis zu dem gemeinen Choristen auf dem Pflaumenbaume hinterm Kuhstalle. Einer singt wie „doppeltes Kienöl,“ ein Anderer gleich einem „guten Bräutigam,“ ein Dritter gar, als hätt’ er „Hochzeitsbier“[1] getrunken.

Die Singvögel concertiren ohne Director und Taktstock und singen ganz nach Belieben vom Blatte weg, ohne daß man sich am sonnigsten Maimorgen im Walde über Mißtöne beklagen könnte. Das macht: sie sind harmonisch gestimmt, sie sind glücklich und gesund, voller Liebe, Lust und Leben. Das giebt schon ohne Componisten und Director Melodie, Harmonie und Takt. Die wirklichen Singvögel sollen alle in Moll singen, und zwar in G-moll. Wenigstens ist die kleine Terz, das Charakteristicum aller Molltonarten, in ihren Compositionen durchaus vorherrschend, weshalb auch alle Naturvölker, die bei den Vögeln Singstunde nehmen, ihre Nationallieder in Moll singen. Mancher Vogel versteht weiter gar nichts, als just die kleine Terz. Der Kuckuk ruft sie ab-, das Käuzchen aufsteigend, worauf sie immer wieder von vorn anfangen, wenn sie den Schnabel nicht ganz und gar halten, was bei beiden dieser Helden, die nichts weiter gelernt haben, immer sehr wünschenswerth ist. Nur der Esel, unter den Vierfüßlern das einzige wirklich musikalische Thier und überhaupt besser als sein Ruf hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten, versteht sich auf eine ganze Octave, wenn er nur nicht immer über die dazwischen liegenden Töne hinwegspränge, wie eine alte Drehorgel, der die meisten Pfeifen ausgefallen sind.

Die Nachtigall mit den fünfundzwanzig Registern in ihrer kleinen Riesenorgel von Lunge ist das größte Gesangsgenie aller lebenden Wesen, wenigstens was die Stärke und Innigkeit des Tons betrifft. Man hört sie in stillen Mainächten eine gute halbe Stunde weit, was ihr gewiß nicht so leicht die heroischste Sängerin der großen Oper nachmachen kann. Bedenkt man, daß die Lunge der großen Sängerin so groß ist, wie hundert ganze Nachtigallen zusammen, so muß man sagen, daß die Nachtigall in ihren kleinen Mitteln vielleicht 150 mal mächtiger ist, als die Primadonna mit ihren 6–8000 Thalern Gage.

Es giebt keine stummen und tauben Thiere, nur daß wir die Ohren und die Sprache vieler nicht kennen, nicht einmal bemerken. Selbst wo entschieden die Ohren fehlen, da hören sie, wo keine Lungen und keine Sprachorgane zu entdecken sind, da wird noch gesprochen und geplaudert mit Hörnern, Zähnen, Füßen, Fühlhörnern, Mienen und Gesticulationen. Warum sollten denn auch alle Geschöpfe sich just nur mit den Mitteln ausdrücken, mit denen Kaffeeschwestern und Paradepferde in „Kammern“ so viel Lärm machen? Wenn der Hund seine Zähne zeigt und der Ochse seine Hörner nach Unten einlegt, brauchen wir nicht erst lange zu fragen: Hören Sie ’mal, was soll das heißen? Wie wir den Vogel an den Federn erkennen, wissen die Vögel unter sich noch viel mehr gegenseitig aus der Miene ihres Gefieders zu lesen. Bei Andern ist es das Fell, die Haltung, der Kopf, der Schwanz (von großem Rednertalent bei dem Hunde), das Auge, das Gesicht, das ganze Auftreten und Erscheinen, welches spricht, wie noch heute bei unentwickelten Völkern, unter denen europäische Reisende nicht selten Wunderdinge und Wundereffecte ganz unmerklicher Mienenspiele und Handbewegungen bemerkten, z. B. Kopfabhacken in Folge einer Muskelbewegung im Gesichte des Häuptlings, die der Henker sah, aber kein Mensch.

Man glaubt neuerdings etwas Geistreiches zu sagen, ein Geheimniß der Natur entdeckt zu haben, wenn man behauptet, der Unterschied zwischen Thier und Mensch sei gar nicht wesentlich, und die Thiere könnten unter sich eben so deutlich sprechen, als Menschen. Das ist wohl ein gelinder Irrthum. Die Thiere haben Sprache, aber keine Worte, keine articulirten Laute. Der articulirte Laut ist das Produkt des Urtheils über den unarticulirten Laut der Natur, geläutert zum bestimmten, abgegrenzten, künstlerischen Gefäße des Eindrucks im bewußten, denkenden, urtheilenden, schließenden, abstrahirenden Menschen. Wir können in der gebildetsten Thiersprache keinen Laut finden, der sich genau in Consonanten und Vocalen wiedergeben läßt. Selbst die der Natur am Unmittelbarsten entlehnten Bezeichnungen, wie Kuckuk und Kibitz u. s. w., sind für das menschliche Organ schon etwas künstlerisch behauen und gefeilt. Und unsere Abstracta: die Wahrheit, die Liebe, die Freude, die Furcht! Das Thier kann sich freuen und fürchten, und diese bestimmte Freude, diese bestimmte Furcht sprachlich mittheilen, aber nicht in articulirten Worten, nicht in Formen der Rede, nicht in Hauptwörtern, nicht in Form von Sätzen und Gedanken. Freilich sprechen sie für ihre Kreise eben so vollkommen als wir, nur daß in diesen Kreisen noch nirgends eine Gehirnthätigkeit vorkömmt, die man nur durch articulirte, meisterhaft geformte und gefeilte Töne und grammatische und logische Tonfugen in Luftwellen übersetzen und in geschriebenen und gedruckten Worten anschaulich machen kann.

Das vollkommenste Thier hat noch nicht einmal ein ABC-Buch für die lieben Kinder, und sie brauchen auch keins, denn für’s Buchstabiren und Lesen und Aussprechen articulirter Töne, als luftiger Körper einer denkenden Thätigkeit, fehlt es ihnen in Ewigkeit an einem articulirenden Geiste, so viel Mühe man sich auch geben mag, dem Esel zu seinen zwei Buchstaben nur noch einen dritten beizubringen.

Mein „Kocki,“ den ich schon erwähnt, jedenfalls eins der gelehrtesten Thiere der Welt, spricht Englisch, wie ein Parlamentsmitglied, aber die Consonanten klingen immer noch ganz verschleiert, weil die Consonanten Köpfe, Arme und Füße zu Gedanken sind, und was er spricht, macht stets einen wehmüthigen, oft unheimlichen Eindruck, da oft alles Mögliche durch einander kömmt, wie bei dem Wahnsinnigen, dem der Apparat des Geistes, das Gehirn, beschädigt ward. In „Kocki’s“ gesundem und klaren Kopfe sieht’s immer noch nicht so richtig aus, wie in dem des unglücklichsten Bedlamiten[WS 1].

Vorhin erwähnte ich in der Klemme (auf deutsch: „in Parenthese“) das große Rednertalent des Hundeschwanzes. Statt tausender von Beispielen führ’ ich blos eins an, ein klassisches. Ist nicht die Stelle in der Odyssee des blinden Homer von dem Hunde des Odysseus eine der schönsten? Vergessen von Allen, die ihn, die er liebte, selbst verlassen von der Göttin Athene, kehrt er heim auf die Insel Ithaka und wandert, unbekannt und verstoßen, unter den unverschämten Freiern der Penelope. Niemand ahnt in ihm den mächtigen Feldherrn von Troja. Aber wie er im Hofe zu Eumäus spricht, vernimmt der lahme, abgezehrte Freund seiner Jugend, der Lieblingshund Argus, die Stimme seines Herrn. Er allein erkennt ihn an der Stimme. Wohl möcht’ er sich erheben und ihn grüßen, wie ehemals, mit ausgelassener Zärtlichkeit und freudigen, bellenden Sprüngen; aber er ist alt und schwach und ein Krüppel geworden. Sein Körper versagt ihm die Dienste des Herzens, nur mit dem Schwanze kann er noch wedeln und zärtlich die Hand lecken, die ihn streichelt und die er allein erkannte, nicht einmal Penelope. Während Odysseus sich eine Thräne aus den Augen wischt und in die Halle geht, legt sich der von Freude (die er nicht mehr in ganzer Fülle äußern kann) überfüllte Hund Argus hin und crepirt.

Aus meinen sonstigen philologischen Notizen über Thiersprachen hebe ich blos noch einige heraus, die interessant erscheinen.


  1. Auf diese Weise, nämlich durch solche Bezeichnungen, wie die angeführten, unterscheiden die ruhlaer Finken-Gesangsprofessoren die vierzig Arten von Finkenschlag.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Verrückter
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_616.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)