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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Auch ein Karlsschüler.

Skizze von Karl Wartenburg.

George Cuvier.

Es war an einem heiteren Maiabend des Jahres 1784, als eine große, mit Staub bedeckte, gelbe Landkutsche durch das reutlinger Thor hinein in die Straßen Stuttgarts fuhr. Vor dem Gasthofe zum „rothen Hirschen“ hielt der Wagen still, und nachdem der herbeigelaufene Hausknecht den Wagentritt heruntergelassen, stiegen drei Personen aus, zwei ältere Männer, von denen der eine ein Geistlicher war, und ein Jüngling – wenn man einen jungen vierzehnjährigen Menschen von wohlgebildetem Aussehen und mit klaren, geistreichen Augen so nennen will.

„Wir sind an Ort und Stelle, Georg,“ sprach der geistliche Herr in ziemlich schwerfälligem Französisch und mit unverkennbarem deutschen Accent, „der Herr Secretär wird Dich morgen zur Aufnahme in die Akademie abholen und nun Gott befohlen, mein Bursche.“

Der junge Mensch dankte in geläufigem, gutem Französisch, dem man anmerkte, daß es seine Muttersprache war und ging dann mit seinem Reisepäckchen in den Gasthof, während der Kaplan – das war der geistliche Herr – und der Secretär sich entfernten.

Diese beiden Männer waren der Kaplan und der Secretär des Herzogs Karl von Würtemberg, und der junge Reisende ein Schüler aus Mömpelgard, welches damals zu Würtemberg gehörte, der in die Karlsschule aufgenommen werden sollte. Am nächsten Morgen – es war der vierte Mai 1784 – stand der Secretär mit Georg in dem Saale der Karlsschule, wo die neuen Zöglinge in Gegenwart des Herzogs aufgenommen wurden. Nachdem mehrere Ankömmlinge dem Herzog vorgestellt und von demselben über die verschiedensten Dinge befragt worden, traf auch Georg die Reihe.

„Wie heißt er?“ redete der Herzog, den jungen Menschen scharf betrachtend, ihn an.

„Verzeihung, Eure Durchlaucht,“ nahm der Secretär, welcher Georg begleitet hatte, das Wort, „der junge Mann ist aus Montbelliard (Mömpelgard) und von französischen Aeltern.“

„So, so!“ brummte der Herzog, den Jüngling dann in seiner Muttersprache anredend.

„Mein Name ist George Cuvier, Durchlaucht,“ antwortete der Gefragte mit festem, bescheidenem Ton.

„Ah! Ihr seid der junge Schüler, von dem mir meine Frau Schwester gesagt, der junge Cuvier! Ihr habt Euch schon in Montbelliard eine Reclame gemacht, und man hat mir erzählt, daß Ihr in Mathesi und Geschichte und in den Alten tüchtige Progressen gemacht. Na! halte Er sich gut und hab’ Er Attention auf sich, ich werde mich nach Ihm erkundigen; wenn Er sich gut hält, kann Er vielleicht einmal in meinem Finanzcollegio angestellt werden. Adieu!“ Und er wendete sich, während der junge Mensch, sich tief verbeugend, zurücktrat, zu einem Andern.

Am Nachmittag dieses Tages noch erhielt George Cuvier die Uniform der Offizierssöhne der Karlsschule, die hellblaue Aermelweste mit dem Aufschlag von schwarzem Plüsch, die weißen Tuchhosen, den kleinen Militärhut, unter welchem zwei ungepuderte Papilloten an jeder Seite hervorschauten. – Bevor wir in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_611.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2023)