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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 46. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.
(Fortsetzung.)


Sie grüßten Jacob herzlich, auch Grethchen, aber sie wurde weiß wie Schnee, als er hereintrat. Auch dem Müller war es nicht geheuer. Es kam ihm vor, als habe Jacob ihm eine Hiobspost zu bringen. Er sah gerade so aus.

„Bist Du krank, Jacob?“ fragte er ihn, seine Hand drückend, die sich kalt anfühlte.

„Ach ja,“ versetzte Jacob. „Ich glaub’, ich hab’ nicht mehr weit –.“ Grethchen sah tief in ihre Tasse.

„So muß ein junger Bursche wie Du nicht reden!“ sagte der Müller, der sich wieder zurecht fand.

„Warum nicht?“ sagte darauf Jacob. „Man muß doch am Besten wissen, wie es um Einen steht. Was thu’ ich auch in der Welt? Der Gang zu Euch ist der letzte, den ich wohl thun werde,“ fuhr er fort; „und den hätt’ ich nicht gethan, wenn nicht meine Lieb’ und Anhänglichkeit an Euch so groß wäre. Ihr hörtet auch von sonst Niemanden, was ich Euch zu sagen komme. Aber es gilt das Glück Grethchens, da durft’ ich nicht mehr länger warten, wenn’s nicht schon zu spät ist, das heißt, wenn sie sich dem Jäger nicht schon verlobt hat. –“

Die Angst in des Mädchens Seele wurde noch größer bei diesen Worten; aber sie fühlte, daß sie sich ermannen müsse; es kam ihr vor, als spräche jetzt aus Jacob’s Seele der Haß, der Neid, der Grimm verschmähter Liebe und sie richtete sich stolz auf und sagte:

„Und wenn das wäre, Jacob, was ginge es Dich an?“

„Mich?“ erwiederte er mit tonloser Stimme. „Nein, mich geht’s auch gar nichts mehr an. Glaube nur, Grethchen, mit mir ist’s vorüber. Meine Hoffnungen sind todt; allein Dich geht’s an, und meine Liebe zu Dir müßte nicht die rechte, treue, ehrliche gewesen sein, wenn ich da zaudern könnte, Dich deinem entsetzlichen Schicksale ungewarnt entgegen gehen zu lassen. Du weißt nicht, was Dir droht, Du bist blind in Deiner Liebe und Deinen Vater hast Du auch blind gemacht. Der, mit dem Du umgehst, ist –“

Ehe aber das Wort über seine Lippe kam, das den entsetzlichen Schleier lüften konnte, stürzte athemlos der Mühlbursche herein und schrie:

„Ach Gott, Meister, die Mühle, ist dicht mit Landdragonern umstellt!“

Der Müller fuhr empor, als hätte ihn eine Kreuzotter gebissen. Seine Farbe wurde fahl, wie die einer Leiche; denn – was Jacob gesagt und das, was sollte das werden? Was stand ihm und seinem Kinde bevor?

„Ach, daß es so kommen mußte!“ seufzte Jacob und blickte mit Thränen in den erlöschenden Augen auf das bleiche, rathlose Mädchen.

Jetzt wurde die Thüre aufgestoßen und der Wachtmeister der churpfälzischen Landdragoner stürmte herein.

„Wo ist er?“ donnerte er dem an allen Gliedern zitternden Müller zu.

„Wer denn?“ fragte mit zitternder Stimme der Müller,

„Was? Du Hehler!“ rief der Wachtmeister. „Du weißt es nicht? - Den Schinderhannes[1] suchen wir, der bei Dir seine Herberge hat, und der Schatz Deiner saubern Tochter ist! Es ist noch im Hause, und der schwarze Peter, sein Spießgeselle, mit ihm. Sprich, wo ist er versteckt? - Er entgeht uns diesmal so wenig, wie Du und Deine Tochter!“

Das Mädchen starrte den Wachtmeister an, wie eine Wahnsinnige. Ihre Augen traten fast aus ihren Höhlen.

Der Müller wankte zurück und sank händeringend in seinen Sessel. Da nahm Jacob das Wort und legte es dem Wachtmeister aus, wie der Schinderhannes in die Mühle gekommen sei, wofür er sich ausgegeben, und wie er Tochter und Vater berückt habe, wie sie ihn nicht gekannt und wie er eben, als er in’s Haus getreten, mit dem schwarzen Peter droben im Walde verschwunden sei, wenn sie ihm eiligst nachsetzten, könnten sie ihn vielleicht noch einholen.

Der Wachtmeister ließ schnell eine Anzahl seiner Leute ihm nachsetzen, von den übrigen aber die Mühle durchsuchen. Er selbst blieb in der Stube.

Grethchen regte sich nicht. Sie glich einer Bildsäule ohne alles Leben. Der Müller bedeckte mit beiden Händen sein Gesicht. Der Wachtmeister kannte den Jacob und fragte ihn über Alles aus. Aus seinen Reden ging hervor, daß er genau wußte, was in der Mühle vorgegangen war; aber er verschwieg Manches, und stellte Alles so milde dar, daß der Müller wie Grethchen, wie es denn auch war, als Getäuschte und Betrogene erschienen.

  1. Johannes Bickler, genannt „Schinderhannes“ ist ein Räuber gewesen, dessen Bande bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts die Gegenden des Hundsrückens, der Nahe, des Gaues u. s. w. unsicher machte. Er war besonders der Schrecken der Juden, deren Zuchtruthe er war. Das Volk betrachtete ihn in günstigerem Lichte und umgab ihn mit einem romantischen Glanze. Er wurde in Mainz hingerichtet, und hat, wie andere berühmte Leute, im Brockhaus’schen Conversationen-Lexicon seine Stelle gefunden, wo unsere Leser, wenn es sie anspricht, das Nähere über ihn finden können.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_607.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)