Seite:Die Gartenlaube (1855) 595.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Die wichtigsten Momente aus der Geschichte der Architectur.

I. Vorklassische Baukunst
(indische, babylonische, persische und ägyptische Architectur).

Die Architectur oder Baukunst, obschon von allen Künsten die älteste und am Meisten in das Leben des Menschen eingreifende, erfreut sich von Seiten des Laien leider nicht derselben Theilnahme wie die Malerei und Sculptur, denen die Architectur doch erst die Bahn gebrochen hat. Ja man findet selbst in den gebildetsten Kreisen nur selten ein Verständniß derselben. Und doch steht die Architectur mit der Gesammtentwickelung der Menschheit im engsten Zusammenhange und zeigt in ihren Werken die geistige Richtung der Völker an. – Wem daran liegt, sich ein Verständniß von dieser wichtigsten aller Künste zu verschaffen, dem empfehlen wir Lübke’s Geschichte der Architectur, welche trotz ihrer Kürze doch die anschaulichste Klarheit neben lebendiger Darstellung bietet und durch 174 Holzschnitt-Illustrationen das Verständniß bedeutend erleichtert. Wir folgen in diesem Aufsatze dem Lübke’schen Werke.

Buddha’istischer Tempel.

Die Baukunst, welche man auch als gefrorene Musik und als die Darstellung des Schönen in der unorganischen Natur bezeichnet, zaubert aus starrer, todter, theils unorganischer (Steinen), theils abgestorbener organischer Masse (Holz), neue, von der Natur noch nirgends und niemals erzeugte Schöpfungen hervor, während die bildenden oder nachahmenden Künste, die Malerei und Sculptur (welche das Schöne des organischen Lebens zum Gegenstande haben), ihre Vorbilder in der Natur finden. Eine Statue, ein Portrait, eine Landschaft ahmen doch immer nur ihr Urbild nach, während eine Tempelhalle, ein Palast, ein Thurm etwas ganz Neues und ganz und gar Menschenwerke sind. – Es fing die Baukunst aber erst dann an eine wirkliche Kunst zu sein, als in dem Menschen der Sinn für Harmonie und Ebenmaaß, Ordnung und Gesetzmäßigkeit erwachte und er im Bauen nicht blos den Nützlichkeitszweck des täglichen Lebens im Auge behielt, sondern außer gemeiner Zweckmäßigkeit auch noch, natürlich nach dem Grade seiner geistigen Ausbildung, Geistiges in körperlicher Form zur Erscheinung zu bringen erstrebte. So treten die ersten, nur aus regelmäßig über einander gehäuften Steinen gebildeten Denkmäler und Altäre dem Wesen der Kunst schon weit näher als die Wigwams des nordamerikanischen Wilden, die backofenähnlichen Hütten des Hottentotten und das schlichte strohbedachte Haus unseres Landmannes. Denn bei diesen Schöpfungen alltäglichen Bedürfnisses ist von höherer, geistiger Vorstellung gar keine Rede, während dies beim Baue auch der rohesten Denkmäler und Altäre doch schon der Fall ist.

Als erste entschiedene Kundgebung der Baukunst als solcher tritt uns der Tempel entgegen; in ihm findet das religiöse Bewußtsein eines Volkes, bei welchem sich das Verhältniß zum göttlichen Wesen bereits in bestimmten Anschauungen ausgeprägt hat und für die Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend geworden ist, seinen Ausdruck. – Dem Tempel folgte dann der Herrscherpalast als bedeutsam für die Architectur; er ging aus dem Tempel deshalb hervor, weil in den frühesten Zeiten die königliche Person als oberster Priester Gottes, ja sogar als sichtbare Verkörperung desselben betrachtet wurde. – Erst in späterer Zeit übte der Tempelbau auf die Privat-Architectur, die früher schlicht und unkünstlerisch gewesen war, Einfluß aus und vermochte den Werken alltäglichen Bedürfnisses die höhere Weihe der Kunst aufzudrücken. Mit vorgeschrittener Kultur ist es nun Aufgabe der Baukunst geworden, wenn sie nicht auf der Stufe des Handwerks stehen will, allen baulichen Bedürfnissen des Lebens in künstlerischer Weise gerecht zu werden, und deshalb müssen sich auch an jedem Werke der Architectur die beiden Elemente, des Praktisch-Nothwendigen und des Idealen, deren Vereinigung erst das Kunstwerk ausmacht, nachweisen lassen. – Fast jedes Volk hat sich im Alterthume, gemäß der in ihm vorhandenen geistigen Bildung, eine eigene Architectur geschaffen, in der sich aber anfangs der Volksgeist gewöhnlich sehr einseitig und schroff ausspricht. Erst die Griechen brachten edle Harmonie und schöne Einheit in die Werke der Architectur. – Es läßt sich die Geschichte der Baukunst in folgende Epochen scheiden: I. Vorklassische Architectur, mit der indischen, babylonisch-assyrischen, persischen und ägyptischen Baukunst; II. Klassische

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_595.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)