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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 45. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.

Das Jahr 1811, erzählt mein Großoheim in seinem Tagebuche – war das schönste, gesegnetste seit fünfzig Jahren. Man meinte, es hätte seinen Winter verloren – oder der herrliche Komet, der bis in den Oktober in voller Pracht am Nachthimmel stand, hätte ihn mit seinem gewaltigen Schweife weggefegt. Tief im September gab es noch Gewitter, wie im Juli, und das war das Eigenthümliche, daß sie meist Nachts kamen; daß sie die Atmosphäre nicht abkühlten und daß ihre Regengüsse nur Nachts fielen, während am Tage die Sonne mit tropischer Kraft herabbrannte. Es war eine Jagdzeit, wie ich mich keiner aus meinem Leben erinnere. Ja, Jagdzeit! Damals ging noch der stolze Edelhirsch in den Hochwäldern des Rheinlandes, wenigstens des Hundsrückens; damals grunzten noch Rudel von Keilern, Bachen und Frischlingen durch die Waldhöhen, und das scheue Reh schreckte nicht selten in diesen schönen Waldregionen, die freilich damals die übel verstandene Forstwirthschaft und die fatale Einrichtung der sogenannten Coups über Gebühr lichtete. Die Jagd erfreute noch des Menschen Herz, wenn die Jagdzeit kam – der Hasen, Füchse und der Hühnervölker gar nicht zu gedenken, die reichlich vorhanden waren.

Ich war in jener Zeit selten daheim, und von Treib- und Kesseljagden, von Pürschgängen und Anstand völlig gesättigt, kehrte ich in der Regel spät im Jahre in die vier Wände zurück, denn die sämmtlichen Forstbeamten waren meine Freunde, und mein Schuß hatte sich einen Ruf erworben im Lande. Kein Amt band mich, keine Geschäfte lasteten auf mir, keine Kinderschaar forderte väterliche Aufsicht, keine Frau murrte über mein Ausbleiben – warum sollte ich nicht die Freuden der Jagd genießen? Jenseits des Rheins, aus den nassauischen Forsten heimkehrend, fand ich die Einladung zu den Jagden der Berghöhen, die sich vom Rheine tief in’s Land hinein ziehen. Sie kam von treuer Freundeshand, und ich folgte alsbald. –

Dort droben lag ein Forsthaus auf dem Waldgebirge, einsam und stille. Mächtige Eichen, an denen Jahrhunderte vorübergerauscht waren, standen um dasselbe herum, und der Wind spielte in ihren Wipfeln und Aeste gar oft seine schauerlich wilden Melodien auf, bei denen es sich, wenn man müde dort einkehrte, unbeschreiblich behaglich schlafen ließ. Hundegebell, Windesbrausen und das Geklapper der hohen Pantoffelabsätze der hochbetagten, aber höchst lebendigen Schwester des Oberförsters, die sich die Tracht und die strenge Sitte des vorigen Jahrhunderts treu bewahrt hatte, waren die einzigen Laute, welche die dauerndste Ruhe und Stille unterbrachen. Der Oberförster oder Garde à cheval, wie sein Titel in der verdammten Franzosenwirthschaft hieß, war ein prächtiger Mensch. Groß wie ein Riese Goliath, breitschultrig und wetterhart, wie Einer, der alle Unbill der Zeit und der Witterung ertragen gelernt von der Wiege an, brummig und knurrig anzuschauen und anzuhören, war er sanft wie ein Mädchen und gemüthlich wie eine Großmutter. Im Dienste aber verstand er keinen Scherz und als Jäger noch weniger. Ich wollte es Keinem gerathen haben, eine Kuh oder ein Altthier zu schießen statt eines Bockes! Hindernisse gab es für ihn nicht, und die Witterung mußte das Höchste ihrer dem Geschöpfe unlieben Macht entwickeln, wenn er zum Rückzuge blies.

Von ihm, dem alten Freunde, Schul- und Lebensgenossen, lag die Einladung auf meinem Tische, als ich heimkam. Dort oben hatte ich meine schönsten Tage und Stunden verlebt; dort oben war die reichste, lohnendste Jagd; dort oben lebte man frei von allem Zwange, es sei denn im Bereiche der Jungfer Ottilie, der Schwester meines Freundes, welcher Zwang aber dennoch sein Ansprechendes hatte. Was konnte mich abhalten, Waidgeräthe anzulegen, und den Gebirgsweg einzuschlagen? So trat ich denn den Gang an, zur Jagd vollständig gerüstet, von meinem trefflichen Caro begleitet und von der besten Laune. Mit allgewohnter Herzlichkeit aufgenommen, trat ich am Abende in das einsame Forsthaus, wo es so ungemein behaglich war.

Schon am ersten Abend wurden die Dispositionen gemacht, die Jagden bestimmt, und am nächsten Morgen weckte mich das Hundegebelle mit grauendem Tage, das zum Walde rief.

Wie sich Jagd an Jagd reihte und manch ernstes und komisches Abenteuer sich folgte, das ist nicht mein Zweck zu erzählen. Meine Tagebücher würden zu einer Bibliothek anschwellen. Nur die Geschichten einer Nacht will ich fesseln, daß sie mir nicht entfallen und ich auch später noch einmal sie mir zurückrufen kann.

„Heute müssen wir auf den Anstand! Ich werde dich an den besten Wechsel stellen,“ sagte eines Mittags der Oberförster. „Ich fürchte nur, daß uns diese Nacht ein Gewitter überrascht. Es sind wieder alle Anzeichen da, und dies Jahr hat wunderliche Laune bis in den Altweibersommer.“

„Thut nichts,“ sagte ich. „Kommt’s frühe, so gehen wir heim; kommt’s spät, so haben wir vielleicht unsere Jagd gemacht. Und werden wir naß, nun, so kleiden wir uns um oder legen uns zu Bette.“

„Brav gesprochen,“ sagte er lachend. „Einen dritten Fall

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_591.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)