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verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ersehnt zu werden. Nie kam sie zu dem Rufe, ein guter Nachbar zu sein. Sie war im ganzen Heere unter dem Spitznamen, „der pfeifende Dick“ (whistling Dick) bekannt. Alle, die in ihrem Bereiche arbeiteten, hielten sich Wachen, die, sobald sie den weißen Rauchbüschel auf der bestimmten Stelle des Hafens bemerkten, ein Alarmzeichen gaben, worauf sich Jeder augenblicklich in die nächste bombenfeste Höhle stürzte.

„Bombenfeste Höhlen! Das klingt stolz. Aber sie bestanden sehr oft blos in einem lebendigen Grabe, einem in die Erde gegrabenen Loche, in welchem zunächst je vier bis sechs Scharfschützen Platz nahmen, wenn sie während der Nacht vor der vordersten Schanze gegraben worden waren. Sie schützten gegen Flinten-, Kanonen- und selbst Bombenregen, wenn letztere nur so gut waren, daneben zu fallen. Nicht selten fiel aber eine mitten unter die Lebendigen im Grabe und zerschmettern sie jedesmal alle bis zur Unkenntlichkeit in zerrissene Körperfetzen. In diesen Höhlen steht immer Einer mit bereit gehaltener Büchse halb oberhalb derselben Wache, um auf Alles zu schießen, was ihm einen Schuß Pulver werth erscheint. Die unten Kauernden müssen die furchtbaren Stunden öder Langeweile mit allerlei Erfindungen vertreiben.

„Der üblichste Zeitvertreib nun in diesen Vorpostenwachhöhlen bestand darin, den Flug und Fall von Kanonen und Bomben zu beobachten, und auf deren Fall rechts oder links, vor, hinter und neben ihnen blitzschnell zu wetten, in der Regel um eine Pfeife Tabak oder, oft kostbarer, um die letzte vorhandene Pfeife.

Dies geschah mit der größten Heiterkeit, obgleich bald hier, bald da eine solche Höhle sich plötzlich in ein stilles Grab oder ein unterirdisches Lazareth verwandelte. Ich erinnere mich eines solchen Verstecks sechs Fuß tief, nicht größer, als ein runder Tisch, während des ganzen Tages von aller Möglichkeit benachbarter Hülfe abgeschlossen. Von den vier Bewohnern derselben litt der Eine fürchterlich an rother Ruhr, der Andere hielt mit dem rechten seinen zerschmetterten linken Arm, der Dritte jammerte unter den fürchterlichsten Schmerzen über ein von einem Splitter ausgeschlagenes Auge, der Vierte starb an Cholera. –

Einmal war ich in einer Höhle hundert Yards von den russischen Schanzen, aus welchen wir so scharf bewacht wurden, daß Niemand nur seine Mütze über der Oeffnung zeigen konnte, ohne daß ein Dutzend Büchsenkugeln drum herum pfiffen. Unter uns lag ein Offizier, nicht selten ohnmächtig, auf dem Schoße eines Soldaten unter den fürchterlichsten Schmerzen der Ruhr. Da fiel es ihm plötzlich ein, daß heißer Kaffee ihm gut thue, ihn retten werde. Kaffee fand sich, aber kein Holz. Einer von den Gemeinen hörte das und sagte: „Holz woll’n wir schon kriegen, wenn’s weiter nichts ist, Sir! Das woll’n wir schon kriegen, denk’ ich.“ So nimmt er ein Beil, springt heraus und wackelt langsam zu einem Baume, der etwa vierzig Yards hinter unserer Höhle umgehauen lag. Hier hackt er gemächlich, mit dem Rücken gegen die Russen, einen Spahn nach dem andern ab. Offenbar waren die Russen im ersten Augenblicke ganz erstaunt über dieses stupide, kalte Blut, bald aber knatterte ein bleierner Platzregen um den Holzhacker herum, der aber noch ganz ruhig eine Zeit lang abhackte. Die Russen, dadurch nur noch wüthender gemacht, feuerten nun um so leidenschaftlicher und selbst dreimal mit einer Kanone, ohne daß sich unser Freund deshalb im Geringsten beeilte. Endlich sah er sich die abgehackten Späne an, schien zu überlegen, ob es genug seien, kauerte dann nieder und sammelte das Holz in seinen großen Feldmantel, latschte zurück durch die ununterbrochenen Salven und sprang unversehrt mit seinem Schatze wieder herab. Ein merkwürdiger Zufall, an welchem die Leidenschaftlichkeit der Russen wohl ihren Antheil hatte, da sie nicht gezielt haben mochten, hatte ihn aus tausend Toden gerettet. Ich sah’s ihm deutlich an, er hatte nicht die geringste Vorstellung davon. Er schmunzelte blos über die Lobeserhebungen, meinte aber, das sei doch weiter gar nichts, so ein Bischen Holz zu holen.

(Ich weiß nicht genau, wann[WS 1] und wo es war, erinnere mich aber genau, daß einst preußische Soldaten, belagert und beschossen, öfter auf Festungsmauern stiegen, dem Kugelregen des Feindes den Rücken kehrten, etwas Kleidung von einem gewissen Körpertheile abzogen, und sich so vor dem Feinde und deren Kugeln gegenüber die höhnendsten Blößen gaben, obgleich Mancher dabei herunter purzelte, und die Wiederauferstehung des Fleisches vergaß.)

„Beim ersten Bombardement von Sebastopol war ein Schiff mit thätig, das mit 1500 Bomben befrachtet war, ganz gegen den Befehl des Admirals. Der Offizier desselben war aus Liebhaberei mitten unter den Regen der glühenden Kugeln gekommen, „um ein Bischen mitzumachen.“ Endlich bemerkte der Admiral die stupide Verwegenheit dieses Schiffes und gab plötzlich Befehl zu dessen Rückzug. Während es sich langsam aus dem glühenden Kugelregen entfernte, kam der Stewart mit militärischer Steifheit auf die Räderbrücke – es war ein Dampfschiff – zeigte mit dem Finger nach seiner Mütze, stellte sich dann steif auf und meldete: „Dinner is ready, Sir!“ (Mittagessen ist fertig). Unter 1500 Bomben, auf welche die glühenden Kugeln der Russen herabprasselten, hatte man Enten und Truthühner gebraten, welche bei dem Essen sehr gelobt wurden, während Erde und Meer ringsherum noch fortzitterten. Das Vaterland verlangt, daß Jeder seine Pflicht thue. Der Schiffskoch hatte demgemäß auch während der feurigsten Theilnahme am Bombardement die Truthühner weder roh, noch verbrennen lassen.“

Hiermit habe ich einige der Mittheilungen des Invaliden von Stande im Zusammenhange nachgeschrieben. Das Leben, Fragen, Lachen und Hänseln dazwischen und andere Kleinigkeiten habe ich weggelassen.

Auch mache ich zu guter Letzt noch einen Sprung, um rasch zum Schlusse zu kommen. Als geborner Fürst mit Zwirnhandschuhen hatte ich während des ganzen Abends keinen Verdacht erregt. Ich benahm mich aber auch: „jeder Zoll ein König“ und beantwortete die Frage eines der Herren, „ob in ganz Deutschland Preußisch gesprochen werde“, mit eben so viel Würde als Sachkenntniß. Daß bei dieser Kenntniß Deutschlands das Ländchen des Fürsten von Thurmtaxen-Tecklenburg“ eine günstige Lage in der dunkeln Phantasie der Herren bekam, scheint mir unzweifelhaft. Dieser Herr wollte mir mit Gewalt zeigen, was Leben sei und nöthigte mich daher, die halbe Nacht mit ihm und dem Maler in den „feinsten Kreisen“ Londons herumzufahren. Wir tranken bei seiner „Nicht-Zukünftigen“ Thee. Sie hatte einen Palast für sich allein. Diener mit künstlichen Waden, gelben Sammetkniehosen und goldtressenbesetzten Rücken öffneten Thüren. Von der Hausthür bis zum Wagen rollte sich plötzlich ein Teppich als Weg auf, weil es gerade geregnet hatte. Auf den Treppen innen lebensgroße Statuen mit Gasflammen in der Hand, im Besuchszimmer ein Meublement, wie man es sich in Feenpalästen nicht luxuriöser träumen kann. Theeservice, ganz von Silber, goldene Theelöffel u. s. w. Die Fee, von überraschender Schönheit, in einem blauen Sammetkleide mit weißem Schmuck und Diamanten in den dunkelblonden Locken. Kurz, eine Pracht, eine Verschwendung, die unglaublich klingt und mir jetzt selbst nur noch wie ein lebhafter Traum erscheint. Solche: „Nichtzukünftigen“ für einzelne und für mehrere der „obersten Zehntausend,“ die England sind, giebt es in fürstlicher Pracht Hunderte im Westend Londons, von Cavendish-Square bis Hyde-Park, Hunderte, welche so zurückhaltend und schüchtern sind, daß sie nur nach den mächtigsten Empfehlungen und nachdem der Aufwartende eine Fünfzig- manchmal eine Hundertpfundnote unten als Empfehlungsschreiben abgegeben hat, einen Besuch annehmen. Hunderte solche! Tausende, die wöchentlich höchstens 1 Thlr. 10 Sgr. verdienen, wenn sie die halbe Nacht hindurch mit nähen, um sich ihr elendes Leben und ihre verachtete Tugend zu fristen. –

Kann diese so geschichtete englische Gesellschaft, in der Zehntausend den Schweiß der Millionen in der skizzirten und in der üblichen politischen und diplomatischen Weise verprassen – noch lange so conservativ bleiben, bestehen, gedeihen? Nach Natur- und Sittengesetzen nicht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wenn
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verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1855, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_581.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)