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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Ich danke von Ihr für Alles!“ erwiederte der Schäfer trocken. Die alte Frau konnte kaum mißverstehen, warum er, von ihrer Hand bereitet, nichts annehmen wollte, und sie hätte am Liebsten seine Idee gleich zur Thatsache gemacht. Doch leuchtete sie ihm mit verstellter Freundlichkeit hinaus.

Im Hausflur trat ihm, mit dem Licht in der Hand, ein Mann entgegen, klein und zierlich von Figur, was ihn jünger erscheinen ließ, als er wirklich war, mit einem angenehmen Gesicht, dessen Züge, wenn auch sehr verfallen, etwas Vornehmes hatten. „Hast Du Deinen Hund bei Dir, Klupsch?“ fragte er den Schäfer. „Wahrhaftig, da ist er. Was heult nur draußen so schauerlich? Es ist, als ob ein Todesfall prophezeit würde.“

Der Schäfer horchte an der offenen Hausthüre. Im Thale ließ sich in der That das Geheul eines Hundes hören, es klang in Unterbrechungen, aber so kläglich und auch so wild, daß es Grauen erregen konnte.

„Wollen zusehen, Herr Stargau,“ sagte der Schäfer, der gleich an Dießbach dachte. „Lassen Sie mir eine Laterne anstecken.“

Sein Wunsch war schon erfüllt, das junge blonde Mädchen, Nina’s angebliche Tochter, hatte aus eignem Antriebe bereits die große Stalllaterne angezündet, mit welcher sie, ein Tuch über den Kopf geworfen, erschien.

„Bleib hier, Pauline,“ sagte Stargau – (denn es war wirklich der Vielbesprochene) – mit einem zärtlichen Ausdrucke. „Für Dich ist das nicht.“

„Für mich wohl,“ versetzte das junge Mädchen entschlossen. So schritten alle Drei in das dunkle Thal hinaus, und ein kleiner Bube, der aus irgend einem Winkel im Flur hervorkroch, schloß sich ihnen noch an. Das Geheul des Hundes, von heftigem Gebell unterbrochen, diente ihnen zum Führer.

„Dort oben ist es!“ sagte der Schäfer. „Es muß Einem ein Unglück zugestoßen sein.“

„Hier geht es aber nicht hinauf!“ warnte Pauline. Sie leuchtete vor, und kannte jeden Stein und Strauch so genau, daß sie ihre Begleiter bald auf die Platte des Vorsprungs brachte, wo ihnen Dießbach’s Hund bellend entgegen sprang: der Schäfer hatte den seinigen unterwegs schon an den Strick genommen.

„Wahrhaftig! Ein verunglückter Mensch!“ rief Stargau.

Pauline war vorausgeeilt. Die Laterne auf einen Stein setzend, kniete sie zu dem Gestürzten nieder, der, nach seinem leisen Aechzen zu urtheilen, noch Leben hatte, und in diesem Momente wirklich, wie schon einige Mal das Bewußtsein ihm gleich der Fluth und Ebbe geschwankt, von Neuem die Augen aufschlug. Der volle Lichtschein lag auf Pauline’s lieblichem Antlitz – Kuno zuckte zusammen vor dieser Erscheinung und schloß die Augen wieder, die Besinnung erlosch ihm wie ein Meteor.

„Um Gottes willen! Das ist ja –“ rief Stargau, aber der Schäfer ließ ihn nicht ausreden.

„Stille!“ raunte er ihm zu. „Kein Wort!“ Bleiben Sie im Schatten –“ und er bückte sich, dem Gefallenen zu helfen, nachdem er seinen Hund nachdrücklich beschwichtigt und an den nächsten Baum gebunden hatte.

„Ein paar Gliedmaßen gebrochen – wir müssen ihn hinunter schaffen, dort renke ich ein, was ich kann. Fassen Sie nur das Kopfende an, Herr Stargau – und Sie, Jungfer, leuchten.“

„Klupsch,“ sagte der gewesene Oberamtmann von Saint-Pankraz leise unterwegs – „nun brauchst Du uns keinen Wagen zu morgen zu schaffen. Wir bleiben hier.“



VIII.

Auf der Rinkenburg war Frau von Dießbach nach ihrer Gewohnheit schon wach, noch ehe das Frühroth den Osten säumte. Sie hatte viel schlaflose Nächte, aber eine schlimmere, wie die heutige, glaubte sie noch nicht durchlebt zu haben. Kuno’s Ausbleiben marterte sie. Nach Allem, was vorgegangen war und wie sie den energischen, unversöhnlichen Charakter ihres Stiefsohnes kannte, mußte sie von ihm Schritte fürchten, die zum Aeußersten führen konnten. Wie gern hätte sie gestern Abend nach Guido ausgeschickt, um diese qualvolle Ungewißheit zu beendigen, aber sie hatte seine junge Seele schon genug beschwert und konnte ihm noch nicht Alles sagen. „Schlaf suß, mein Liebling!“ flüsterte sie. „Du armes Kind ahnst nicht, was Dir noch zu tragen bevorsteht.“

Sie hatte sich von der Eremitage, wo sie allerdings mit Guido gewesen war, Botschaft bestellt, sobald diejenigen, denen sie eine neue Freistatt, wenn auch in der Ferne und Fremde bereitet hatte, abgereist sein würden: das sollte nach der Verabredung vor Tagesanbruch gechehen, sie wollte dann auch reisen, wozu sie in der Stille bereits Anstalten getroffen hatte, um Jene unterwegs noch einmal, zum letzten Mal! zu sehen. Der Tag war angebrochen, jetzt mußten sie schon fort sein, und der Bote mit der Meldung davon konnte bald eintreffen. Frau von Dießbach warf ihre Mantille um und ging in das Freie, den herbstlichen Thau und die Morgenkälte nicht achtend. Sie hatte sich nicht getäuscht, dort stieg der Knabe bereits die Schlucht herab und setzte sich in raschen Lauf, sobald er ihrer ansichtig wurde. Welche Kunde ward ihr jetzt! Ein Augenblick hatte Alles umgestaltet. Kuno lag, lebensgefährlich verletzt, in der Eremitage, unter der Pflege und Obhut der Menschen, die er hatte, womöglich, vernichten wollen, von ihm war vor der Hand nichts zu fürchten – und er lag ja lebensgefährlich darnieder, vielleicht raffte ihn der Tod hinweg. – – Die starren Augen der Dame verglasten sich mehr und mehr bei diesen Gedanken, der Knabe stand und sah ihr in das Gesicht, und fing an, sich vor ihr zu fürchten.

„Nein, nein!“ rief sie plötzlich. „Auch das muß noch geschehen. Dann aber dann!“ – Sie hob ihre feine, weiße Hand zum Himmel, der vom Sonnengolde durchleuchtet war. – „Geh, mein Sohn!“ sprach sie jetzt zu dem Knaben. „Ich komme heute nicht, aber morgen gewiß. Sie sollen ihn gut pflegen – es ist doch ein Arzt gerufen worden? Oder wer hat ihn verbunden und für ihn gesorgt?“

„Der Schäfer von Pankraz,“ war die Antwort, und sie befriedigte die bewegte Frau vollkommen. Der Knabe trat den Rückweg in das Gebirge, sie nach dem Schlosse, an, wo sie sich gleich in das Zimmer ihres Sohnes begab, den sie aus einem festen Schlafe weckte.

„Guido – Dein Bruder hat einen unglücklichen Fall gethan – er liegt gefährlich verletzt in der Eremitage –“

„Was? In der Eremitage und – Dein –“

„Alle sind noch dort!“ unterbrach sie ihn schnell. „Sie pflegen ihn, sie sammeln glühende Kohle auf sein Haupt! Doch wie ungerecht bin ich! Hätte ich zu ihm das Vertrauen haben können, wie zu Dir, hätte ich mein Herz erschlossen – Alles wäre vielleicht anders – mich trifft allein die Schuld.“

„Mama, ich werde mich gleich anziehen und nach der Eremitage eilen.“

„Nein, mein Sohn,“ sagte Frau von Dießbach sanft, „lassen wir den heutigen Tag vorübergehen, wir können dort nichts helfen, nur stören, ich muß mir Alles erst reiflich bedenken.“

„Aber – wenn er Pauline sieht, wird ihm da nicht die Aehnlichkeit mit mir –“

„Nein, nein! Er sieht sie nicht, oder – ohne Bewußtsein. Das Fieber ist jedenfalls eingetreten und die Krisis folgt ihm –“ hier hielt sie inne und sagte dann leiser, mit gepreßter Stimme: „die Alles entscheiden muß!“

Bei diesem Beschlusse blieb es und Guido mußte sich gedulden. Eine Verlegenheit von anderer Seite, auf welche Frau von Dießbach nicht vorbereitet war, überkam sie im Laufe des Tages. Kuno hatte die Bewirthschaftung des Gutes bis in die kleinesten mit einer Selbstständigkeit und Thatkraft geführt, daß er Keinem seiner Leute auch nur die geringste Bestimmung dessen, was geschehen sollte oder zu thun war, ja nicht einmal eine Einsicht in den Betrieb gestattet hatte, so daß nun kein Mensch wußte, woran er war. Man wandete sich mit Anfragen an Frau von Dießbach, welche sie nicht beantworten konnte. Denn sie verstand gar nichts von der Wirthschaft und hatte sich auch bei Lebzeiten ihres Mannes, seinen Wünschen sehr entgegen, gar nicht darum bekümmert, nicht einmal um das eigentliche Hauswesen, die Wirkungssphäre der Frau. Da sie zu Allem, was in dies Fach schlug, weder Geschick, noch Lust, sondern eine entschiedene Abneigung gezeigt hatte, war es ihrem Manne endlich lieber gewesen, das Ganze in Dienstbotenhände zu geben, und so war es geblieben bis auf diesen Tag. Aber die Gutsökonomie hatte er selbst betrieben, wie nach ihm, seinem Vorbilde getreulich folgend, sein ältester Sohn, und weil dessen strenge Leitung nun fehlte, drohte die ganze wohleingerichtete Maschine in Stocken und verderbliche Unordnung zu gerathen. Wie wollte sich aber Frau von Dießbach helfen? Sie hatte keine Verwandten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_566.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)