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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

hat nicht einmal am offenen Sarge die Leichenpredigt halten dürfen, sondern erst in der Erbgruft, wo er hingefahren worden ist bei verschlossenem Deckel. Das Sommerhaus im Gebirge aber ist zugemauert worden und noch bis aus diesen Tag hat kein Mensch wieder einen Fuß hinein gesetzt.“

Er schwieg und sah seine Zuhörer nach der Reihe an, des Eindrucks gewiß, den er hervorgebracht hatte. Alle schwiegen ebenfalls, es waltete eine lange Stille im Zimmer.

„Und was noch?“ fragte endlich der Oberamtmann mit gerunzelter Stirn.

„Ja, Alterchen, was willst Du noch wissen? Der Mann war todt, ein paar Monate darauf wurde noch ein Söhnchen geboren, das war der bildhübsche Husar, der seinem Vater und Bruder so gar nicht ähnlich sieht –“

Wem sieht er ähnlich?“ fragte Frau Siebeling rasch, aber ihr Mann ballte schon wieder die Faust, um vor Aerger über die boshafte Insinuation auf den Tisch zu schlagen.

„Seiner Mutter, verehrteste Freundin, nur seiner Mutter,“ antwortete Egelmann beschwichtigend. „Wenigstens glaube ich es, denn wem sollte er sonst ähnlich sehen? Es giebt jedoch Exempel von Beispielen, daß Kinder ihren Großeltern ähnlich werden, und so könnte es wohl möglich sein, daß der schöne Husar seinem Großpapa, dem Seidenhändler –“

„Hör’ auf, ich bitte Dich!“ unterbrach ihn der Oberamtmann mit dröhnender Stimme, indem er aufstand und seinen Stuhl heftig zurückstieß. „Von der ganzen dummen Geschichte will ich kein Wort mehr hören, uns geht sie nichts an. Ich kann’s nicht leiden, wenn man andere Menschen mit Koth wirft – das thun Gassenbuben, Egelmann. – Ist es nicht Zeit zum Abendbrot, Frau? Sind die Knechte schon herein? Ich bin selber ganz verdreht im Kopfe geworden.“

Damit war die Sitzung aufgehoben, und Frau Siebeling, welche gern noch mehr über die interessante Geschichte gehört hätte, durfte nicht wagen, Herrn Egelmann zu weitern Mittheilungen zu veranlassen. Dieser war sehr betreten, daß er den Unwillen seines alten Freundes auf sich gezogen hatte – wie mußten ihm auf dem Heimwege nach Ballenstedt die Ohren klingen! Hätte er nur hören können, was der Oberamtmann über ihn äußerte!

„Was ist aus diesem Menschen geworden!“ rief er einmal über das andere. „Der soll mir wieder kommen!“

Kuno von Dießbach war unterdessen in finsterer Stimmung den Bergen zu gefahren. Mochte er ahnen, daß nach seiner Entfernung durch Egelmann, den er wohl kannte, die düstere Vergangenheit seines Hauses zur Sprache kommen werde? Gleichviel! Er trotzte ihr, er war ja auch im Begriff, sie wieder herauf zu beschwören. Licht mußte er hineintragen, und wenn er durch die Fackel, die er anzuzünden im Begriff stand, das ganze Haus in Brand setzen sollte! Lange genug hatte er die schwüle Luft geathmet, endlich mußte er es zur Entscheidung bringen!

„Sind das nicht Schafe dort drüben?“ fragte er auf einmal den Knecht, der hinter ihm saß, mit der Peitsche nach einem grauen Strich auf der Flur in ziemlicher Entfernung zeigend.

„Das wird der alte Klupsch sein, der dort hütet – er nimmt immer die Grenzraine mit,“ sagte der Knecht.

Kuno hatte eigentlich im Sinne gehabt, den Schäfer Klupsch zu sprechen, jetzt gab er es aber auf und eilte nach Hause zu kommen; im Wirthshause des Dorfes wartete ja Einer auf ihn, der ihm viel wichtiger war. Er fand ihn auch schon am Eingange der ersten Häuser, wo er die Hände auf dem Rücken, lungernd auf und ab ging und tiefsinnige Betrachtungen über seine schadhaften Stiefeln anzustellen schien, denn er blickte vor sich nieder und hob den Kopf nicht eher, als bis Dießbach’s Wagen ganz in seiner Nähe war. Da schwenkte er wieder lustig seinen alten Filz und ging ihm entgegen.

Kuno ließ halten, stieg ab und befahl dem Knecht, nach dem Schlosse hinaufzufahren, er werde zu Fuß nachkommen. „Nun, Herr Staub,“ wandte er sich dann zu dem schiffbrüchigen Oekonomen, „Ihnen scheint es schlecht gegangen zu sein.“

„Es geht mir noch schlecht, Herr von Dießbach,“ erwiederte der Mann. „Wenn Sie mir doch eine Condition verschaffen könnten?“

„Warum haben Sie denn Ihre gute Stelle in Sanct Pankraz aufgegeben?“ fragte Dießbach.

Staub zwickerte schlau mit den Augen. „O, stellen Sie sich doch nicht, Herr von Dießbach, als ob Sie nicht wüßten, daß ich nicht meine Stelle, sondern daß meine Stelle mich aufgegeben hat – gemein ausgedrückt, daß ich fortgejagt worden bin.“

„Man sprach davon,“ erwiederte Dießbach kalt, „ich konnte es indessen immer nicht glauben. Sie besaßen Stargau’s volles Vertrauen, und da er doch auch seine schwachen Seiten hatte, so war es mindestens unklug von ihm, sich mit Ihnen, der alle seine Verhältnisse kannte, zu überwerfen. Es macht Ihnen alle Ehre, daß Sie sich nicht an ihm gerächt haben.“

Staub zuckte die Achseln und sagte: „Was hat man davon? Freilich eben so wenig von der Großmuth! – Wollen Sie mir eine Condition verschaffen, gnädiger Herr?“

„Ich könnte vielleicht für Sie sorgen,“ versetzte Dießbach. – „Warum sind Sie denn eigentlich wieder in unsere Gegend gekommen, die Ihnen vielleicht unangenehme Erinnerungen weckt?“

„O nein, sehr angenehme! Was habe ich hier fidel gelebt! Nun, ich wußte nicht, daß Stargau schon so rasch um die Ecke gegangen ist, ich dachte ihn noch zu finden, und er war der Mann nicht, Einem lange etwas nachzutragen oder gar einen armen Kerl im Peche sitzen zu lassen –“

„Sie stellen ihm da ein gutes Zeugniß aus!“ bemerkte Dießbach mit einem finstern Blicke.

„Ja – bis auf die letzte Geschichte, wo er es mit meinen Rechnungen etwas zu genau nahm, kann ich nicht über ihn klagen. Sie sehen sehr unwillig aus – mit Ihnen ist das freilich ein anderer Fall.“

Dießbach warf ihm einen stolz zurückweisenden Blick zu, der aber auf den Frechen seinen Eindruck ganz verfehlte, im Gegentheil machte sich auf seinem Gesichte ein lauerndes Lächeln bemerkbar. „Gnädiger Herr, Sie werden mir’s nicht verdenken – ich bin kein Schaf, bin vielmehr, wie man sagt, mit allen Hunden gehetzt. Sie wollen etwas von mir wissen und gehen dabei, Euer Gnaden verzeihen mir die pöbelhafte Rede, wie die Katze um den heißen Brei. Fragen Sie doch geradezu, und wenn Sie für mich sorgen wollen, so bin ich Ihr Mann. Was hilft das lange Sondiren – auf diese Weise lasse ich mir nichts herausspinnen.“

Bei diesen Reden überfiel den stolzen Gutsherrn plötzlich eine brennend heiße Scham, daß er sich so weit erniedrigt habe, von dem verlorenen Menschen durchschaut zu sein. Er mußte einlenken um jeden Preis, sollte auch darüber das glühende Verlangen, das ihm keine Ruhe mehr ließ Tag und Nacht, ewig ungestillt bleiben. „Herr Staub,“ sagte er mit frostiger Gelassenheit, die er nur mühsam fest hielt, „ich will allerdings von Ihnen etwas wissen, und wenn ich nicht geradezu fragte, so war es nur aus Schonung für Sie selbst. Wenn ich Ihnen eine Stelle verschaffen soll, so ist es gewissermaßen eine Bürgschaft, die ich für Sie leiste. Ich bin es mir selbst schuldig, daß ich sicher gehe, um meine Verwendung bei Ehren zu erhalten. Also rund und klar die Frage: Können Sie über die Zeit Ihrer Entfernung aus hiesiger Gegend gute Zeugnisse aufweisen?“

Staub hatte zuerst etwas ganz Anderes erwartet und sah Dießbach, als er diese Wendung nahm, zweifelhaft an, indessen hatte sich dieser zu sehr in der Gewalt, als daß es ihm nicht gelungen wäre, Jenen wenigstens für den Moment zu täuschen. Da es nun so kam und ihm gewissermaßen das Messer an die Kehle gesetzt wurde, faßte er einen desperaten Entschluß und setzte, wie er als leidenschaftlicher Spieler oft genug gethan, Alles auf eine Karte. „Ich habe als freier Mann gelebt,“ sagte er, „von wem hätte ich also ein Zeugniß gebraucht? Meine Paßkarte kann ich Ihnen zeigen, sie ist in Richtigkeit für das laufende Jahr, ohne eine solche ließe mir ja die löbliche Polizei nicht eine Stunde die eigene Wahl meines Aufenthalts. Wollen Sie aber ein Zeugniß für mich durchaus haben, so wenden Sie sich an Ihre Frau Mutter, die wird mir schon eins ausstellen.“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_554.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)