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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

langen, organisirten, religiösen Revolution der „Rebekkaiten“ wird, die das nächtliche Werk ihrer Aexte, Sägen und Beile und ihren weiblichen Anzug auf die Stelle im ersten Buch Mosis gründeten: „Und sie segneten Rebekka und sagte zu ihr: Du bist unsere Schwester, sei Du die Mutter von Tausenden von Millionen und laß Deinen Saamen besitzen das Thor Derer, die Dich hassen,“ „Thor“ = Schlagbaum. „Die Dich hassen,“ = Engländer, „Rebekka,“ = Mutter der Welschen. So war die Revolution biblisch begründet. Die Rebekkaiten amüsirten sich später noch unter Mitwirkung einer englischen „Miß Cromwell,“ vier Jahre lang mit Zerstörung und Wiederzerstörung von Schlagbäumen auf die consequenteste Weise und ganz systematisch. Die Bewohner eines Dorfes wählten sich Abends in geheimer Versammlung von Knechten und Burschen eine „Rebekka,“ welche nun General gegen einen bestimmten Schlagbaum ward. Gegen Mitternacht kamen die in weibliche Kleidung versteckten Verschwornen von verschiedenen Seiten gegen den Feind angerückt, hieben, sägten und hackten ihn auseinander und zogen dann ruhig wieder ab. Am folgenden Morgen erschien Jeder wieder bei seiner gewöhnlichen[WS 1] Arbeit und es war nichts herauszubringen, weil sich Alle im Stillen über die so gebahnte Wegefreiheit freuten und Keiner den Andern verrieth. Im Jahr 1843 war es so arg geworden, daß die Regierung nicht blos eine Menge Soldaten schickte, sondern auch das ganze Schlagbaumsystem unter bessere Verwaltung stellen und die Abgaben erniedrigen ließ. Es wäre ihr auch dann noch schwer geworden, wenn jetzt der ganze bessere Theil der Bevölkerung sie nicht unterstützt hätte. Eine Menge Diebe und Einbrecher hatten nämlich unter der Firma „Rebekkaiten“ zu Rauben und zu plündern angefangen und den alten biblischen Rebekkaismus in gründlichen Mißcredit gebracht.

Im Ganzen scheinen die Welschen noch sehr revolutionär zu sein. Die Chartisten von 1848 fanden unter ihnen die eifrigsten Anhänger und wenn, wie es scheint, das „strike“-Fieber auch unter ihnen sich ausbreitet, muß die dämonische Industrie in eine größere Krise fallen, als in der Baumwollen-Grafschaft von Lancashire im Norden von Wales.




Aus den letzten Tagen von Sebastopol.

In den türkischen Städten ziehen Sänger des Krieges und besondeers der Belagerung von Sebastopol umher, die ganz genau an die alten Rhapsodea erinnern, aus deren epischen Liedern mit der Zeit die beiden großen homerischen Epen Griechenlands, die Ilias und Odyssee, zusammenwuchsen. Freilich wird die Ilias dieses Krieges ganz anders ausfallen und klingen, als die der Belagerung von Troja, die damit endet, daß der griechische Hauptheld den trojanischen Hector um die Stadt herumtreibt und hernach todt um die Mauern herumschleppt. Damals kämpften sie, ursprünglich um eine schöne, entführte Frau, Person gegen Person, Heros gegen Heros, die, wenn sie sich begegneten, erst gegenseitig tapfere und noble Reden hielten und die Gründe auseinander setzten, warum Einer dem Andern den Schädel zu zerspalten und den Bauch aufzuschlitzen gedenke. Wenn dann der Eine sterbend zusammenbrach, wußte er doch wenigstens, warum und durch wessen Heldenhand er zum Ende seiner heroischen Laufbahn kam. Diesmal galt es die schönsten Parthien zweier Welttheile, in welchen die Schönheit auch entführt, entwürdigt und versclavt seufzt und Taback und Kaffee dazu genießt, nicht Held gegen Held, nicht Schwert und Schild gegen Schild und Schwert, sondern Tausende von blinden, feigen Kanonenungeheuern gegen Tausende dito, ein zwar wissenschaftliches, aber nur um so unmenschlicheres Wüthen von unsichtbaren Menschenmassen gegen eben so unsichtbare Haufen und Reihen von persönlich entwerthetem Menschenfleisch.

Sebastopol ist gefallen und hat unter seinen furchtbaren Trümmer Hunderttausende von Menschen begraben, ein entsetzlicher Preis für Mauern und Steine. Und wenn es damit wenigstens nur wirklich erkauft und bezahlt wäre! Die Rechnung kommt aber erst nach, die Rechnung, die wer macht? Wer bezahlt? Seht den fallenden Türken im Bilde. Er ist symbolisch für die ganze Türkei. Blickt in das türkische Lager: da sitzen sie auf ihren nackten, oder mit Lumpen umwickelten Beinen und flicken die auseinanderfallenden Hadern, womit sie ihre abgemagerten Glieder decken, zum zehnten Male, und die Flicken bröckeln ihnen unter den Händen auseinander, denn Riß mit Riß, Loch mit Loch ausbessern, ist fast eben so schlimm, als das Flickwerk der Diplomatie, welche immer eine Blöße durch die andere decken will. Monate lang haben diese türkischen Trnppen keinen Bissen Fleisch gesehen. Und als ihnen neulich die Franzosen 1000 Ochsen schenkten, war auch kein Fleisch dabei. Nichts als Haut und Knochen, übrig geblieben von der Rinderpest, aus welcher sie mit Zurücklassung vieler Tausende eben nur mit dem Leben davon gekommen waren. Liegen doch unweit des kleinasiatischen Lagers gegen 2000 Rinderleichname unbegraben ziemlich dicht bei einander, statt des stärkenden Fleisches Tod und Verderben in das Lager sendend. Und seht, wie sie in Grauen und Abscheu erbleichen, diese zerlumpten, abgehungerten, gläubigen Türken, wenn man sie aus ihrem Schmutze, ihrem Elende herausschält und ihnen guten Sold, gute Kleider, gutes Essen und Trinken bietet, sie in englische Uniformen und das Kreuz-Lederzeug steckt, ihnen den Fez des Glaubens abreißt und einen glänzenden Czako ausf ihr gesenktes Haupt stülpt!? Mit Gewalt, mit Prügel und Fußtritten werden sie aus ihrem gläubigen Elende herausgeschlagen, und unter Zucht und Commando der „Giaurs“ (den türkischen Contingent der Engländer) gezwungen. Namentlich betrachten sie das Kreuz-Lederzeug als die tödtlichste Schmach und glauben damit aus der Religion ihrer Väter in die „der ungläubigen Hunde" hineingetrieben zu sein.

So werden die letzten knöchernen, schwankenden Reste der türkischen Wehrkraft von den Rettern der Türkei vollends aufgelöst und Omer Pascha, der letzte, einzige Halt derselben, zieht irrend umher zwischen Konstantinopel, der Krim und Kleinasien, gehänselt, betrogen, ausgebeutet, entmannt, damit er ja durchaus nicht etwa wenigstens eine Kleinigkeit von der Türkei rette. Die Retter wollen ja Alles haben. Das wäre auch, unmenschlich und als En - gros - Händler der Geschichte gesprochen, ganz gut, denn Rußlands tödtende Hand darf nicht auf einem der schönsten Länder Europa’s liegen, wenn man nur von vorn herein sich nicht gegenseitig den Pelz voll gelogen und immer gesagt hätte: Auf Ehre, wir thun’s blos der Ehre, der Civilisation wegen. Haben wollen wir gar nichts dafür. Die Sache war ehrlich die: Krank ist der Mann, und da er nicht rasch genug ohne Arzt stirbt, wollen wir ihn ärztlich behandeln und uns in seine Kleider theilen. Statt nun aber mit dem Sterbenden ein ehrliches Testament zu machen, oder ehrlich um die Hinterlassenschaft zu spielen, schleppt man Hunderttausende von Menschen aus ihren produktiven, civilen Sphären und Millionen auf Millionen von Geldern zusammen, um statt der Würfel oder eines Gerichtshofes (für welchen die Erben doch Gesetze genug gemacht haben), den entscheiden und gewinnen zu lassen, der am Meisten verlor; barbarisirt man ganz Europa und belügt sich gegenseitig, daß sich alle Balken des europäischen Gleichgewichts biegen, ruinirt man die Hinterlassenschaft, sich und Andere und vergeudet zehnmal mehr Menschenblut, als der große Bettel werth ist, das Menschenblut blos im national-ökonomischen Sinne nach Arbeits-Kapital berechnet.

Die „Ehre,“ den Malakoff gestürmt und so wirklich in die unüberwindliche Festung eingebrochen zu sein, gebührt wesentlich den Franzosen. Es kann uns hier nicht einfallen, die Großthaten vom 8. und 9. September schildern zu wollen. Wir geben blos Eindrücke aus dem Ereigniß und auch diese nur in annähernden Bezeichnungen, da das rechte Wort für die Sache, wie sie war und ist, erst gefunden werden wird.

Am 5. September fingen die Franzosen ihren achten an und zwar, wie es scheint, ganz auf eigene, d. h. Pelissier’s Hand. Der heiter aufgehenden Sonne qualmte und donneerte eine wüthende Kanonade entgegen, welche das spiegelblanke Meer, auf welchem die Schiffe wie darauf „gemalt,“ ruhten, rippte und runzelte. Die Vorstädte Sebastopols lagen in Trümmern und mißgestaltet emporragenden Ruinen, eben der Kern derselben glänzte noch in der Morgensonne und trat immer wieder stolz aus den Pulverdampfwolken hervor, die ein sanfter Südostwind über ihre Terrassen hintrieb.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gewöhnlicher
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_533.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)