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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Schiller’s Aeltern.

Ein Gedenkblatt von Arnold Schloenbach.
Mit Portraits.

In Nr. 34 der Gartenlaube brachten wir Goethe’s Aeltern; dies führte uns leicht begreiflich auch zu den Aeltern unseres Schiller, und wenn es gewiß stets anregsam ist, das Gedenken der größten und edelsten Geister unserer Nation dann und wann wieder aufzufrischen, so ist es auch gewiß interessant, das „Fleisch und Blut“ kennen zu lernen, aus denen diese Geister entsprossen sind; hier sind es nun auch die Gegensätze, die in ihrer Vergleichung noch besonderes Interesse gewähren; so grundverschieden beide Dichter sich einander gegenüber stehen, ebenso auch Beider Aeltern. Doch wie bei Goethe, zeigt sich auch bei Schiller der große Einfluß der Aeltern, namentlich der Mutter, auf das innere Wesen des Sohnes. – Eine gewisse Charakter-Aehnlichkeit von Schiller’s Vater mit Goethe’s Vater ist nicht zu leugnen, doch ist sie tiefer und einzeln zu suchen, und geht, im Ganzen genommen, verloren. Beider Väter hießen Caspar, Beider Mütter Elisabeth; sonst: welch’ ungemeiner Unterschied des Bodens, der Verhältnisse, der Anschauungen und Bedingungen, aus denen Beide heranwuchsen! Bei Goethe die mächtige, berühmte, freie Reichsstadt, mit ihren Kaiserkrönungen und ihrer Stellung zur Zeitgeschichte; bei Schiller ein armes, kleines Dorf, das erst durch ihn seinen Namen bekam; bei Goethe Reichthum, Glanz, Macht, natürlich Verbindung mit dem Bedeutendsten und Vornehmsten seiner Zeit; bei Schiller – nun, der arme Feldscheer und Barbier, Caspar Schiller, der Sohn eines Dorfbäckers, brachte an baarem Gelde 215 Gulden 25 Kr. mit in die Ehe; die Mutter Elisabeth, deren Vater ein ganz verarmter Bäcker, brachte an baarem Gelde nichts hinzu; nur ihre Liegenschaften betrugen 188 Gulden Werth; – als Goethe zuerst in die Welt hinausging: welche Kisten und Kasten und Felleisen wurden da aufgepackt; eine Equipage fuhr vor und Diener umringten sie; – Schiller: rührend ist es, aus einem amtlich beglaubigten Documente zu lesen, was er mit in die Welt hinausnahm: „Ein blaues Röcklein nebst Camisol ohne Aermel, ein Paar Hosen, zwei Manchettenhemden, ein Unterhemd, vier Paar leinene Strümpfe, ein Paar Schuh, ein Paar Stiefeln, einen ord. Hut, Geld: 43 Kr., funfzehn Stück unterschiedl. laleinische Bücher.“ – So sind die Gegensätze der Verhältnisse[WS 1] hinreichend angedeutet; die Gegensätze zwischen den Aeltern mögen sich von selbst ergeben.

Johann Caspar Schiller, der Vater unseres Dichters, wurde geboren am 22. October 1723 zu Bitterfeld im Würtembergischen, als der Sohn des Bäckers und Schultheiß daselbst; er starb am 7. September 1796, als Hauptmann (nach Andern als Major) auf der Solitüde bei Stuttgart.

Elisabeth Dorothea Schiller, die Mutter, wurde geboren am 13. December 1732 zu Marbach, als Tochter des verarmten Bürgers und Bäckers, Johann Kodweiß; sie starb am 12. Mai 1802 zu Cleversulzbach, in den Armen ihrer Tochter Louise, vermählt dem dortigen Pfarrer Frank.

Am 22. Juli 1749 vermählten sich Beide; erst nach achtjähriger Ehe wurde ihnen eine Tochter geboren, Christophine, die nachmalige Hofräthin Reinhard in Meiningen; zwei Jahre darauf, am 11. November 1759, unser Schiller; beinahe im Lager, wo die Mutter ihren Mann besucht hatte und wo sie eilig aufbrechen mußte, um noch in ihrem älterlichen Hause zu Marbach Deutschlands schönstem Dichter das Leben zu geben. Der Vater empfing „das große Geschenk des Himmels“ mit dem Gebete: daß Gott diesem Kinde an Geistesstärke zulegen möge, was sein Vater aus Mangel an Unterricht nicht habe erreichen konnen. – Dieses Gebet des würdígen Mannes sollte so glänzend in Erfüllung gehen!

Und das ganze Leben dieses Mannes selbst war ein unermüdliches Kämpfen und Streben nach höherer Ausbildung; sein höchster Schmerz wohl der, daß ihm an Unterricht und Talent versagt worden, was ihm zu der ersehnten Ausbildung nöthig sei. – Kurz, gedrungen, fest wie sein Figur, war sein Charakter, sein Benehmen, doch gemildert von ächt protestantischer Frömmigkeit; lebhaft, klar wie seine blauen Augen, sein Verstand; die energische Nase und hochgewölbte Stirn hatte unser Schiller von ihm; im Ganzen: er war ernst, streng und mild; muthig, redlich, gehorsam und bescheiden.

Früh vater- und mittellos geworden, wurde er bei einem Chirurgus und Barbier in die Lehre gethan, und betrieb er dieses Geschäft sorgenvoll und widerstrebend bis zu seinem 22. Jahre, wo er sich als Feldscheer in ein baierisches Regiment aufnehmen ließ und im österreichischen Erbfolgekrieg mit nach den Niederlanden zog. Nach dem aachener Frieden 1748 kam er in das Vaterland zurück, heirathete in Marbach und trieb hier wieder das Geschäft des Chirurgen und Barbiers, und zwar noch sorgenvoller, noch widerstrebender als früher. Dies und die kinderlose Ehe trieben ihn dann wieder fort, als der siehenjährige Krieg heranrückte; er ließ sich als Fähndrich und Adjutant im würtembergischen Regiment Prinz Louis anwerben, das in österreichischen Diensten nach Böhmen zog. Hier zeichnete er sich aus durch Tüchtigkeit, Thätigkeit, Mäßigkeit und maßloses Studium militärischer und medicinischer Werke; hier wirkete er als Soldat, als Chirurg und – als Geistlicher; als sein Regiment nach Hessen und Thüringen verlegt wurde, kam er dann und wann nach Hause, wovon unser Dichter ein redendes Beispiel ist. Mit Ende des Krieges 1763 kam er als Hauptmann zurück. – Noch eifriger studirte er jetzt Militärisches und Medicinisches; eifrig auch Landwirthschaft und namentlich Alles, was sich auf Baum- und Obstzucht bezog. Sein ganzes Wesen war klarer, bestimmter in Handlung, Wort und Schrift geworden; aber auch strenger, schärfer, militärischer; sogar der tägliche Gottesdienst im Hause wurde militärisch eingerichtet; die Gebete mußten nach Exercitien gesprochen werden. Er selbst hatte ein langes Gebet in etwas sonderbaren und holperigen Reimen verfertigt, was jeden Tag executirt wurde. Es fing folgendermaßen an:

„Treuer Wächter Israels,
Dir sei Preis und Dank und Ehren,
Laut betend lob’ ich dich,
Daß es Erd’ und Himmel hören.“

Indessen steckte doch auch ein Stück Aufklärung in ihm; er wurde manchmal borstig gegen übertriebene und unberechtigte Pfaffereien, und als ihn einmal sein Fritz, mit Beziehung auf ein Gedicht von elfenbeinernen Zähnen der Kirche, fragte: „Hat denn die Kirche Zähne von Elfenbein?“ antwortete er: „O, sie hat auch manchmal Wolfszähne.“

Im Jahre 1765 sendete ihn sein Herzog Karl als Werbeoffizier nach der Grenzstadt Schwäbisch-Gmünd, wo er im Dorfe und Kloster Lorch sich mit der Familie niederließ. Hier nahm er seinen Fritz viel mit hinaus in den Wald zu den Förstern, zu den Werbelagern, auf die Ruinen; alles ihm deutend und namentlich die Geschichten von den Hohenstaufen ihm erzählend. Die Familie lebte indessen kümmerlich von dem, was der Vater in dem letzten Kriege sich erspart hatte; sein Sold blieb aus, und erst nach einigen nachdrücklichen Vorstellungen wurde er, im Jahre 1768, nach Ludwigsburg versetzt, mit ausreichendem Gehalt. Hier machte er sich um die Baumpflanzungen so verdient, daß ihm schon 1770 die Oberaufsicht über die neuen Anlagen der Solitüde übergeben wurde; 60,000 Bäume soll der Vater unseres Dichters hier gepflanzt haben. Im Jahr 1772 wurde Friedrich confirmirt; er feierte dies mit einem Gedichte, das man wohl als das erste seiner Feder bezeichnen kann; der Vater meinte, als Friedrich es ihm zeigte: „Ei, bist Du närrisch geworden, Fritz?“ – Daß Fritz Theolog werden sollte, war schon lange von den Aeltern beschlossen, vom Knaben mit Sehnsucht entgegengesehen; da kam „die Gande“ des Herzogs: den Knaben seiner geliebten Dressir-Anstalt einverleiben zu wollen, weil die Lehrer denselben so talentvoll in ihren Berichten bezeichnet hatten. Die Aeltern waren bestürzt, der Vater suchte ehrfurchtsvoll und dankbar abzulehnen – vergebens! Die Gnade wurde noch einmal octroyirt; das war Befehl, und Friedrich Schiller ging auf die Karlsschule.

Seine Flucht von da traf den unvorbereiteten Vater wie ein Donnerschlag; doch konnte er auch dem Sohne nicht lange zürnen; er sah zwar nicht ganz ein, daß derselbe Recht hatte, doch ahnete er es, empfahl ihn Gott und freute sich des schon wachsenden Ruhmes, wenn auch nicht ohne ernstes Bedenken für des Sohnes Seelen-

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vehältnisse
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_512.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)