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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)


Schiller’s Aeltern.




Er bekam die dritten vierzig Hiebe. Er hielt auch sie aus, auf den schon wunden, ihn schon furchtbar schmerzenden Rücken. Er hielt sie standhaft aus, ohne einen Laut. Aber sein ganzes Gesicht war erdfahl geworden, und sein ganzer Körper zitterte.

„Nun,“ fragte der Corporal wieder.

Der Gefangene wollte ihm in das Gesicht speien; aber er beherrschte sich und zog still ab.

Der Auditeur rapportirte dem General die Vollziehung der dritten Züchtigung.

„Und er hat noch nicht bekannt?“

„Nein, Herr General.“

„Es that mir leid, Auditeurchen, aber der Mensch hat einem armen Offizier sein Alles gestohlen, und die Braut ist die Tochter meines Freundes. Er hat seine Jacke, eine Militärjacke, in einen Graben in Berlin geworfen. Er hat das selbst bekannt. Das ist ein Affront, und er verdient dafür die vierten Vierzig. Lassen Sie sie ihm geben.“

„Noch heute, Herr General?“

„Noch heute.“

Der Auditeur ließ vorerst den Gefangenen durch einen Arzt untersuchen, ob er ohne Nachtheil die Züchtigung werde ertragen können. Der trotzige Dieb stellte sich kräftiger als er war. Das Gutachten des Arztes fiel bejahend aus.

Die vierte Execution begann.

Der Dieb gab auch jetzt keinen Laut von sich. Aber bei dem zwanzigsten Hiebe fiel er zusammen. Der Auditeur befahl einzuhalten. Der Gezüchtigte wurde in das Hospital gebracht. Der finstere, energische Verbrecher hatte auch einen eisernen Körper. Er war nach vierzehn Tagen wieder hergestellt.

Der General ließ den Auditeur rufen.

„Auditeurchen, er Mensch, der Fritz Jure, der den Lieutenant von Maxenstern bestohlen hat, ist wieder besser.“

Der Auditeur verbeugte sich schweigend.

„Er kann wieder seine Hiebe aushalten.“

„Ich weiß es nicht, Herr General.“

„Aber ich weiß es. – Er hat noch immer nicht bekannt.“

„Nein, Herr General.“

„Er hat noch viel gegen die Disciplin gefehlt.“

„Noch immer, Herr General?“

„Aber ich habe mich an Se. Majestät gewandt.“

„Und Se. Majestät?“

„Haben dem Lieutenant von Maxenstern ein Gnadengeschenk von zwölftausend Thalern gemacht.“

„Gottlob!“

„Ja, Gott erhalte Se. Majestät, Friedrich Wilhelm den Dritten.“

„Und der Jure, Herr General?“

„Ich und meine Instruktkion haben nichts mehr mit ihm zu schaffen. Er gehört jetzt nur noch Ihnen und dem Gesetze.“

Die Untersuchung gegen Fritz Jure war bald abgeschlossen. Er legte auch in ihrem ferneren Verlaufe kein Bekenntniß ab. Trotz seinem Leugnen konnte seine Schuld keinem Zweifel unterliegen. Es wurde gegen ihn auf Festungsbaugefangenschaft bis zur Begnadigung erkennt, auf welche letztere vor Ablauf von funfzehn Jahren von Amtswegen nicht anzutragen sei. So lauteten damals die Gesetze.

Er verbüßte sein Strafe, volle funfzehn Jahre lang, unverdrossen, aber auch in „untadelhafter Führung.“ Nach Ablauf der genannten Zeit wurde er daher begnadigt. Er kehrte nach Berlin zurück. Die Polizei bewachte ihn von dem Augenblicke seiner Entlassung an auf Schritt und Tritt. Von den gestohlenen zwölftausend Thalern wurde gleichwohl keine Spur gefunden.

Nach einigen Monaten war er indeß plötzlich verschwunden.

Nach einem Jahre hörte man, daß ein Mensch, auf den das Signalement des Fritz Jure paßte, in dem Westen von Nordamerika sich angekauft habe, und dort als fleißiger Ackerbauer lebe.

Ludwig Liedke war lange vorher im Zuchthause gestorben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_511.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)