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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Der alte Dieb, der wirklich ein weiches Herz hatte, weinte beinahe wieder.

„Herr Polizeirath,“ rief er, gewiß bin ich kein gefährlicher Mensch, aber diesmal bin ich auch unschuldig. Glauben Sie mir.“

„Es sollte mich freuen, um Deinetwillen. Zuchthaus auf zeitlebens! Aber nachher.“

Die Gensd’armen Schmidt Zwei und Drei waren eingetreten. Der Polizeirath hatte als guter Inquirent schon seinen Plan gemacht. Es kam darauf an, die Spuren eines Verbrechens zu entdecken, von dessen Existenz er bisher noch nichts wußte. Er mußte dabei vorsichtig verfahren, um dieser Vorsicht willen aber auch die erste Ueberraschung und Stimmung der Verhafteten, von denen er allein Auskunft erlangen konnte, in richtiger Weise benutzen. Der geringste Fehler, gerade bei diesen Anfängen einer Spur, und in diesem ersten Momente, konnte die ganze Untersuchung verderben und die Entdeckung des Verbrechens oder der Thäter für alle Zeit unmöglich machen. Die Personen und die Verhältnisse waren dabei auf das Genaueste zu beachten.

Der Kellerwirth stand zwar schon seit einiger Zeit in dem Rufe, daß Diebesgesindel bei ihm verkehre. Aber der Mann war noch nie in Untersuchung gewesen, er war ferner, wie schon sein Aeußeres zeigte, ein derber, trotziger Mensch, er war endlich berliner Bürger. Von ihm war sicherlich viele und wichtige Auskunft zu erwarten.

Ludwig Liedke mußte, da der fromme triefäugige Alte nur noch das Handwerk des Hehlers trieb, der Urheber oder Miturheber des begangenen Verbrechens sein. Seine Aussage konnte daher nur auf dieses selbst und unmittelbar hinführen, deshalb auch nur in letzter Linie stehen, nachdem vorher das möglicherweise zu ermittelnde Material gegen ihn selbst gewonnen war. Ueberdies erschien es bei der Schwäche seines Charakters nicht durchaus geboten, den ersten Augenblick der Ueberraschung bei ihm zu benutzen.

So ergab sich von selbst in erster Linie das Verhör des alten Hehlers, der zudem im Besitze der Sachen getroffen war, also auf ein bloßes Leugnen sich nicht beschränken konnte.

Der Polizeirath ließ durch die Gensd’armen Schmidt Zwei und Drei Liedke und den Kellerwirth hinausführen, und draußen abgesondert bewachen. Dann schritt er zum Verhör des Hehlers. Zunächst besah er die einzelnen Uniformstücke des Korbes.

„Ei, ei, Justus Graumann, Ihr habt da am frühen Morgen schon ein hübsches Geschäft gemacht. Meist lauter neues Zeug! Was habt Ihr dafür gegeben?“

„Hören Sie mich an, Herr Polizeirath. Gott, der Gerechte, ist mein Zeuge –“

„Wie viel Ihr dafür gegeben habt?“

„Hören Sie mich nur erst an, guter Herr Polizeirath –“

„Guter Mann, seid zuerst nur so freundlich, mir den Preis zu sagen.“

„Sie sollen Alles erfahren, Alles, die lautere, reine Wahrheit.“

„Nicht wahr, fünf Thaler?“

„Nicht als Kaufpreis, verehrter Herr Polizeirath. Hören Sie mich nur an.“

„Nun, so sprecht.“

„Das lohne Ihnen der Allerbarmer. Glauben Sie mir, ich stehe hier vor Ihnen, unschuldig, wie Christus der Gekreuzigte.“

„Zur Sache, wenn Ihr so gut sein wolltet.“

„Die Sache ist sehr einfach. Der Wirth hier, Herr Funke, ein braver, redlicher Bürger der Stadt, kam heute früh zu mir und theilte mir mit, daß gestern Abends spät ein verdächtiger Mensch in seinen Keller gekommen sei, der habe um Nachtquartier gebeten. Er habe es ihm abgeschlagen, weil er nicht beherbergen dürfe. Der Mensch habe ihn darauf um zehn Silbergroschen gebeten, um sich eine Schlafstelle suchen zu können, seinen Korb geöffnet, worin sich Uniformstücke befunden, und diese als Pfand angeboten. Zugleich habe derselbe ihn gefragt, ob er ihm keinen Käufer für die Sachen verschaffen könne. Er habe auf einen Diebstahl gerathen, und da kein Polizeibeamter bei der Hand gewesen, so sei er zum Schein auf das Anerbieten eingegangen, habe dem Menschen die zehn Silbergroschen gegeben und die Sachen behalten. Er überlegte nun mit mir, wie es am Besten anzufangen sei, den Dieb nicht nur zu fangen, sondern auch zugleich zu überführen, und da kamen wir dann unter Gottes Beistande auf den Gedanken daß ich zum Scheine die Sachen abkaufen solle, um sie sogleich an das Polizeipräsidium zu bringen und dort Anzeige von dem Vorfalle zu machen.“

„Ihr seid doch die Ehrlichkeit selbst, alter Graumann,“ unterbrach der Polizeirath den Diebeshehler.

„Ich habe ein ruhiges Gewissen, guter Herr Polizeirath. Hören Sie mich weiter. Das Geschäft, wohlverstanden, das Scheingeschäft, kam zu Stande; wir hatten uns dabei auch den Namen des Diebes sagen lassen. Er hieß Ludwig Liedke, seine Papiere vom Zuchthause wiesen ihn aus. Er war gerade auf dem Wege nach dem Polizeipräsidium als ich arretirt wurde.“

„Durch die Hinterthür dieses Hauses, guter Graumann?“ sagte der freundliche Polizeirath.

„Für mich der nächste Weg.“

„Und warum holtet Ihr die Polizei nicht herbei?“

„Wir hatten unter Gottes Beistande davon gesprochen, Herr Polizeirath. Aber vorher ging es nicht an, weil ja der Dieb in der Nähe sein und aufpassen konnte, und Sie werden begreifen, daß dann Alles vorbei war, da wir seinen Namen nicht wußten.“

„Warum hatte der brave Herr Funke ihn nicht schon gestern Abend danach gefragt?“

„Er muß es doch wohl vergessen haben.“

„Nun, und nachher?“

„Nachher war der Mensch so eilig, daß keine Zeit blieb, zu dem Herrn Polizeicommissarius zu schicken. Auch war der Herr Funke allein. Sie wissen, er ist Junggesell.“

„Wo hat denn Liedke die Sachen gestohlen?“

„Das hat er nicht gesagt. Er hat gar nicht von einem Diebstahl gesprochen.“

Der Polizeirath gab dem Gensd’armen Schmidt Vier einen Wink.

„Ich kann doch jetzt nach Hause gehen, Herr Polizeirath?“ fragte der Diebeshehler treuherzig.

„und Eure fünf Thaler, guter Graumann?“

„Sie sind mir sicher genug dafür, guter Herr Polizeirath.“

„Ihr seid ein argloses Herz.“

„Mit Gottes Beistand, Herr Polizeirath.“

Schmidt Vier führte den Alten ab.

„Den Kellerwirth?“ fragte im Abgehen in seiner gewohnten Kürze der Gensd’arm , der den Plan seines Vorgesetzten errathen hatte.

Der Polizeirath nickte. Der Gensd’arm führte den Kellerwirth herein. Der Mann hatte unterdes seinen vollen Trotz gesammelt.

„Herr Polizeirath, Sie behandeln einen berliner Bürger in seinem eigenen Hause als einen Verbrecher?“

„Ich habe Ihnen,“ erwiederte der Polizeirath, ja noch kein Verbrechen vorgeworfen.“

„Aber Sie behandeln mich als einen Verbrecher.“

„Sprechen Sie die Wahrheit, und auch das hört vielleicht auf.“

„Was wollen Sie von mir wissen?“

„Was haben der Liedke und der Graumann bei Ihnen gemacht?“

„Warum haben Sie sich das nicht schon von Graumann erzählen lassen?“

„Ich möchte es auch gern von Ihnen erfahren.“

„Warum, wenn Sie es schon von ihm wissen?“

„Sie sind berliner Bürger, noch nicht in Untersuchung gewesen; ich traue Ihnen mehr.“

Die ruhige Freundlichkeit des Beamten verwirrte die Grobheit des Diebswirths. Er schwieg, sich besinnend.

„Nun,“ fuhr der Polizeirath fort, „was machten die Beiden hier?“

„Ich will es Ihnen erzählen, Herr Polizeirath. Gestern Abend spät kam der Mensch, der Liedke, hierher. Er bat um Nachtquartier. Ich kannte ihn nicht, ich darf auch nicht herbergen.“

„Sie verweigerten ihm daher das Nachtquartier.“

„So ist es. Darauf bat er mich um zehn Silbergroschen.“

„Und gab Ihnen den Korb mit den Sachen da zum Pfand.“

„So ist es.“

„Und darauf?“

„Ging ich heute Morgen früh zum Herrn Graumann, um mit ihm zu besprechen, wie wir – “

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_498.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)