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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 34. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Eine seltsame Frau.
Von A. S.
(Fortsetzung.)


„Was ist das?“ fragte Philipp.

„Ich finde nichts darin!“ gab Josephine mit ihrem reizenden Lächeln zur Antwort. „Die gute Frau, die ihren Mann beherrscht, weil sie ihm ein großes Vermögen zugebracht hat, wird wieder einmal von Grillen geplagt. Man kann eine solche Ehe nur bedauern.“

„Sollte nicht ein Geheimniß zum Grunde liegen?“

„Mir ist keins bekannt geworden. Meine soeben ausgesprochene Vermuthung wird wohl die richtige sein. Die kleine capriciöse Frau hat eine zweite Soirée nicht zu erwarten. Die Sache ist zu unbedeutend, als daß wir uns länger damit beschäftigen sollten. Wie steht es, Philipp, mit der Familie von Bornstedt? Hast Du Dich dem armen Manne entdeckt, wie Du mir gestern versprochen?“

„Ich fand ihn nicht zu Hause.“

„O, säume nicht, lieber Freund! Du hast doch die Summe, die Du für das verkaufte Gut erhalten, nicht angegriffen? Wenn dies ist, so sage es mir, ich werde aus meinen Ersparnissen das Fehlende decken. Man soll nicht sagen, daß wir auch nur einen Thaler unrechtmäßig besitzen. Ich wiederhole es: lieber arm, als unredlich reich!“

Josephine hatte so dringend gesprochen, als ob in dem längern Zögern ein großer Verlust läge. Was konnte darauf ankommen, ob heute oder morgen die Uebergabe stattfände, da Vater und Tochter vor der Hand sorgenfrei leben konnten? Der Argwohn Philipp’s war einmal erwacht, und wie die Glut unter der Asche wuchs er still und unmerklich fort. Jedes Ereigniß gab ihm neue Nahrung, und der Brief des Banquiers, den Josephine lächelnd angenommen, erfüllte ihn mit einer schmerzlichen Besorgniß. Da fühlte er plötzlich den schönen Arm Josephine’s, der seinen Nacken umschlang.

„Mein Gott, Philipp, was ist Dir?“ fragte sie zärtlich, und indem sie mit ihren weißen Zähnen seine Wange berührte. „Du bist in ein so tiefes Brüten versunken, daß mir angst wird.“

„Die Annäherung an die arme Familie ist für mich eine schwere Aufgabe. Ich sinne nach, wie ich mich ihr auf eine Weise entledige, die so wenig als möglich meinen verstorbenen Vater compromittirt.“

„An diesen wichtigen Punkt haben wir noch nicht einmal gedacht! Philipp, wie liebe und achte ich Dich!“ rief sie bewegt. „Wir wollen zusammen überlegen, wie Du ein Vergehen Deines Vaters ausgleichst, ohne es anzuerkennen. Fast möchte ich Dir zürnen!“ fügte sie mit einer schmollenden Miene und in einem derselben entsprechenden Tone hinzu, daß dem armen Philipp wunderbar um’s Herz ward.

„Warum, Josephine?“

„Ich habe bei Deinem Eintritte schon bemerkt, daß Dir etwas auf der Seele lag. Anstatt daß Du es Deiner Gattin mittheilst, muß sie es ganz zufällig erfahren. Du hast ein Geheimniß vor mir gehabt, vor mir, die ich Dir Alles mittheile. Bin ich nicht auch die Tochter Deines Vaters?“

Sie konnte nicht fortfahren, denn Meta trat wieder ein. Sie trug wiederum einen Brief in der Hand.

„Vom Herrn Doctor B.,“ sagte die Zofe, indem sie das Papier überreichte. Dann entfernte sie sich wieder.

Philipp erinnerte sich, den Namen des Absenders auf der Liste der Gäste gesehen zu haben. Mit ängstlicher Spannung beobachtete er die lesende Josephine. Der Ernst ihrer wunderbar schönen Züge verwandelte sich in ein ironisches Lächeln.

„Auch der Doctor B. schreibt ab!“ sagte sie kalt und ruhig. „Er bezieht sich auf das Unwohlsein der Madame F., und da er durch den Banquier eingeführt werde, könne er aus Rücksichten mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nicht erscheinen.

Philipp fand, daß auch dieser Brief kurz und frostig abgefaßt war.

„Ich wundere mich nicht darüber,“ meinte die junge Frau. „Der Doctor ist zwar ein Mann der Wissenschaft, aber er macht dem Manne des Geldes, oder eigentlich seiner Frau, die Reverenz. Es sollte mich auch nicht wundern, wenn nun ein Geladener, der zu dem Doctor in Beziehung steht, ein ähnliches Billet folgen ließe. Nimm die Liste, Philipp, und streiche die Personen.“

Es ergab sich, daß diese beiden Familien die Hälfte der geladenen Gäste ausmachte. Bald kam ein drittes Billet an. Madame X. meldete, daß sie einen unerwarteten Besuch erhalten habe.

„Wer bleibt uns noch?“ fragte Josephine in großer Heiterkeit.

„Zwei Gäste.“

„Nenne sie.“

Philipp las aus der Liste! „Fräulein Bartels.“

„Eine Klavierspielerin, die wird nicht ausbleiben!“ lachte Josephine.

„Fräulein Canzona.“

„Eine Sängerin, die ich zur Unterhaltung der Gäste geladen hatte. Lieber Freund, schreibe den beiden Damen ein Absagebillet und lege einer jeden zwei Louisd’or bei – die Gesellschaft wird nicht stattfinden. Wir bleiben allein, speisen zusammen und unterhalten uns, so lange es uns gefällt. Während Du das kleine Geschäft besorgst, mache ich meine Toilette.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_443.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2019)