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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Mit dem gewonnenen Gelde fing er einen Handel den Ganges hinauf an, und kam endlich auf diesem Wege bis Lucknow. Dort gab es einen General-Gouverneur, der durch seine schönen Haarlocken berühmt war. Der General-Gouverneur diente als Mode-Journal, als Tonangeber der Civilisation, die im Lande Oude grimmig umher leckte. Hier wurde der Ganges-Händler mit einem Hofbedienten bekannt, der von Sehnsucht nach gebrannten Locken, in der Form der general-gouverneur’schen brannte. „Da ist Geld zu verdienen,“ dachte der davongelaufene englische Barbierlehrjunge, und schuf Wunderwerke auf dem Haupte des Hofbedienten, Locken, die wie polirte Operngucker um das einst glatt gekämmte Haar hingen. Der Hofbediente, jetzt Parlamentsmitglied in London, erschien, durch diese Operngucker angesehen, wie ein neuer Adam, wie ein Wunder von Civilisation, besonders dem Könige, auf dessen Haupte sich nie die unschuldigste Andeutung zu einem gekrümmten Haare hatte zeigen wollen, wahrscheinlich zur Strafe für den dort landesüblichen Despotismus, der absolut Niemandem erlaubt, dem Monarchen nur ein Haar zu krümmen und sei es auf die constitutionellste Weise. Der König fragt und forscht, der Hofbediente führt den Zauberer beim Könige ein, und dieser drechselt aus dessen Haar ebenfalls eine dichte Sammlung glänzender lackirter Operngucker. Der König freut sich wie ein junges Mädchen über ihr Brautkleid. Seine Dankbarkeit kennt keine Grenzen. Gelder und Ehren regnen auf den glücklichen Coiffeur herab. Er wird geadelt und muß sich „Sofrus Khan“ (berühmter Heerführer) schreiben. Bald ist er der Erste unter den fünf Ministern des Königs, sein Factotum, sein Alles in Allem. Nussir (des Königs Name) macht ihn zum Oberminister und Oberkellner. Aller Wein, der an seiner Tafel getrunken wird, muß durch dessen Hände gehen, und von ihm zuerst gekostet werden (der König lebte in beständiger Furcht, daß ihn seine Verwandten vergiften würden). Er sitzt neben dem Könige bei Tische. Durch seine Hände gehen alle Lieferungen für den Hof, durch seine Hände das Geld dafür. Er reicht monatlich Rechnungen ein, die ein ganzes deutsches Jahres-Staatsbudget übertreffen. Man warnt den König, der Betrug sei zu arg, „schadet nichts,“ antwortete er, „ich will nun einmal den Sofrus Khan reich machen.“ Ostindische Zeitungen, besonders der „Agra uybar“, (aus welchem mehrere vortreffliche Satyren übersetzt sind) verfolgen den Haarkräusler und Premierstaatsbarbier mit Spott und Schande; er lacht darüber und denkt: hab’ ich doch das Geld und die Macht (aus ganz demselben Grunde bekümmern sich die englischen Minister auch durchaus nicht um die englische Preßfreiheit, und Palmerston blieb Premierminister, obgleich ihn eine Zeitung in aller Form und Klarheit zehnfachen Hochverrats anklagte). Und als es dem Premierbarbier doch zu arg ward, kaufte er sich einen Mann für 70 Thaler monatlich, der auf Verläumdungen und mißliebige Darstellungen in Calcutta-Zeitungen antworten mußte. Was er sich nicht selbst berechnete als Provision, strömte ihm als Bestechung und Geschenk von allen Seiten unter ihm stehender Beamten zu. Jeder suchte sich das Glück zu verschaffen, den Mann zu spicken und zu schmieren, den der König zu ehren geruhte. Das ist ja auch anderswo die Politik aller kriechenden Insekten in unfreien Staatsgesellschaften, daß sie Dem den Seifennapf halten und den Streichriemen, der am Mächtigsten und Einflußreichsten Könige zu barbieren und Haare und Menschen zu brennen und zu krümmen versteht.

Der Oude-Premierbarbier fuhr fort, bis zum Tode des Königs Locken und andere überflüssige Dinge zu liefern und mit künstlerisch geführtem, stets gut gestrichenem Barbiermesser der englischen Civilisation einen Weg durch das Land Oude zu bahnen. Nussir war verhaßt beim Volke, wie jeder Despot, aber die Engländer machten ihn jedenfalls noch verhaßter und sich beliebt, so daß ihnen am Ende auch hier, wie in allen andern Theilen Ostindiens nichts übrig blieb, als die Anarchie und Civilisation, die sie importirt, selbst weiter zu regieren, um so mehr, als die Leute in Lucknow und andern Orten Oude’s sich fast täglich schlugen und zwar nicht selten todt. So trugen denn die Engländer die Civilisation, die vor Jahrtausenden aus Ostindien nach dem Westen wanderte, in Westen- und andern Baumwollenzeug nach dem Osten zurück, wie Viscount Canning, der neue General-Gouverneur des englischen Ostindiens, bei seinem Abschiedsfestessen in London sagte.

Wie civilisirt der Hof Nussir’s schon war, sehen wir aus einem Diner, das so geschildert wird: der Wein, der mit den Siegeln des Barbiers versehen, bei Tische erschien, bestand aus den besten Sorten Madeira, Claret, Sherry und Champagner. Der König, obgleich Muselmann, beschränkte sich ebenso wenig im Genusse des Weins als der übrige Hof. Er versicherte wiederholt, daß der Koran den Genuß des Weins nicht verbiete. Als geeis’ter Champagner ihn redselig gemacht, lobte er alle Europäer und riß seine Unterthanen herunter, obgleich die weiblichen, die ihm stets mit großen Federfächern Luft zuwehten, uns sehr untadelhaft erschienen. So wie sich der König gesetzt hatte, schwebte ein halbes Dutzend wahrhafter Feen hinter einem Gaze-Vorhang hervor, wundervoll leicht und durchsichtig prächtig gekleidet, bräunlich-brünett, wie etwa eine schöne Andalusierin, nicht dunkler, mit reichem, tiefschwarzem Haar, das mit Perlen und Silbernadeln besternt, in langen Flechten vom Hinterkopfe herunterhing. Ihre zarten, herrlichen Formen schimmerten deutlich durch die reichbeperlte Gaze hindurch. Den unteren Theil des Körpers umwallten weite, rothseidene, goldbesetzte Pygamas (türkische Beinkleider). Alle waren von zartester Regelmäßigkeit in der Körperform. Arme, Hände und Füße findet man an keiner Venus-Statue delicater. Und dazu das graziöse Leben in ihnen, die leichte Röthe auf den Wangen, das Heben des zarten Busens, wie sie ihre Federfächer leise und regelmäßig hinter dem Könige schwangen! Da wurde denn die Etikette, welche gebot, daß man gar nicht thun solle, als wären weibliche Wesen zugegen, oft genug übertreten, noch mehr als nach Tische die „Nautch“-Mädchen, die tanzenden Bajaderen, ihre graziösen Künste entfalteten.

Nach Tische war’s überhaupt wie auf einem Jahrmarkte. Possenreißer aller Art, improvisirende Dichter[1], Jongleurs, Harlekins, Taschenspieler, Schlangenzauberer, Sänger, Spieler, Marionettentheater machten nach einander ihre Aufwartung. Die „Nautchs“ sind jedenfalls das Charakteristischeste und Schönste, was man in Indien Eigenes sehen kann. Die Gestalten, die bei Hofe erschienen, waren wieder so fein, so ätherisch und elastisch, ihre Attituden im wollüstigen Nahen und neckischen Entfernen mit dem graziösen Spiele ihrer Hände auf und ab, in rundlichen, reizenden Schwingungen über den Köpfen, die Wendungen und Beugungen ihrer Körper – Alles ist reiche Musik der weiblichen Schönheit, gehoben und getragen durch das Spiel einer Laute hinter ihnen. Mich und die andern Europäer zogen diese musikalischen Gliederreize ungemein an, aber der König war ganz Auge und Ohr für das Puppenspiel, dessen hölzerne, tragische Figuren desto mehr Gelächter erregten, je schmerzvoller und leidenschaftlicher sie sich an ihren Stricken geberdeten. Das Puppenspiel war ihm etwas Neues, und um zu zeigen, wie pfiffig er sei, gab er während eines solchen Puppenspiels dem neben ihm sitzenden Barbier plötzlich einen geheimnißvollen Wink, worauf Letzterer sofort geheimnißvoll verschwand, geheimnißvoll wiederkehrte und ihm, dem Könige, geheimnißvoll etwas in die Hand drückte. Jetzt erhoben sich Se. Majestät, näherten sich dem Theater, gingen pfiffig drum herum, blieben wieder davor stehen, fuhren rasch mit der Hand über einem spielenden Helden hin und zogen die Hand plötzlich zurück, während der unschuldige, hölzerne Mime leblos vom Theater herunterpurzelte und in der seltsamsten Verrenkung unten liegen blieb. Jetzt drehte sich der König zu uns herum, über und über triumphirendes Lächeln, und nickte uns weisheitsvoll zu, als wollte er sagen: „Hatt’ ich nicht Recht, wenn ich behauptete, diese Figuren würden an Fäden gezogen? Hab’ ich sie nicht geschickt durchgeschnitten? Bin ich nicht ein ganz verteufelt aufgeklärter und pfiffiger Kerl?“ Der Barbier brüllte Beifall und lachte am Unbändigsten. Dies gefiel dem Könige so, daß er seinen Witz so oft wiederholte, als Figuren auf dem Theater erschienen, da jeder neue gelungene Schnitt mit großem Gelächter und Beifall belohnt ward, selbst durch süßes, weibliches Kichern hinter einem Gaze-Vorhand hervor, hinter welchem die Schönheiten des Harems zusahen.

Der Puppenspieler ward für seine gemordete Maschinerie, wie immer, reichlich beschenkt, Wein und Gesang circulirten reichlicher und wilder. Alle plauderten und jubelten durch einander, der König


  1. Unter ihnen spielte besonders Einer mit Namen Peerun eine fast eben so glänzende Rolle als der Barbier. Er war einmal schmutzig als Bettler und Waldmensch plötzlich vor den König getreten und hatte ihn angedichtet. Dies gefiel ihm so, daß er ihn sofort zu sich bestellte, ihn adelte und unter die höchsten Personen des Hofes aufnahm. Hier ward er, wie der Barbier, mit Ehren und Geschenken überhäuft, so daß der einst halbnackte, halbverhungerte Naturdichter wie ein Gott dastand. Bei uns findet die natürliche Poesie nicht so schnelle Anerkennung.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_439.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)