Seite:Die Gartenlaube (1855) 426.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)


Die Homöopathie,

ein Gewebe von Täuschungen, Unwissenheit und Unwahrheiten
im Interesse der Volksaufklärung beleuchtet von Prof. Dr. Bock in Leipzig.


Die Homöopathie, von Samuel Hahnemann im Jahre 1790 entdeckt, ist eine angeblich nur auf Erfahrungen und Experimente gegründete, in Wirklichkeit aber durchaus unwissenschaftliche, daher auch vom Laien leicht zu erlernende Heilmethode, welche auf folgenden drei Sätzen fußt. 1) das Wesen der Krankheiten beruht in ihrer äußern Erscheinung (in ihren Symptomen); die Ursache dieser Symptome ist auf keine Weise erkennbar und man braucht sie zu ihrer Heilung auch gar nicht zu kennen. 2) jeder Krankheitsfall wird am schnellsten und sichersten durch dasjenige Arzneimittel geheilt, welches im gesunden Körper möglichst ähnliche Erscheinungen hervorbringt (d. i. das Aehnlichkeitsgesetz, similia similibus); 3) von den homöopathischen Heilmitteln ist immer nur ein einziges auf einmal und in sehr kleiner Gabe zu reichen. Eine Hauptregel dabei ist die, daß man dieses Mittel gehörig auswirken lassen muß, ehe eine zweite Gabe desselben Mittels oder ein anderes gegeben wird. – Diese Grundsätze sind nun alle drei grundfalsch und es ist deshalb die Homöopathie nichts als ein Gewebe von Unwahrheit, Täuschung und Unwissenheit.

Ehe wir die Grundsätze der homöopathischen Heilmethode, sowie ihren Gründer und ihre Anhänger beleuchten, möge allen Denen, welche bei dieser Heilmethode Krankheitserscheinungen bei Menschen oder Thieren verschwinden sahen, hiermit gesagt sein, daß der menschliche wie thierische Organismus von Natur so eingerichtet ist, daß Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der festen oder flüssigen Körperbestandtheile (d. s. die Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald schneller bald langsamer gehoben werden (d. s. die Naturheilungsprocesse) oder welche wohl auch bleibende, mehr oder weniger beschwerliche Entartungen, ja selbst Absterben des erkrankten Theiles und des ganzen Körpers veranlassen. Stets sind es die Naturheilungsprocesse, welche die Heilung bei homöopathisch Behandelten bewirkten, niemals die homöopathischen Heilmittel, die gleich Nichts sind. Daß Schmerzen sehr oft plötzlich und ohne alle Hülfsmittel verschwinden, ist eine allbekannte Tatsache und beruht ebenfalls auf ganz natürlichen Gründen.

Man beobachte einmal, was ein eingestochener Splitter für Erscheinungen hervorruft. Zuvörderst bildet sich in seinem Umkreise eine Anhäufung von Bluth in den feinsten Aederchen (Entzündung mit Röthe, Hitze, Geschwulst und Schmerz) und sehr bald tritt aus diesem Blute eine Feuchtigkeit (Ausschwitzung, Exsudat) heraus, welche entweder durch Gerinnung fest wird oder sich zu Eiter umbildet. Der letztere kann dann durch Vereiterung der umliegenden Festtheile die Entfernung des Splitters veranlassen, während die Umwandlung des geronnenen Ausgeschwitzten zu narbig-fasrigem Gewebe die Einschließung (Isolirung, Abkapselung) und somit ein Unschädlichmachen des Splitters nach sich zieht. Wer diesen regelmäßig erfolgenden Proceß der innern homöopathischen Anwendung der Arnica zuschreiben wollte, müsste in das Irrenhaus gebracht werden. Ebenso kommen aber auch bei innern Krankheiten Naturheilungsprocesse zu Stande. – Würden die Anhänger der Homöopathie einige Male in Fällen, wo sie sonst homöopathische Mittel (bei Menschen und Thieren) einnehmen oder eingeben, dies nicht thun und nun auf den Effekt des Naturheilungsprocesses warten, sie würden sicherlich bald die Wahrheit der obigen Behauptung erkennen. Aber freilich die enthusiastischen Anhänger der Homöopathie wollen nicht hören, nicht sehen und durchaus nicht durch Versuche aufgeklärt werden.

I. Die Krankheitserscheinungen.

Die neuere oder physiologische Medicin ist mit Hülfe der pathologischen Anatomie und physikalischen Diagnostik dahin gelangt, die Ursache der meisten Krankheitserscheinungen in bestimmten materiellen Veränderungen zu finden, und gleichzeitig auch zu wissen, daß sehr oft dieselben in regelwidrigen Empfindungen und in Funktionstörungen bestehenden Krankheitserscheinungen, wie sie den Homöopathen bekannt sind, den verschiedenartigsten Krankheiten zukommen. Deshalb glauben aber auch nur noch die Stockhomöopathen, welchen die Fortschritte der Wissenschaft unbekannt geblieben sind, an den von Hahnemann aufgestellten und als Grundlage für das Aehnlichkeitsgesetz dienenden Satz: „daß man als Arzt von der Krankheit nur die äußeren Erscheinungen, nicht aber die innere Ursache zu wissen brauche und wissen könne.“ Neuere, von der jetzigen Medizin oberflächlich beleckte Homöopathen, welche sogar die Kenntniß des gesunden und kranken menschlichen Körpers zum Heilen desselben nicht ganz verachten, ignoriren diesen Satz ganz oder sagen: Hahnemann habe zu seiner Zeit mit Aufstellung dieses Fundamentalsatzes ganz recht gehabt, allein für die Jetztzeit, wo die Wissenschaft doch bei vielen Krankheitserscheinungen die materielle Ursache ergründet habe, passe er nicht mehr. Damit haben diese Herren nun aber der Homöopathie den Kopf abgeschnitten und es läuft von dieser Unglücklichen nur noch der Rumpf (das Aehnlichkeitsgesetz) mit dem Schwanze (den homöopathischen Gaben der Arzneimittel), der aber auch schon tüchtig verschnitten ist, in der Welt umher. Diese abtrünnigen Junghahnemannianer (welche nicht selten auch gleichzeitig, nach Hahnemann, Bastard-Homöopathen sind, d. s. Streukügelchen-Allopathen, welche da wo die Natur allein wirken kann anstatt Mandelmilch ihre Streukügelchen geben, wo aber eine ärztliche Wirkung nöthig ist, allopathische Mittel in großer Gabe verordnen) gehen manchmal auf das Wesen der Krankheit (die materielle Veränderung) ein, oft auch wieder nicht und haben so einen Mischmasch von homöopatisch-allopathischer Pathologie (z. B. Cl. Müller’s Familienarzt) gegründet. Sie wollen den Kranken sogar physikalisch (durch Besehen, Befühlen, Beklopfen und Behorchen) untersucht wissen. Nun wäre dies zwar recht schön, aber es passen dazu ihre üblichen, auf das Aehnlichkeitsgesetz basirten Heilmittel nicht mehr und von solchen Mitteln, welche die den Krankheitserscheinungen zu Grunde liegenden materiellen Veränderungen hervorbrächten, wagen die Junghahnemannianer doch nicht als von ihnen erprobten zu schreiben. Es sollte den Herren aber auch schwer fallen, Jemandem weißzumachen, daß sie eine Lungenverdichtung oder Erweiterung, Anhäufungen von Flüssigkeiten im Herzbeutel, in der Brust- oder Bauchhöhle, Tuberkelknötchen u. s. f. bei einem Gesunden künstlich darzustellen vermögten. Da sie dies nun nicht können, so machen sie sich allopathische Krankengeschichten und Arzneistoffe homöopathisch zurecht und versuchen dies für einen wissenschaftlichen Fortschritt der Homöopathie zu erklären. Wer aber denken kann, muß einsehen, daß mit dem Wegfall des ersten homöopathischen Fundamentalsatzes die ganze Homöopathie fällt.

II. Das Aehnlichkeitsgesetz.

Aehnliches heilt Aehnliches ist der Grundsatz, welchem die Homöopathie ihren Namen verdankt (vom griechischen Worte homoios, ähnlich) und welche Hahnemann bei Prüfung der Chinarinde gefunden haben will. Diese Rinde soll nämlich eben so sicher, wie sie Wechselfieber heilt, auch bei Gesunden einen dem Wechselfieberanfalle ähnlichen Zustand erzeugen können. Ebenso sollen auch viele andere Arzneistoffe, selbst solche, welche von der Chemie als völlig indifferente, im menschliche Körper unlösliche und unwirksame erklärt werden, von Gesunden in größern Gaben genommen, einen Complex von Erscheinungen veranlassen können, welche bestimmten Krankheiten zukommen. – Dieses Aehnlichkeitsgesetz beruht nun aber ganz und gar auf Täuschung und Unwahrheit. Denn die fiebervertreibende Chinarinde erzeugt, wie viele Versuche dargethan haben, niemals den einem Wechselfieberanfall ähnlichen Zustand, ebensowenig wie die folgenden Mittel denen ähnliche Zustände erzeugen, wo sie empfohlen werden, wie Jod bei Kropf, Borax bei Schwämmchen, Chamille bei Mandelbräune, Spongia bei Croup, Belladonna bei Keuchhusten, Aconit bei Lungen- oder Herzentzündung, Eisen bei Bleichsucht, Bryonia bei Gelbsucht, Schwefel bei Hypochondrie und Hysterie, Lycopodium bei eiterigem Urin, Gold bei Hodengeschwulst, Graphit bei Wasserbruch u. s. w. Von der Unwahrheit dieses Gesetzes kann man sich sehr leicht durch Prüfungen der indifferenten, also ganz unschädlichen Mittel (wie Kohle, Graphit, Blattgold und Silber, Bärlapp, Silicea etc.) an Menschen, sowie bei Thieren überzeugen. Man fabricire doch einmal einem Pferde folgende krankheitsähnliche Zustände, wie durch Schwefel die Pörzelseuche oder Piephacke, durch Lycopodium die Brustwassersucht und Gallen, durch Sepia den Samenkoller oder eine Hufspalte u. s. f. – Eben weil das Aehnlichkeitsgesetz ganz und gar auf Unwahrheit beruht, sind die Homöopathen auch nicht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_426.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)