Seite:Die Gartenlaube (1855) 381.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

umher und hatten nicht übel Lust, mit dem bildhübschen Mädchen zu kurzweilen.

„Helft Ihr tragen, statt mattflügelicher Späße,“ rief ihnen Lips zu, „das wäre besser!“

„Wollen Deinen Verdienst nicht verkürzen!“ höhnten jene zurück. „Wenn aber ein Kuß von dem Mädchen Dein Lohn ist, so helfen wir Alle gegen Halbpart!“

„Bah! Nun brauchen wir Euch nicht,“ rief Lips zurück, und sie setzten eben den Vordertheil des Kastens auf den Rand des Bootes, wo er hart aufstieß.

„Sachte! Sachte!“ ries Elsje. „Bricht uns der alte Kasten, so fallen alle die kostbaren Bücher in’s Wasser! Dann will ich’s nicht theilen!“

Wieder hoben sie nun sanft, und nun stand er ruhig auf dem Boden des Bootes, der Länge des Kiels nach.

„Das war ein Stück Arbeit,“ sagte Lips, der Soldat, indem er sich den Schweiß trocknete, „das mehr als ein „Steuverkje“ werth war. Ich hoffe, Piet, Du läßt Dich nicht lumpen!“

„Nein, das thu ich auch nicht!“ sagte Piet und reichte ihm Münze. „Nun heb’ aber auch langsam das Boot ab, bis es flott ist.“

„Danke!“ rief fröhlich über die reichliche Gabe der Soldat, und faßte das Boot an.

Carajo! Da muß man Spanisch fluchen!“ rief er aus. „Man meint, ganz Löwenstein wär’ im Boote!“ – Endlich war es flott.

„Weißt Du was, Piet,“ rief er ihm zu, „wenn wir uns in die Fracht zu theilen hätten, so wüßt ich schon, was ich mir wählte!“

„Kämst zu spät!“ lachte Piet, und das Boot rang mit den hochgehenden Wellen. Piet war indeß ein Pilote, der sich darauf verstand, Wind und Wellen zu beherrschen. Es blieb ihm jetzt, wo der „steife West“, wie der Schiffer sagt, ihm geradezu entgegen wehte, nichts übrig, als die „Brassen“ wirken zu lassen und zu laviren. An ein Helfen mit den Riemen wurde nicht gedacht, denn es wäre fruchtlos gewesen.

Elsje winkte jetzt mit dem Tuche. Es war ein Zeichen, das sie gegen das Fenster oben im Schlosse gab, und das alsogleich verstanden wurde, denn man sah das Fenster weit sich öffnen, wieder sich schließen und das drei Mal wiederholen. Lips, der Soldat, meinte aber, es gälte ihm, und freudvoll warf er die Lederkappe in die Höhe und rief: „Gute Reis’, Du liebes Meisje!“

Elsje und Piet war es gerade nicht zum Lachen, aber über beider Antlitz, die sich gerade in diesem Augenblicke bedeutsam ansahen, flog denn doch ein siegesgewisses Lächeln, das allerdings nicht ohne Spott über die starke Täuschung des Soldaten war.

Je näher indessen der Abend heranrückte, desto heftiger der Westwind seine Flügel hob.

„Der West hat eine gute Lunge,“ sagte Piet. „Ging’s jetzt kurzweg abwärts, bah! dann wär’s eine Lust, denn mein Boot, das ohnehin mit dem Kiele anders schneidet, weil es länger und schmäler ist als dies tonnenartige Ungethüm von Anno I, würde fünf in einer Stunde bei solchem Winde zurücklegen und bald außer Sicht von Gorkum und Löwenstein sein! ’S giebt eine schlimme Fahrt! Wenn nur Alles in Ordnung ist!“

„Das ist’s!“ sagte Elsje.

„Nun, so müßt Ihr alle Geduld haben!“ entgegnete sehr laut und das „Ihr“ sehr scharf betonend, Piet.

Aber trotz der „Brassen,“ trotz des Lavirens rückte das schlecht gebaute Boot nur langsam vor.

Schon war längst die Sonne zur Rüste gegangen. Das Werft war von Arbeitern leer; im Hafen von Gorkum war es auch stille. Droben aber am Himmel jagte der Wind dunkle Wolken in großen Massen hin, die sich im Osten wie ein gewaltiger Wall zusammenballten, und dieser Wall rückte immer weiter gegen den Zenith vor. Der Wind wurde heftiger, fast orkanartig, und die Wellen des Stromes thürmten sich und brachen ihre weißen Kämme, daß es fast das Ansehen der See hatte. Elsje bebte vor Angst. Ihre Blicke hingen an dem ernsten Gesichte Piet’s, der jetzt nur Sinn für die Ausübung seiner Pflicht zu haben schien.

„Ist’s gefährlich, Piet?“ fragte sie halblaut.

Wie auch der Wind pfiff, er verstand sie doch.

„Kind, theures Elsje,“ sagte er, „Gefahr ist keine, wenn uns der Wind das alte Segel ganz läßt!“

Eine glückliche Wendung, die Piet in diesem Augenblicke mit dem Steuerruder machte. ließ einen vollen Athemstoß des Windes in das gebauchte Segel, eine Welle hob das Boot rasch und ließ es in weiter Entfernung den Rücken einer zweiten besteigen, die es dem Lande um ein Erstaunliches näher brachte.

„So!“ sagte Piet selbstbefriedigt. „Das war ein gelungenes Manöver! Noch eins so, und Dein Vater und Bruder dort auf dem Hafendamme brauchen nicht mehr so ängstlich nach uns auszuschauen!“

Elsje blickte dorthin und erkannte nun die genannten Personen auch.

Piet gelang das Manöver noch einigemal, das er eben mit Glück und Geschick vollendet hatte, und nach Verlauf von etwa funfzehn Minuten legte er am Ufer an.

Van Houwening hatte eine Bahre mit Tragriemen. Die Ausladung des Kastens ging ruhig, aber schnell vor sich. Piet zahlte dem herbeigekommenen Vermieter des Bootes seinen Lohn, übergab ihm das Boot und der Kasten wurde nach Jakob Daatselaar’s Hause gebracht, wohin Elsje voran eilte.

Kobes Daatselaar war allein mit Elsje im Gemache als sie den Kasten rasch öffnete.

Daatselaar stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als er in dem Kasten eine zusammengekauerte, todtbleiche Menschengestalt liegen sah; denn er meinte, es sei eine Leiche.

„Stille, um Gotteswillen!“ rief Elsje, reichte dem Manne eine Hand und mühsam erhob sich – Hugo de Groot.

Daatselaar stand sprachlos vor Schrecken dabei als Herr de Groot seine Glieder dehnte und reckte, um in den gehörigen Gebrauch derselben sich wieder zu versetzen.

„Daatselaar,“ sagte er, „ich habe mich vertrauensvoll in Eure Hände gegeben. Ihr werdet nicht weniger großmüthig sein als dieses Mädchen und ihre Angehörigen und mein treffliches Weib! Helft mir nun, ich bitte Euch, weiter!“

„In welche Gefahr setzet Ihr mich!“ rief ganz außer sich Daatselaar. „Ich kann nicht mich und meine Familie Euch zum Opfer bringen! Muthet es mir nicht zu!“

Elsje war hinaus geeilt. Sie hatte schnell der Frau des Kobes Daatselaar die Rettung des Gefangenen erzählt und sie angefleht, daß sie helfe, wo ihr Mann feig es verweigere.

Frau Daatselaar war ein hochherziges Weib. Sie sah ihren Bruder an, der dabei stand und ein Maurer war.

„Wie ist’s Claas?“ fragte sie. „Willst auch Du durch feiges Weigern die Schuld eines Menschenlebens auf Dich nehmen?“

„Blexem! Nein!“ rief dieser. „Da muß geholfen werden und schnell! Wohin soll der Mann?“

„Nach einem Boote am Hafenende!“ sagte fast atemlos Elsje.

„Ist er groß?“ fragte der Maurer.

„Er ist genau von Eurer Statur!“ erwiederte das Mädchen.

„So wart’ einen Augenblick, Elsje!“ rief er, sprang die Treppe hinauf und kam bald mit einem Bündel zurück.

Er schob die beiden Frauen zur Seite, trat in die Stube, warf das Bündel hin und sagte: „Geh’ in die Küche, Kobes, Deine Frau erwartet Dich!“

Daatselaar, froh, sich frei zu sehen, eilte in die Küche, wo ihn eine Strafpredigt seiner Frau empfing, die gesalzt und gepfeffert war.

Da die Frau einen gewichtigen Pantoffel im Hause übte, so schwieg er und setzte sich zum Herde, wo das Feuer zur Abendsuppe glomm. Elsje stand mit pochendem Herzen und gefaltenen Händen in der Nähe der Thüre, welche in den Hof des Hauses führte. Ihre Seele betete brünstig für die theure Frau, die in des Gatten Zelle zu Löwenstein war und für die glückliche Rettung des Gatten, für den sie sich so heldenmüthig hingegeben.

Noch war keine lange Zeit verlaufen, da traten aus der Stube zwei Männer in fast gleicher Tracht. Es war der Maurer und de Groot. Dieser trug ein grobes altes Frieswamms, Hosen von gleichem Stoffe, eine Schürze von blauem Linnen, wie sie die Maurer tragen, eine alte Mütze und Winkelmaß und Kelle in der einen, den Maurerhammer in der andern Hand. Niemand würde ihn so erkannt haben.

Hugo de Groot sagte zu Daatselaar: „Ich zürne Euch nicht! Gott lohn’s!“ flüsterte er seiner Frau zu, und zu Elsje tretend, sagte er: „Kind, Kind, ich kann Dir’s nie lohnen, aber der Segen von Oben wird Dich begleiten! Dank, Dank! – Grüße Sie! Gott schütze uns Alle!“

Dann zog ihn der Maurer schnell zur Thüre hinaus.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_381.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)