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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Mietje ist jetzt vierzehn Jahre alt und ein anstellig Ding, dabei gut und barmherzig gegen jegliches leidende Wesen.“

„Du gutes Kind,“ sagte dankbar die Wittwe. „So hast Du also schon für mich gesorgt?“

„Warum denn nicht?“ sagte Elsje. „Man muß an Alles denken. Das Mietje wird Piet waschen und flicken und die Mutter wird’s schon anleiten und unterstützen. Erhört aber der liebe Herr unsere Gebete, so habt Ihr gewiß nicht viel zu leiden von Eurem Umstand.“

Noch viel wurde hin und her gesprochen. Die Dunkelheit war gekommen und Elsje dachte an’s Heimgehen.

Da hörte man plötzlich Stimmen, die näher kamen. Es waren Elsje’s Brüder, Jan und Claas, die der Mutter van Halver und dem ehrlichen Piet noch ein Lebewohl sagen wollten. Jan war stille und ernst, Claas voll freudigen Hoffens. Nach kurzem Gespräche schüttelten sie den guten Nachbarn und Freunden die Hand, wünschten ihnen Glück und Segen, empfingen die herzlichsten Wünsche und Segnungen zurück und schickten sich zur Heimkehr an.

Elsje lag weinend an der Brust der Alten, die sie tief bewegt segnete. Endlich riß sie sich los und reichte Piet die Hand.

„Ich gehe noch mit Dir,“ sagte er mit bebender Stimme und faßte mit Hast die theure Hand in der seinen. So schieden sie alle Vier und wandten sich gegen van Houwening’s Garten. Jan und Claas gingen voraus, und Claas sagte seinem Bruder, daß er von Meister Cornelis van Breigem, seinem Patron, gehört habe, er könne Jan jährlich drei- bis viermal in Haarlem besuchen, wenn er von Leyden, wo er hinkomme mit het Lammetje, hinüber liefe.

„Das kann und werde ich,“ sagte er fröhlich, „denn ich kann laufen, wie ein Hase, Jan, und um Dich zu sehen, soll mir’s nicht zu weit sein!“

Während die Brüder sich und namentlich der frische, gutmüthige Claas dem stillen, gemüthvolleren Jan das Scheiden leicht zu machen suchten, fühlten zwei Herzen, etwa zwanzig Schritte hinter ihnen, seine ganz Last und Bürde.

Sie sprachen fast kein Wort, aber ihre Hand hielt Piet fest in der seinen, und nahe dem Garten van Houwening’s preßte er das Mädchen plötzlich an seine Brust und sagte: „Bleib mir hold und treu!“ Dann riß er sich los und verschwand im Dunkel der nun in ihre volle Herrschaft getretenen Nacht.



III.

Am andern Nachmittag lichtete het Lammetje die Anker. Van Houwening’s ganze Familie stand auf dem Hafendamme und an einem der Krahnen lehnte Jan van Halver. Seine trüben Blicke sahen nur eine Gestalt, die mit dem Taschentuche winkte. Er antwortete mit dem Schwenken seines Südwesters. Lange dauerte dies Grüßen, bis eine Biegung des Flusses den Rumpf des Lammetje den Blicken entzog; aber an dem vom Thalwinde geschwellten Segel hafteten die Blicke, bis auch es in weiter Ferne verschwand; da erst fühlte der Jüngling recht tief seinen Verlust. – Als van Houwening sich zur Heimkehr umwandte, sah er Jan am Krahnen lehnen. Der Jüngling schien Alles um sich vergessen zu haben, ja, es war, als sähe er den Vater Elsje’s nicht, bis er ganz nahe bei ihm stand. Seine Blicke folgten noch der Richtung des Schiffes.

„Neef Piet,“ sprach der Gärtner, „Dir geht’s, wie mir; aber blick’ da hinauf, wo der Himmel so blau ist. So weit seine Bläue reicht, waltet der Arm des Herrn über ihnen!“

„Ich weiß es!“ sagte Jan leise; – „aber – “

„Es that weh, das Scheiden,“ fuhr ergänzend der Gärtner fort; „es ist wahr. Dagegen giebt’s nur ein Heilmittel – Glauben und Arbeiten!“

„Ihr habt recht, Ohm Claas,“ entgegnete der Jüngling. „Das Recept ist gut. Ich will’s in Ehren halten. Ich wollte gestern zu Euch kommen –“

„Thue es heute, Neef Piet,“ fiel der Gärtner ein.

„Nein,“ sagte Piet, „ich kann nicht! Ich will’s Euch hier sagen: Ihr habt sechs rüstige Arme verloren; ich biete Euch zwei dafür, da ich nicht mehr habe; aber sie sollen viere ersetzen!“

Der Gärtner drückte seine Hand. „Ich danke Dir, Neef Piet!“ sprach er mit Bewegung. „Ich werde sie vermissen, das ist wahr, und wenn ich die zwei wackeren Arme brauche, die Du mir anbietest, so komm’ ich, und hole mir sie. Ich weiß, sie folgen einem treuen Gemüthe.“

Damit war das Geschäft abgethan und stille ging Jeder seiner Wohnung zu.

Was treu und wahr gemeint und gesagt wird, bedarf vieler Worte nicht. Sie kannten sich genau; Piet’s Vater war der treue Freund des Gärtners gewesen durch’s ganze Leben, und die Mütter waren gorkumer Nachbarskinder und treue Freundinnen. Durch lange Freundschaft waren die Familien fast Eine geworden und ohne daß darüber geredet worden wäre, billigte man Elsje’s und Piet’s Liebe und sah beide als künftige Ehegatten an, wenn anders die Umstände es erlaubten. Piet warf sich mit ganzer Kraft in’s arbeitsvolle Leben. Sein Vater war Gemüsegärtner gewesen und Piet hatte dies Geschäft gelernt; als aber der Vater starb, da mußten die besten Ländereien für die Schulden veräußert werden, und was übrig blieb, reichte zum Betriebe nicht mehr aus. Piet entsagte ungern seiner lieben Gärtnerei, mußte es aber. Er war indessen ein äußerst anstelliger Junge, der besonderes Geschick zum Schiffbau hatte. Einst schnitzte er ein Seeschiff und stellte es im Kleinen vollkommen her, zierlich und nett. Dies trug er zu dem reichen Schiffbauer van Herseele, der auf dem gorkumer Werft eine erste Größe war. Der Mann sah sich das kleine Modell eines solchen Fahrzeugs genau an, und als er sich überzeugt, daß Piet es ohne Beirath und Hülfe gemacht, kaufte er es ihm um einen schönen Preis ab und nahm ihn als Junge in Dienst. Seitdem war Piet Schiffszimmermann geworden, und van Herseele war mit ihm so zufrieden, daß er ihn schon nach einem Jahre zum Gesellen machte. Da verdiente Piet viel Geld. Sein Feld bestellte er in den frühesten Morgenstunden, wenn ganz Gorkum noch in den Armen des Schlafes lag, und zu rechter Zeit war er auf dem Werft. In den freien Feierabendstunden baute er sich einen Kahn, zu dem Herseele, der seine Freude an ihm hatte, ihm das Holz schenkte. Mit diesem setzte er dann in den Feierabendstunden Leute über und war bald der beliebteste, weil sicherste Kahnführer. Kamen die Offiziere der Besatzung von Schloß Löwenstein nach Gorkum und hielten sich dort bis nahe der Stunde auf, da der Kanonenschuß vom Schlosse die Thorschluß- und Appellstunde meldete, kamen sie eilfertig in den Hafen, und riefen sie nur: „Piet! Schnell!“ Und Piet war da und sein Kahn schnitt durch die Wellen wie ein Pfeil, der von der Sehne des Bogens geschnellt wird, und zur guten Stunde landeten sie. Dafür wurde er dann reichlich belohnt.

Man sah ihn in keinem Wirthshause, bei keinem Tanze, nirgends, wo das junge Volk der Lustbarkeit nachgeht. Seine Sonntage brachte er in der Kirche, und nach dem Gottesdienst bei Ohm Houwening zu, wo der alte Gärtner im Worte Gottes las und Gebeststunde hielt; dann waren alle im Garten im traulichen Umgang und Gespräch, oder sie gingen gegen Abend alle zusammen auf dem Uferdamme spazieren. So führten sie ein harmlos Stillleben, wie es die Sitte in vielen Familien pflegte.

Piet konnte seine liebe Mutter ehrlich und auskömmlich nähren, aber das, was er eigentlich im Auge hatte, wollte ihm, trotz seiner Anstrengungen, nicht gelingen. Immer noch hing seine Seele an der Gärtnerei. Die Ländereien seines ehemaligen väterlichen Besitzthums wieder an sich zu bringen; ein Treibhaus sich zu erbauen und dann ganz Gärtner zu werden, war sein Ziel, darauf alle sein Sinnen, Dichten und Trachten gerichtet war – und dann – Elsje als Tochter seiner alten Mutter zuführen. Wohl hatte er sich einmal ein Sümmchen erspart, aber eine lange Krankheit der Mutter zehrte es wieder auf, und seitdem hatte die Ungunst der Zeit und der Verhältnnisse es dazu nicht mehr kommen lassen. Er arbeitete aber unverdrossen fort und sagte: „Wir sind noch jung, Elsje und ich; vielleicht giebt uns Gott doch noch Segen, daß ich mein Ziel erreiche.“

Wie tief ihn auch die Trennung von Elsje gedrückt und gebeugt, in der Arbeit und im gläubigen Aufblick zu dem Herrn fand er Trost, und als nun gar ihre Briefe ihre Grüße brachten, trug er’s leichter und dachte: „Sie wird ja wiederkommen!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_352.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)