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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Blätter und Blüthen.

Ausgesuchte Rache. In den vierziger Jahren lebte unter den Linden zu Berlin ein gelehrter Doctor und Hofrath, der, schon von jeher eine notorisch-komische Berühmtheit, plötzlich durch seine Heirath und deren Entwickelung auf ein paar Tage ausschließliches Stadtgespräch ward. Er hatte eine unermeßlich reiche Erbin aus Amerika geheirathet, die expreß nach Berlin gekommen war, um den berühmten Hofrath zu fangen. Sofort nach der Trauung war sie mit Hinterlassung einiger Papiere verschwunden. Die Papiere sagten, daß sie eine von einem Engländer gekaufte liederliche Person sei, expreß gesandt, um den Hofrath auf ewige Zeiten lächerlich und moralisch todt zu machen. Der Engländer hatte nämlich bei seiner Abreise von Berlin seine Geliebte dem Hofrath anvertraut und ihm für sie und deren Kind Jahre lang Geld geschickt, nachdem letzterer ihm die glückliche Entbindung der Geliebten gemeldet. Nachdem der Hofrath Jahre lang Berichte über die Geliebte und die herrliche Entwickelung des Kindes eingesandt und dafür die regelmäßig einlaufenden Geldsummen empfangen hatte, erfuhr der Engländer, daß die Geliebte bei der Entbindung mit sammt dem Kinde gestorben sei. Die Rache des Engländers bestand in der Heirath des Hofraths, die ihn aus Berlin trieb. Dies war eine ausgesuchte Rache. Noch künstlerischer und kostbarer war die eines andern Engländers, den noch ganz Paris durch die Opernguker bewundert, so oft er in seiner Loge der großen italienischen Oper erscheint, obgleich er dort Stammgast ist. Er gilt für einen großen Kunst-, besonders Gemäldekenner. Zu diesem Rufe kam er besonders durch die Art, wie er sich an einem Künstler rächte. Er war einer von jenen beduinenartigen Engländern, die in allen ersten Hotels Europa’s zu finden sind, wenn sie der Abwechselung halber nicht einmal in Aegypten, Indien, China oder am Cap der guten Hoffnung reisen. Er reis’te stets und zwar immer mit seiner jungen, schönen Frau, die um so reizender und liebenswürdiger erschien, da sie ihre jugendliche Heiterheit, Schönheit und Lebenslust neben ihrem glatten, steifen, kaltblütigen, trockenen, gemessenen, vornehmen Gatten entwickelte. In Rom wurde das englische Paar mit einem deutschen Maler bekannt, der als praktischer Künstler und Kunstkenner berühmt war. Er erbot sich, dem Paare als Cicerone durch die reichen Kunstschätze zu dienen. So verbrachten sie manche Stunden, Tage und Wochen zusammen im Museum des Capitols, im Vatikan, im St. Peters-Dom und in den Umgebungen Roms, wobei sich die persönliche und geistige Ueberlegenheit des Künstlers über den in Vornehmheit und Etikette eingesteiften Engländer so sehr herausstellte, daß die Frau desselben unwiderstehlich zu ihm hingezogen ward, zumal da er selbst zu ziehen verstanden haben mag. Erst nach manchen Monaten überzeugte sich der Engländer von der Untreue seiner Frau, nahm von dem Maler mit den Worte: à revoir! (auf Wiedersehen) Abschied, kehrte nach England zurück und lieferte seine Frau höflich und galant in dem Hause ihrer Aeltern ab, nachdem er ihr höflich und galant seine in Rom gemachte Entdeckung mitgetheilt hatte. Sofort verreis’te er wieder nach Deutschland, Rußland, Italien u. s. w., ohne jemals etwas Anderes zu besehen als Gemälde, ohne etwas Anderes zu thun als Gemälde zu kaufen. Nachdem er dieses Geschäft zwei Jahre lang getrieben, begab er sich wieder in einem ziemlichen Fuder von Gemälden nach Rom, suchte den Maler auf und verlangte Genugthuung von ihm.

Der Engländer hatte als der beleidigte Theil die Wahl der Waffen und forderte ihn auf Pistolen. Die Herausforderung ward angenommen und Tag und Ort des Duells festgesetzt. Mit dem ersten Schusse zerschmetterte der Engländer seinem Gegner das Handgelenk der rechten Hand dermaßen, daß sie ihm[WS 1] amputirt werden mußte. Nach dieser Operation erschien der Engländer wieder, ohne sich abweisen zu lassen und sprach:

„Sie denken vielleicht, daß damit meine Rache befriedigt sei. Aber dann unterschätzen Sie die entsetzlichen Qualen, die Sie mir bereitet, sehr. Mein zerstörtes Herzensglück verlangte mehr. Ich habe Sie zu einem Leben ewiger, vergeblicher Reue verdammt, zu einem lebendigen Tode als Künstler, zur ewigen Qual über Ihren ausgelöschten Ruhm.“

„O, nein!“ antwortete der Künstler, „den Ruhm meiner Madonna in Petersburg, meines Luther in Berlin, meiner Flucht nach Aegypten in Paris, meiner –“

„Genug,“ unterbrach ihn der Engländer, „ich habe hier eine Liste aller Ihrer Gemälde. Ist sie vollständig?“

„Ja,“ sagte der Maler nach Ueberblickung der Liste, „selbst bis zu dem letzten Gemälde, das ich kurz vor dem Duell vollendete.“

„So dachte ich selbst. Ich war sehr gewissenhaft,“ antwortete der Engländer. „Ihre Gemälde sind alle mein. Ich habe sie sämmtlich aufgekauft, um über Ihren Ruhm als über mein rechtmäßiges Eigenthum nach Belieben zu verfügen. Es beliebt mir nun, alle Ihre Gemälde sofort zu verbrennen, damit keine Spur von Ihrer Wirksamkeit als Künstler übrig bleibe, damit sie auf ewig aus der Reihe der berühmten Namen gestrichen bleiben. Von Ihrer Hand soll eben so wenig übrig bleiben als von der fleischlichen Hand, die ich Ihnen zerschmetterte, so daß sie amputirt werden mußte.“

Der Künstler bat vergebens um Gnade. Der vor Jahren beleidigte Gatte war so unversöhnlich, als hätte er die Entdeckung von dem Liebesverhältnisse eben jetzt erst gemacht. Nach zwei Stunden brachte der Diener eine große Urne voll Asche mit einem kurzen Briefe, welcher meldete, daß die Urne Alles enthalte, was von seinen Gemälden übrig sei.




Windstille mit Tragödie. Schrecklich sind Stürme auf dem Meere, aber bei Weitem entsetzlicher ist ein Feind auf den tropischen Gewässern, die Windstille. Wenn sie sich um Segelschiffe lagert und es auf dem flüssigen Elemente unter den gerade herabglühenden Sonnenstrahlen festnagelt, die letzten Reste des Wassers und dann das Blut und Mark in den Menschen ausdörrt, ohne daß sich Jemand schützen und wehren kann, dann erreicht die Grausamkeit der Natur ihren höchsten Grad, von dem man sich kaum in der brennendsten Sandwüste Afrika’s einen Begriff machen kann. Von einem Journale eines unlängst nach England zurückgekehrten Schiffes entnehmen wir eine Skizze solcher Windstille, welche eine der einfachsten aber entsetzlichsten Tragödien einschließt.

Das Schiff lag glühend auf dem Wasser, das von Unten heiß emporathmete, während die Sonne sengend herabschoß. Es lag bewegungslos auf der glühenden, festen Platte des Wassers seit drei Tagen und Nächten. Niemand konnte mehr in den üblichen dünnen Schuhen über das Deck gehen: es brannte durch. Der Pech- und Oelanstrich war in harten Zacken und Splittern aufgesprungen, und die Verpichung zwischen den Planken mußte durch forwährendes Begießen gehalten werden, da sie überall herauszuschmelzen drohte. Das Trinkwasser in den Fässern unten war zu einem zähen Leim zusammengetrocknet und so geschwunden, daß auch Besorgnisse wegen dieses Labsals laut wurden. Auf dem Meere hatte sich eine dicke Haut gebildet, welche nur hier und da von den umherlauernden Hayfischen zerrissen ward. Sie warteten, wie die Matrosen steif und fest behaupteten, auf einen Jonas, auf ein Opfer, das ihnen vom Schiffe bestimmt war. Zwei Seegänse (Albatrosses) waren hoch über dem Schiffe schwebend entdeckt worden. Diese galten ihnen als Vorboten der Erfüllung dieser Bestimmung. Merkwürdig genug, daß sie in ihrem Aberglauben auf eine furchtbare Weise bestärkt wurden. Ein junger, heiterer, vornehmer Engländer, einer von unseren Kajüten-Passagieren, der von England, wo er seine „Erziehung“ geholt, um zu seinen Aeltern zurückzukehren, hatte einige Tage vorher zwei Möven in weiter Entfernung geschossen und getroffen. Möven sind für unsere Matrosen eine Art Heiligthum. Sie sagten daher, der junge Engländer werde von den Hayen erwartet, er sei ihnen bestimmt und verfallen.

So lange wir uns noch leidlich auf den Beinen fühlten, machten wir verschiedene Versuche, eins der größten Scheusale des Meeres, einen Hay, zu fangen, aber vergebens. Nur ein Matrose, der oben die Wache hatte, machte am dritten Tage noch einen Versuch, ein solches Ungethüm mit einem großen Stück Schweinefleisch an einem ungeheuern Haken zu tödten. Das Fleisch lag etwa 20 Yards vom Hintertheile des Schiffes. Plötzlich schrie der Matrose, daß sich ein Hay nahe. Wir stiegen hinauf zu ihm und sahen das lange Ungeheuer mit seinem langen, schwarzen, dünnen Schweife in dem dicken Wasser spielen. Zuweilen erhob es sich bis drei Fuß über das Wasser empor mit seinen scheußlichen, weiten Rachen gappend. Offenbar merkte er aber, daß mit dem von ihm gewitterten Bissen Gefahr verbunden sei. Er schlang sich drum herum, steckte seine scheußliche Nase heraus, um zu wittern und wand sich dann in verschiedenen Bogen immer wieder durch den grauen Schlamm. Endlich siegte seine natürliche Verschlingungswuth; er stürzte sich auf das Fleisch mit blitzartiger Schnelligkeit, schoß aus dem Wasser, warf sich auf die Seite und zeigte zum ersten Male seinen ekelhaft grauen Bauch und den unbeschreiblich großen, grauenhaften Rachen mit dem bedeutend kürzeren Unterkiefer. Diese Verkürzung ist wahrscheinlich der Grund, weshalb der Hay seine Beute stets in ganz eigenthümlicher Manier ergreift, dadurch, daß er sich auf die Seite wirft, und entweder von Unten oder Oben seitwärts zubeißt. Er stürzte sich von Oben über das Fleisch, schnappte, daß das Wasser weit umher spritzte und verschwand. Der Schmerz von dem verschlungenen Haken trieb ihn wieder in die Höhe; er schlug mit furchtbaren Krämpfen umher, und blitzte zackig durch das dicke Wasser. Wir versuchten ihn heranzuziehen, aber er hatte noch zu viel Kraft, als daß wir es ernstlich hätten wagen können. Das Tau war ziemlich schwach, er konnte es gar zu leicht zerreißen (wie er auch nachher es wirklich that). So ließen wir ihn noch eine Zeit lang kämpfen und sahen mit Erstaunen, daß er zu der größten, furchtbarsten, gefräßigsten Species gehörte, und nicht unter 18 Fuß Länge sein konnte.

Jetzt konnte sich der junge Engländer, Mr. Willis, nicht mehr halten. Er bestand darauf, daß er ihm, nach Art der Grönland-Wallfischfänger, den coup de grace, den Todesstoß, mit einer Harpune versetze. Der Kapitain warnte ihn und verweigerte ihm endlich das Boot. Dadurch nur noch mehr gereizt, lief Willis mit einer mächtigen Harpune auf den Besanmast-Gang hinaus und wartete mit hochausholendem Arme auf das nächste Auftauchen des Hay’s. Dieser näherte sich, Willis erhob sich mit aller Kraft, und die Harpune sauste wie ein Pfeil aus seiner Hand. Eine von den gewöhnlichen, blitzartigen, elastischen Schwenkungen, die sein Feind in diesem Augenblicke machte, nahm der Waffe ihre Macht; sie verletzte ihn, traf ihn aber nicht in’s Innere. Willis hatte mit solcher Leidenschaft geworfen, daß ihm dabei das Gleichgewicht verloren gegangen war. Er schwankte und graspte eine Zeit lang umher, um sich irgendwo anzuhalten, wurde aber dadurch nur unsicherer und stürzte mit einem furchtbaren Gekreisch hinunter in’s Meer, dicht neben dem jetzt noch wüthender gewordenen Ungethüme. Der Schrei setzte sich durch’s ganze Schiff fort, ein Tau ward sofort zu ihm hinabgeschleudert und zugleich ein Boot hinuntergelassen und bemannt. Willis hatte das Tau ergriffen und ward in die Höhe gezogen, aber vor Schrecken erstarrt, ließen die ziehenden Matrosen nach, als der Hay gleichsam auf dem Wasser sich festsetzte, wie ein Tiger zum Sprunge, und mit einem furchtbaren Satze ganz aus dem Wasser heraus nach seiner Beute sprang. Willis, am Taue hängend, stieß den durchdringendsten Schmerzensschrei aus, der Hay fiel mit einem weit umherspritzenden Geräusch in’s Wasser zurück, auf dessen aufspritzende Wellen das Blut des Unglücklichen dick herabschoß. Es hing nur noch ein Stumpf an dem Taue. Beide Beine waren ihm von oberhalb der Knieen abgerissen. Wir sahen ihn in Convulsionen und tödtlich erblassend noch ein Paar Secunden sich festklammern, doch seine Kraft strömte rasch aus, sein Schrei verstummte, er fiel in’s Meer zurück und verschwand zwischen dessen blutgefärbten Wellen. Ein Gurgeln unten, ein

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ihn
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_347.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)