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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Früh am Morgen, nachdem er ein wenig in seiner aufrechtsitzenden Stellung geschlafen, begab er sich zu einem Freunde, der damals mit in dem Luckner’schen Prozesse als Zeuge aufgerufen gewesen war. Diesem zeigte er, ihm seine Vermuthungen mittheilend, die Verdacht erweckende Schrift, und da auch er eine Aehnlichkeit mit der jenes Passes fand, so verfügten sich Beide nach dem Bureau des Assisenhofes, wo sie den Inspector des Aktenverschlusses in’s Vertrauen zogen und in Gemeinschaft mit demselben die Register nachschlugen, die vergilbten Beweisstücke hervorsuchten und ihre Vergleichungen anstellten.

Das Resultat derselben war so bedeutsam und wichtig, daß der Inspektor es für nöthig hielt, dem Präsidenten des Criminalgerichts davon Anzeige und zugleich die Beantragung einer Revision des Luckner’schen Prozesses zu machen. Um nicht unnöthiges Aufsehen zu erregen, wurde die Wiederaufnahme desselben ganz in der Stille und wie es hieß, nur wegen einer nachträglich nöthig gewordenen Regulirung der Thatsachen unternommen.

Die Entlastungszeugen für Graf Luckner mußten sich im Geheimen neuen Verhören unterziehen und hierbei fiel nun gleich, da der Verdacht einmal erregt, ein ganz anderes und mehr gravirendes Licht als ehedem auf das Benehmen des Fürsten von Benevent. Zuerst fand man da, daß seine Abwesenheit doch wohl nicht so kurz gewesen, als man im Trubel des Nachtmahls vermuthet hatte, dann aber entdeckte man bei genauer Untersuchung jener Retirade, in die sich der Fürst zurückgezogen, daß von dieser, durch Uebersteigung zweier Mauern, leicht ein Ausgang nach der Straße zu gewonnen werden konnte.

In der Untersuchung so weit gekommen, war es nun doch nöthig, in diese Wahrnehmung und die Angelegenheit mit dem Passe wo möglich einigen Zusammenhang zu bringen. Um diese Zeit in Erfahrung bringend, daß der Fürst von Benevent wegen einer Jagd auf einige Tage sein Hotel verlassen, hatte man nichts Eiligeres zu thun, als seinen Kammerdiener aus dem Hause zu locken, ohne Aufsehen zu erregen und sofort einem strengen Verhöre zu unterwerfen.

Ueber diesen ganzen Vorgang verdutzt und verworren gemacht, verstrickte er sich gleich bei seinen ersten Aussagen in so viel offenbare Lügen, Widersprüche und faktische Unrichtigkeiten, daß er nach argem Zusetzen endlich mürbe gemacht, schließlich dennoch eingestand, jenen Paß für den Fürsten in Bologna, wo er sich damals mit dessen Vater befand, ausgestellt und nach Paris gesendet zu haben.

Nachdem man so weit gelangt, ließ man den Mitschuldigen eines Verbrechens, dessen Motive man nicht absehen konnte, einstweilen in das Hotel des Fürsten wieder zurückbringen, aber nicht ohne dasselbe mit Polizei so zu umstellen, daß dem Eigenthümer aus diesem heraus einen Wink zu geben zur puren Unmöglichkeit ward.

Arglos, wie er gegangen, kehrte er denn auch am Abend des zweiten Tages in dasselbe zurück, und kaum darin angelangt, wurde der Palast in der Stille von der Polizei umstellt und Niemand mehr ein- oder ausgelassen.

Es war bestimmt, den Fürsten in der Frühe des folgenden Tages zu verhaften. Ehe es indeß dazu kam und während der Nacht ließ der auf diese Weise in seinem Hause gefangen Gehaltene durch einen seiner Leute ein Briefpaket unter der Adresse des Criminalgerichtshof-Präsidenten an einen der Polizisten abgeben, um sofortige Besorgung desselben ersuchend.

Der Präsident, aus dem Bette geholt, übernahm das Gebrachte, öffnete die Siegel und las, wie folgt:

  „Mein sehr geehrter Herr!

„durch meinen Kammerdiener von dem Vorgefallenen unterrichtet, komme ich, des Lebens überdrüssig und gedrängt von meinem Gewissen, Ihnen kurz und unumwunden das Geständniß des Verbrechens zu machen, dessen ich mich schuldig fühle und welches, wie ich wohl einsehe, nicht länger mehr verborgen zu halten bleibt. Da aber die Sache nicht leicht zu übersehen und in ihren Beweggründen sehr eigener Art ist, so müssen Sie gestatte, daß ich ein wenig weit aushole und Ihnen Dinge vor Augen führe, die Ihnen anfangs ungehörig erscheinen, schließlich aber doch als wichtig gelten werden.

„Mein Vater hatte, ehe er sich offiziell vermählte, eine geheime Liaison mit einer Gärtnerstochter zu Sorrent gehabt und mit dieser einen Sohn erzeugt. Die Geburt desselben fiel in die Zeit, in welcher er sich mit meiner Mutter vermählte, und diese, eifersüchtig auf ihre unebenbürtige Nebenbuhlerin und in Besorgniß, daß der Sprößling derselben ihren eigenen zu erwartenden Kindern Eintrag thun könne, wußte es zu machen, daß in dem Hause der Wöchnerin Feuer angelegt und diese, sammt dem Kinde, während man die Flammen zu löschen versuchte, nach Frankreich hinüber entführt wurde. Vom Schreck und den Strapazen der unfreiwilligen Reise erschöpft, erlag die ihrer Heimath und ihrem Gönner entrissene Frau einem raschen und unerwartet frühzeitigem Tode. Ihr Kind aber ward einer armen Wäscherin übergeben, die mit einem kleinen Handwerker in einer ungesetzlichen Ehe lebend und ihr Kind kurz nach der Geburt durch den Typhus verlierend, den verwaisten Knaben für eine beträchtliche Summe als den ihrigen annahm.

„Mein Vater, der von diesen Vorgängen natürlich nichts wußte und wie Alle, die Zeugen der Feuersbrunst gewesen, glaubte, daß seine Geliebte sammt dem Kinde den Tod dabei gefunden, gab, nachdem er lange umsonst geforscht, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, endlich seine Nachforschungen auf, und zwar um so mehr und vollständiger, als einige Monate darnach seine angetraute Gattin ihm in mir einen rechtmäßigen Stammhalter schenkte. Von da ab hat er weiter den Verschollenen nicht mehr nachgeforscht und eine ziemlich glückliche Ehe geführt. Eben als ich achtzehn Jahr alt geworden und nach Paris abzugehen im Begriffe war, erkrankte meine Mutter, die, ehe sie verschied, meinem Vater die Schicksale seiner Jugendgeliebten und ihres Sohnes beichtete. Gleich nachdem sie beerdigt, machte er sich nach Paris auf, um dort nach seinem natürlichen Sohne zu forschen. Da aber die Helfershelfer meiner Mutter bei der Entführung ihrer Nebenbuhlerin lange vor ihr gestorben, man Name, Wohnung und ferneres Geschick jener armen Wäscherin aber durchaus nicht kannte, so vermochte er, allem Eifer und aller Mühe zum Trotz, nirgends eine Spur von seinem Kinde zu entdecken.

„Ein Kammerdiener meines Vaters, sein intimster Vertrauter, der sich bei mir die Stellung in unserm Hause sichern wollte, verrieth mir dieses Geheimniß meiner Familie, indem er mir dabei zu verstehen gab, daß, wenn ich das große Vermögen des alten Fürsten mir ungetheilt erhalten wollte, ich dafür zu sorgen habe, daß die Entdeckung meines Bruders niemals stattfinde. Wie er mir gestand, war diese nur vermöge eines goldnen Reifes zu machen, den mein Vater in der Geburtsstunde seines natürlichen Sohnes durchgebrochen, zur Hälfte behalten und zur Hälfte der Mutter für den Neugeborenen übergeben hatte.

„Nachdem mein Vater unverrichteter Sache von seinen Reisen zurückkam, trat ich die meinige an, die sich natürlich nun auch zunächst nach Paris richtete. Hier lernte ich zufällig bei dem Grafen Emil Luckner einen gewissen Alfred Gautier kennen, bei dem ich einmal beim Billardspiel die Hälfte jenes Ringes an einer feinen goldnen Kette aus dem Gilet hervorhängen sah, dessen andere, dazu passende Hälfte mir jener Kammerdiener meines Vaters gezeigt hatte. Natürlich war augenblicklich mein Plan gemacht.

„Ich suchte Alfred Gautier einmal allein auf, ließ mir seine Geschichte erzählen, das Billet seiner Mutter, das ihm von seiner geheimnißvollen Herkunft berichtete, zeigen und erklärte ihm alsdann, daß wenn er mir die ganze Sache unter Angelobung unverbrüchlichen Schweigens gegen Jedermann in die Hand zu geben sich entschließe, ich Willens und im Stande sei, ihn seiem rechtmäßigen Vater in die Arme zu führen. Der harmlose, nichtsahnende Gautier, der zur Zeit, da mein Vater in Paris nach ihm forschte, sich Geschäfte halber in Amerika aufgehalten und von diesem Allen nichts wußte, ging dies gerne ein, überantwortete mir seine Papiere und that auch sonst, was ich von ihm heischte.

„Nachdem ich ihm nun also aufgetragen, sich für den 17. September mit Geld in hinreichendem Maße zu versehen, um damit eine größere Reise unternehmen zu können, übergab ich ihm einen, von dem in mein Komplott gezogenen Kammerdiener täuschend nachgemachten Paß mit dem Bedeuten, diesen und das Geld an den Grafen Luckner zu übergeben, mit dem ich dann das Weitere besprechen wolle, da ich wisse, daß dies sein bester Freund sei.

„Es war an eben diesem siebzehnten September mit Graf Luckner und einigen andern Bekannten ein Souper bei einem Restaurant auf dem Boulevard des Italiens festgesetzt und verabredet worden, mit der Bestimmung, die Wohnung des genannten Grafen als Versammlungsplatz anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit wußte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_336.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)