Seite:Die Gartenlaube (1855) 334.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Da aber weder der Zettel noch die Freundin der Mutter zu ermitteln gewesen waren, so blieb denn natürlich die ganze Sache im Dunkeln, und Graf Emil Luckner nach wie vor der Mordthat allein und ausschließlich verdächtig.

Zu den Zeugenaussagen wurden unter anderen Personen natürlich auch die Beiwohner jenes Festmahles gezogen, von dem nach Haus gehend Alfred Gautier an der Seite des jungen Grafen seinen Tod gefunden. Alle, und besonders ein Italiener, ein Fürst von Benevent, waren von der Unschuld des Angeklagten überzeugt und thaten, was sie konnten, den Verdacht von ihm abzulenken. Sie lobten sein gutes Herz, seinen chevaleresken Charakter, seine Uneigennützigkeit und hoben dazwischen hauptsächlich seine Gleichgültigkeit gegen das Geld hervor.

„Dieser Freund, Graf Luckner,“ rief der oben genannte italienische Fürst bei seiner Vernehmung aus, „kann unmöglich das ihm zur Last gelegte Verbrechen begangen haben. Wenn es auch wahr ist, daß er Schulden hat und gerade jetzt sich in mißlichen Umständen befindet, so wußte er doch zu gut, daß ich, wie alle seine Freunde bereit waren, ihn aus dieser, wie jeder andern Verlegenheit herauszureißen, als daß er seine Zuflucht zu einer so gemeinen Schandthat hätte nehmen sollen, obenein gegen einen Freund, wie ihm Alfred Gautier einer war, der gewiß als der Erste ihm zu Dienst gestanden hätte, Geld zu seiner Disposition zu stellen.“

Trotz dieser emphatischen Auslassung mußte freilich der Fürst von Benevent so gut wie die andern Genossen Graf Emil Luckner’s zugeben, daß sie den Dolch, mit dem der Mord verübt worden war, bei dem Angeklagten, und zwar noch an dem Tage des Verbrechens selbst gesehen hatten. Graf Luckner’s Wohnung war für das verabredete Souper zum Sammelplatz bestimmt gewesen, und bei dieser Gelegenheit hatten die sich Einfindenden die Waffe an ihrem gewohnten Platz gesehen; auch Graf Luckner gestand, sie bemerkt zu haben; wer und wie sie von da fortgenommen, gab er an, nicht zu wissen.

Der Angeklagte und Alfred Gautier waren zusammen und zwar zuerst von dem Festmahl fortgegangen, die andern hingegen alle bis gegen den Morgen hin geblieben. Nur der Fürst von Benevent hatte sich, während ihres fernern Beisammenseins, auf eine kurze Zeit entfernt, aber nur um einem dringenden Bedürfniß zu genügen, zu welchem Ende er in den Hof hinunter mußte, von wo er, wie sowohl der Wirth als einige Kellner bezeugten, nach Verlauf von nur geringer Zeit zu seinen Kameraden zurückgekehrt war.

Hier also lag durchaus kein Grund irgend einen Verdacht zu schöpfen. Alle diese Männer, die da zusammen gewesen waren, durften und mussten für Freunde des Gemordeten gelten. Keiner war von ihm beleidigt, durch ihn beeinträchtigt, Niemandem unter dieser Tafelrunde konnte sein Tod einen Vortheil bringen. Nur der Eigenthümer des Dolches, der allein mit Alfred Gautier nach Haus ging, dem Getödteten Geld schuldig war, und eine bedeutende Summe von diesem noch in Händen hatte, konnte ein Interesse bei dem plötzlichen Hinscheiden seines Freundes haben.

Der Staatsanwalt hob bei der Anklage besonders hervor, daß es seltsam sei, wie keiner der übrigen Freunde Gautier’s von jenem Gelde wußte, das dieser dem Grafen Luckner zur Aufbewahrung übergeben haben sollte, und wieß dann noch mit Nachdruck auf jenen Paß hin, den der Angeschuldigte bei sich führte und zu dem sich des öffentlichen Aufrufes ungeachtet nicht nur Niemand gemeldet hatte, sondern den man obenein für gefälscht und trügerisch erkennen mußte, da die Unterschriften der Ortsobrigkeiten und die Visa der Gesandten nur nachgeahmt und nirgends ächt waren.

Graf Luckner erwiederte hiergegen nichts, als daß er weitere Auskunft über diese Dinge nicht zu geben vermöge.

„Gautier,“ behauptete er, „habe ihm den Paß und die Banknoten mit dem Bemerken überantwortet, daß er ihm später sagen wolle, was es damit auf sich habe. Mir ist’s,“ setzte er bei dieser Gelegenheit hinzu, „als hätte Gautier bei Ueberreichung dieser Effekten den Namen des Fürsten von Benevent genannt, doch kann ich das nicht versichern. Ich war von dem Festmahl ermüdet und im Kopf nicht ganz frei, so daß es also kein Wunder ist, wenn ich mich hierbei verhört haben sollte.“

„Es muß dies leider wohl der Fall sein,“ entgegnete der hier zur Aussage aufgerufene Fürst von Benevent, indem er betheuerte: „weder von dem Gelde, noch von dem Passe etwas zu wissen.“

Von allen Freunden des Grafen Luckner war es übrigens eben dieser italienische Fürst, der sich die Freisprechung desselben am Angelegentlichsten sein ließ. Er sprach, wo er konnte, zu dessen Lobe und hing sich mit Eifer an alles, was dazu dienen mochte, irgendwie die aufgestellte Anschuldigung zu entkräften. Er war es denn auch, der da sagte. „daß Graf Luckner, wenn er ja Alfred Gautier ermordet, doch schwerlich bei diesem geblieben sein würde. Auch wäre es ja auffällig, daß, wenn er wirklich der Thäter sei, der Dolch, mit dem er doch das Verbrechen verübt haben solle, eine ganze Strecke weit von ihm entfernt aufgefunden worden sei.“

„Dies alles,“ entgegnete hierauf der Staatsanwalt , „wirft durchaus die Anschuldigung nicht um. Der Graf ist wahrscheinlich zuerst geflohen und nur darum zu dem Verwundeten zurückgekehrt, weil er bei seiner Flucht den Dolch verloren, diesen hat suchen wollen und sich nachher durch das Hinzukommen von Menschen zum Bleiben genöthigt sah. Man erinnere sich an die auffallende Verlegenheit und Zögerung, die Graf Luckner bei seiner Verhaftung zeigte, und von welcher der Polizeiagent nach seiner Pflichtmeldung gethan. Wenn der Angeschuldigte ein reines Gewissen gehabt, woher wäre ihm die Scheu und Angst vor einer Arretierung gekommen?“

„Es sind viele Dinge, die gegen mich zeugen,“ ließ sich hierauf Graf Luckner selbst vernehmen, „und ich finde es bei einer Verkettung der Umstände, wie sie sich hier vor Augen legt, nur gar zu begreiflich mich schuldig zu wähnen. Oft scheint mir selbst alles so zu treffen und zu passen, daß ich in Versuchung gerathe, der gegen mich eröffneten Anklage Recht zu geben. Der Herr Staatsanwalt hat gesagt, daß ich wahrscheinlich zuerst geflohen und bei der Flucht den Dolch verloren habe. Diese Annahme stimmt, wie ich bekennen muß, bis zu einem gewissen Grade zu. Als ich nämlich meinen Freund plötzlich an meiner Seite überfallen sah, hatte ich natürlich keine Ahnung davon, daß er tödtlich verletzt sein könne. Mein erster Gedanke war, den Missethäter, der eilig davon stürzte, einzuholen und festzuhalten, um ihn der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern. In dieser Absicht stürzte ich hinter dem Elenden her, und merkwürdiger Weise ungefähr bis dahin, wo man der Beschreibung nach zu schließen den Dolch gefunden hat. Ware es nicht meine Gewohnheit, ihn nur auf Reisen bei mir zu tragen, und zeigte er nicht Spuren von Blut, so würde ich gern bekennen dürfen, daß ich ihn an Ort und Stelle bei dem plötzlichen Innehalten im Nachsetzen verloren habe. Die Nutzlosigkeit der Verfolgung einsehend und das entsetzliche Schmerzgeheul meines Freundes hinter mir vernehmend, kehrte ich um. Als ich zu ihm kam, fand ich ihn schon leblos in seinem Blute am Boden, und kurze Zeit darnach mich und ihn von Neugierigen umringt. Daß ich verdutzt und erschrocken war, als der hinzugekommene Polizeiagent mich an der Begleitung meines unglücklichen Freundes hinderte, kann und will ich nicht leugnen. Ich war in Angst, daß er nicht sorgsame Pflege finden werde, und glaube dieses Bedenken auf dem Wege zur nächsten Wache gegen meinen Verhafter auch kundgegeben zu haben, kann es genau indeß nicht sagen, denn ich muß eingestehen, daß das Ergebniß, nach dem übermüthig verbrachten Abend, mich ganz außer Fassung brachte.“

Der zum Zeugen aufgerufene Polizeiagent meinte, einer solchen Aeußerung des Grafen sich nicht zu erinnern und gab nur an, ihn kleinlaut und resignirt gefunden zu haben.

Diese und ähnliche Zwischenfälle änderten. also nichts in der Sache, und nachdem der Prozeß beinahe zwei Wochen gedauert, kam er vor den Geschworenen zum Spruch, welcher auf „Schuldig“ lautete und den Angeklagten zur Galeerenstrafe verdammte.

Als Graf Luckner dieses Urtheil mitgetheilt wurde, zeigte er sich tief erschüttert. Bleich und mit strömenden Thränen, die Hand zum Schwure gen Himmel erhebend, sagte er:

„Ich bin unschuldig, der höchste Richter im Himmel weiß es. Was aber meine Geschworenen anbetrifft, so zürne ich ihnen nicht. Sie haben nach Pflicht und Gewissen gesprochen. Der Himmel vergebe ihnen. Er geht streng mit mir in’s Gericht. Er bestraft mich nur dafür, daß ich meine Jugend nichtsnutzig und liederlich verbracht. Hätte ich von je auf Reinheit der Sitten, guten Ruf und die Würde meines Namens gesehen, so würde man weniger geneigt gewesen sein, sich von einem bestrickenden Anscheine gegen mich einnehmen zu lassen. Es ist mein vergangenes Leben, was gegen mich spricht. Ich muß mich fügen.

Seine Schönheit, die edle Haltung und der warme, offene Ton, mit dem er dies reumüthige Bekenntniß vor den Schranken des Gerichtes ablegte, gewann ihm die Herzen fast aller diesem Auftritte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_334.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)