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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)


wirklich ein richtiger und ächter sei. Herr Dr. Cl. Müller schreibt. „Der Oberste Grundsatz der Homöopathie ist das Aehnlichkeitsgesetz (simila similibus, Aehnliches heilt Aehnliches); jeder Krankheitsfall wird am schnellsten und sichersten durch dasjenige Arzneimittel geheilt, welches im gesunden Körper möglichst ähnliche Erscheinungen hervorbringt! Hahnemann entdeckte dieses Gesetz bei Prüfung der Chinarinde, denn an sich selbst machte er zuerst die Erfahrung, daß ein Loth dieser Rinde, dieses sichern Heilmittels des Wechselfiebers, im gesunden Körper Symptome erzeugt, die einem Wechselfieberanfalle höchst ähnlich sind. – Der Unterzeichnete behauptet nun aber, und zwar ebenfalls gestützt auf Versuche, daß auch nicht ein einziges homöopathisches Heilmittel im Stande ist, im gesunden Körper diejenigen krankhaften Erscheinungen hervorzurufen, gegen welche es empfohlen wird. Um dies den homöopathischen Aerzten und den Laien klar und deutlich zu beweisen, stellt sich der Unterzeichnete selbst, und eine größere Anzahl seiner Freunde, für deren Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit er bürgt, den Homöopathen zur Verfügung und verlangt ernstlich, im Interesse der Aufklärung des Volkes, daß ihm oder einem seiner Freunde durch homöopathische Heilmittel irgend eine, auch dem Laien sichtbare (objective) Krankheitserscheinung ankurirt werde (denn von Empfindungen oder sogenannten subjectiven Symptomen kann wohl nicht die Rede sein). Das Resultat dieser Versuche, welche natürlich nicht zu weit von des Unterzeichneten Wohnorte (Leipzig) vorgenommen werden dürfen, soll dann seiner Zeit gewissenhaft veröffentlicht werden.[1]

Es sollte dem Unterzeichneten leid thun, wenn die Herren Homöopathen durch Nichtbenutzung des, mit dem entschiedensten und nicht so leicht ablassenden Ernste gestellten Verlangens, ihm nicht blos seine Beweisführung vor ihren eigenen Augen unmöglich machten, sondern zugleich auch den Beweis des Mißtrauens in ihre eigene Sache geben würden.

Dr. Bock
Professor der pathologischen Anatomie in Leipzig.




Ein Abend im königlichen Institute zu London.

Das königliche Institut (Royal Institution) von Großbritannien ist eine Association von Personen der Wissenschaft und Freunde derselben zur Beförderung wissenschaftlicher Bildung. Zu diesem Zwecke werden regelmäßig jeden Freitag Abend öffentliche Vorträge gehalten, die durch ein Laboratorium, eine Bibliothek von 27,000 Bänden, einen großen Lesesaal, einen Zeitungssaal und ein Museum unterstützt werden. Das Laboratorium des Instituts ist von europäischer Wichtigkeit, da in demselben Davy und nach ihm Faraday ein halbes Jahrhundert lang experimentierten und arbeiteten, und manche ihrer Resultate wissenschaftlichen und praktischen Wert für die ganze Welt bekamen. Die Freitags-Versammlungen der Mitglieder, deren jedes zwei Freunde mitbringen kann, haben und erfüllen den speciellen Zweck, Männer von wissenschaftlichem und literarischem Verdienste zusammenzubringen und deren verschiedene Kenntnisse und Entdeckungen durch Unterhaltung und Discussion zum Gemeingute zu machen. Ein besonderes Theater im Auditorium giebt zugleich Mittel und Gelegenheit, neue Entdeckungen und Erfindungen durch Experimente und sonstige sachliche Illustrationen deutlich zu machen.

Anfangs Mai hatte ich die Gelegenheit, eine der Freitags-Versammlungen des Instituts (eines stattlichen Gebäudes in Albemarlestreet, Piccadilly) zu besuchen und einen sehr interessanten und wichtigen Vortrag des Dr. Stenhouse „über ökonomische Anwendung gebrannter Kohle für Gesundheitszwecke“ mit anzuhören. Eine große Treppe spaltet sich oben in zwei Theile, deren einer in die Bibliothek, der andere in das Theater des Auditoriums führt. Ich besuchte zuerst den Bibliotheksaal, der voll von Damen und Herren war, welche alle mögliche auf den Tischen umherstehende Kuriositäten und Apparate besahen, besonders die ausgezeichneten Buxbaumschnitzwerke, welche für pariser Ausstellung bestimmt sind. Im Auditorio waren die Plätze schon ziemlich dicht besetzt und zwar ebenso reichlich von Damen, als von Herren, so daß unter ersteren mehr Freundinnen der Wissenschaft sein mögen, als gewöhnlich angenommen wird. Auf dem Tische des Vortragenden lagen verschiedene Stücken Kohle und andere unansehnliche Dinge. Vor dem Tische standen mehrere irdene Gefäße mit Kohle gefüllt. Mit dem Glockenschlage Neun hörte das Gesumme der Unterhaltung auf, da der Herzog von Northumberland, Präsident des Instituts, mit Dr. Stenhouse hereintrat, letzteren vorstellte und neben Faraday Platz nahm, worauf Dr. Stenhouse sofort seinen Vortrag ohne Komplimente begann. Er sagte, daß es drei Arten von gebrannter Kohle gäbe, die hier in Betracht kämen, Holz, Braun- und Thierkohle. Alle drei Arten haben die charakteristische Eigenschaft, unersättlich vom Winde zu leben, d. h. Gase zu verschlucken. An der schwarzen Tafel hinter ihm waren die Quantitäten oder Raumtheile der verschiedenen Gase, die eine gegebene Quantität Kohlen verschlucken kann, in Zahlen angegeben, welche tatsächlich an Pharao’s Traum erinnern, der sieben fette Kühe von sieben magern verschlingen sah, ohne daß letztere dadurch im Geringsten dicker und fetter wurden. In früheren Experimenten (fuhr er fort) war nicht gehörige Rücksicht auf die verschiedenen Gas-Appetite der drei Kohlenarten genommen worden; er habe durch sorgfältige Untersuchungen gefunden, daß Holzkohle bei Weitem das meiste Gas verschlucke, nach ihr kämen Braun- und dann Thierkohle. Die hochweise englische Regierung wisse davon freilich nichts und habe deshalb erst unlängst 600 Centner Braunkohlen für’s Hospital nach Scutari gesandt, um die Krankheitsgase wegsaugen zu lassen. Das sei ein ächtes Stück Krim-Verwaltung, es hieße thatsächlich Kohlen nach Newcastle (oder Sand nach Berlin) fahren, da in der Türkei Holzkohle das gewöhnliche Heizungsmaterial ausmache. Dr. Stenhouse war zuerst durch John Turnbull in Glasgow, Fabrikanten chemischen Düngers und von Holzkohle, auf die wundervolle Tugend der Kohle, schädliche Gase zu verschlucken, aufmerksam gemacht worden. Er hatte in zwei Gefäße zwei Hunde in geriebene Holzkohle begraben, so daß diese höchstens drei Zoll dick bedeckt waren, und sie in sein warmes Arbeitszimmer gestellt. Hier standen sie Monate lang, ohne daß jemals die geringste Unannehmlichkeit gerochen ward. Nach fünf Monaten besah er sich seine beiden todten Stubenburschen bei Lichte: sie waren vollständig verweset. Dr. Stenhouse machte dasselbe Experiment mit demselben Erfolge. Nach fünf Monaten fand er nur noch etwas unzersetztes Fett von den todten Hunden. Hierauf machte er auf den Irrthum in den meisten chemischen Büchern aufmerksam, welche der Holzkohle eine Widerstandskraft gegen Verwesung zuschreiben, im Gegentheil befördere sie dieselbe, da der in den Millionen Poren der Kohlen lauernde Sauerstoff die durch die Verwesungsprozesse frei werdenden Gase und Substanzen immer sofort fasse und mit ihnen Verbindungen eingehe, so daß die schädlichen Gase durchaus nicht über das Bereich der Kohlen hinaus kämen. Dieser Prozess gehe in’s Unendliche fort, da die Kohlen nie satt würden. (Ich berichte Dr. Stenhouse’s Behauptung, obwohl ich in Paranthese bescheiden an der unendlichen Unersättlichkeit der Kohle zweifle.)


Er ging hierauf auf sein specielles Verdienst, den von ihm erfundenen, höchst einfachen, höchst wichtigen Luftfiltrirbeutel, die vollkommenste Luftreinigungsmaschine, über. Diese Maschine besteht aus zwei engen Drahtgitterwänden, gefüllt mit Holzkohle. Dieser Filtrirbeutel kann natürlich jeder Art von Öffnung, durch welche Luft eindringt oder eingelassen werden soll, angepasst werden, so daß Jeder im seinem Hause, so ungesund es auch liegen mag, ein wohlfeiles, sicheres und vollkommenes Mittel hat, sich stets mit frischer Luft von Außen zu versorgen. In Mansionhouse, wo der Lord-Mayor residirt und zugleich zu Gericht sitzt, gehen die Fenster des Gerichtslokales in eine enge, mit einer Uriniranstalt decorirten Straße, die deshalb die Nase der Gerechtigkeit oft so arg beleidigte, daß die Verurtheilten dafür büßen mußten und die höchsten Grade von Strafen diktirt bekamen, weil mildernde Umstände durch die schlechte Luft absorbiert wurden. Seitdem sich der Herr Lord-Mayor einen Stenhouse’schen Luftfiltrirbeutel in ein Fenster des Gerichtslokales hat machen lassen, riecht man nichts mehr von der Straße


  1. Wir wir soeben in der Deutschen Allgemeinen Zeitung lesen, ist das Anerbieten des Herrn Prof. Bock von einem Leipziger homöopathischen Arzte, Herrn Doctor Cl. Müller, angenommen worden.
    D. Redakt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_316.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)