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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Dermont“ begann er, „wir sind Freunde, Ihr letzter Dienst, den Sie mir leisteten, hat das Band der Freundschaft so innig um uns geschlungen, daß ich es für eine Infamie halte, irgend ein Geheimniß vor Ihnen zu bergen. Ich preise den Zufall, der uns hier zusammenführte, denn er giebt Anlaß zu Erörterungen, die vielleicht dann erst stattgefunden hätten, wenn es zu spät gewesen wäre.“

„Mein Gott, George, eine Ahnung steigt in mir auf, die mich zittern macht!“ flüsterte Dermont.

„Zittern Sie nicht, Freund, ich kenne meine Pflicht. Antworten Sie mir offen: lieben Sie die Dame ernstlich, die Sie in der Eremitage des Parks kennen gelernt haben?“

„Ich bekenne offen, daß sie das Glück oder Unglück meines Lebens ausmachen wird!“

„Und Sie wissen genau, daß sie in jenem Hause wohnt?“

„Gewiß, denn ich sah sie, als sie die Blumen tränkte.“

„Dermont, Sie lieben ein himmlisches Wesen! Gelingt es Ihnen, Amely’s Gegenliebe zu erringen, so werden Sie so glücklich werden, als Sie es zu sein verdienen.“

„George, Sie kennen die junge Dame?“

„Ich suchte sie kennen zu lernen, denn Amely ist das Blumenmädchen, von dem ich Ihnen erzählt habe, daß es mich mit Begeisterung erfüllt. Aber noch kann ich das kaum erwachte Gefühl bekämpfen, und die Marquise soll mir helfen, Ihnen einen Freundschaftsdienst als ein redlicher Freund zu vergelten. Bewerben Sie sich um Amely, diese Nacht noch reise ich ab, und wenn ich zurückkehre, stelle ich Ihnen meine Gattin vor. Leben Sie wohl, Dermont, und – viel Glück in der Liebe!“

Hastig schloß der Graf den Freund in die Arme, dann eilte er davon.

„George, George!“ rief Dermont.

Aber der Graf hörte nicht, er verschwand zwischen den Hecken.

„Das ist ein seltener Freund!“ murmelte Dermont bewegt vor sich hin. „Leider muß ich sein großmüthiges Opfer annehmen, wenn ich der Leidenschaft zu meiner Schönen nicht erliegen will.

Der junge Mann ging nach dem Landhause zurück. Ein alter Mann stand im Begriffe, das Gitter in der Hecke zu schließen.

„Valentin, bist Du es?“ flüsterte der junge Mann.

„Ja, Herr. Es ist die höchste Zeit, daß Sie kommen, denn ich muß nun schließen„ Zehn Uhr ist vorüber.“

„Wo ist das Fräulein?“

„Sie macht mit ihrer Mutter, wie jeden Abend vor dem Schlafengehen, eine Promenade durch den Garten, und darum darf die Thür nicht offen bleiben.“

„Nimm dieses Goldstück.“

„Wo ist der Brief?“

„Hier. Du wirst ihn besorgen, wie wir gestern verabredet haben. Morgen Abend hole ich mir Antwort.“

„Versäumen Sie den Augenblick nicht, wo ich das Gitter schließe. Ziehen Sie sich zurück, denn ich sehe die beiden Damen den Weg kommen, der hierher führt.“

Valentin schloß geräuschvoll die Thür. Dermont eilte nach der Stadt zurück. Am nächsten Morgen war sein erster Weg der zu George. Der Graf hatte, wie er versprochen, vor Sonnenaufgang seine Reise angetreten.



II.
Die Geliebte.

Das holländische Bad Scheveningen hatte für diesen Sommer kaum Raum genug, um alle Gäste aufzunehmen, die dort Erholung und Zerstreuung suchten. Bei seiner Ankunft mußte George ein Dachstübchen in einem der Wirthshäuser bewohnen. Unempfänglich für das äußerliche Leben, fügte er sich gern dieser Unbequemlichkeit, ihm war es gleich, ob er in einem glänzenden Saale oder in einer engen Kammer um das Mißgeschick seines Herzens trauern konnte. Von dem Umgange mit der blendenden Marquise hoffte er Heilung seines kranken Gemüths, er wollte sich den Freuden der großen Welt rückhaltlos hingeben. Nachdem er am nächsten Morgen eine sorgfältige Toilette gemacht, stattete er der Marquise von Beaulieu, die ein reizendes Landhaus bewohnte, seinen Besuch ab. Die junge Wittwe hatte sich bereits durch ein Seebad erfrischt und saß beim Frühstück. Sie empfing den Geliebten nicht mit der gewohnten Herzlichkeit, und George schrieb dies seiner um acht Tage verzögerten Ankunft zu.

„Henriette, was ist Ihnen?“ fragte er besorgt.

„Lieber Graf, erwarten Sie, daß ich Ihnen wie ein jubelndes Kind entgegen fliege, wenn ich sehe, daß alle meine Aufmerksamkeiten mit Kälte angenommen werden?“ fragte sie mit jenem ausdruckslosen aristokratischen Lächeln, das den ausgesprochenen Hohn mildern sollte. „Sie kennen den Grund meiner frühen Badereise, Sie wissen, daß es für mich nichts Langweiligeres auf der Welt giebt als ein Seebad – und dennoch wagen Sie, mir volle acht Tage den Umgang zu entziehen, der allein mich für das Opfer einer solchen Reise entschädigen kann. Es giebt keinen hinreichenden Entschuldigungsgrund!“

„Verzeihung, Henriette!“

„Ich wiederhole es, es giebt keinen, weder meinem Herzen noch der Welt gegenüber, die an diesen Umstand bereits ihre Mutmaßungen geknüpft hat.“

Schmollend warf sich die Wittwe in den Sopha. George betrachtete sinnend die Frau, von der seine Zukunft abhing. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, schön und reich, also mit Eigenschaften ausgerüstet, die sie einem Manne wünschenswert erscheinen ließen, aber wie wenig war sie mit Amely zu vergleichen! Die Schönheit der Marquise blendete die Sinne – das Herz blieb kalt. Der Gedanke an Dermont gab ihm den Muth, eine Lüge auszusprechen. Er ließ sich auf ein Knie nieder und ergriff die schneeweiße Hand der jungen Frau, indem er sie an seine Lippen drückte.

„Sie verdammen mich, ehe Sie mich gehört haben, Henriette. Ihre Liebe macht mich stolz und glücklich, und indem ich sie erwiedere, folge ich dem Drange meines Herzens.“

„Wahrhaftig, George?“ fragte sie mit einem Blicke, der deutlich ihre Leidenschaft für den Grafen verrieth und die Geneigtheit, ihm zu verzeihen.

„Ich habe auf Anordnung meines Arztes die Reise aufgeschoben.“

„Mein armer Freund!“ rief sie in einem plötzlich veränderten Tone.

„Einige Tage der Ruhe haben mich wieder hergestellt.“

Henriette sah ihn einen Augenblick an, dann küßte sie ihm die Stirn.

„Mein Gott, es ist wahr – Sie sind bleich und eine Melancholie spricht sich in Ihrem ganzen Wesen aus, die mich auf eine körperliche Indisposition schließen läßt. Armer George, Scheveningen und meine Fürsorge werden Sie heilen. Wie fühlen Sie sich? Hat die Reise Sie angestrengt? Haben Sie irgend einen Wunsch, so sprechen Sie ihn aus – –“

„Henriette, ich habe einen Wunsch!“

„O, zögern Sie nicht!“ rief sie eifrig.

„Haben Sie Nachsicht, wenn dem Reconvalescenten das muntere Wesen gebricht, das er bisher zeigte. Bald werde ich völlig genesen sein, und wenn wir im Herbste nach Brüssel zurückkehren –“

„So öffnen Sie den Freunden Ihre Säle, um ihnen die Gattin entgegenzuführen. Also, George, verfügen Sie von diesem Augenblicke an über die Morgengabe Ihrer Braut!“

Der junge Graf drückte die schöne Frau an seine Brust. Henriette’s lebhafte Laune war wiedergekehrt, und während des Frühstückes unterhielt sie den Geliebten mit der Aufzählung der im Bade anwesenden Gäste. Lord Darnley's erwähnte sie nicht, obgleich George wußte, daß er sich in Scheveningen befand.

„Und nun, mein Freund, werde ich den Beweis liefern, daß ich für Sie gesorgt habe.“

Mit diesen Worten verließ sie den Tisch und klingelte der Kammerfrau. Nach zwei Minuten hatte sie Hut und Shawl angelegt.

„Herr Graf,“ sagte sie mit einer graziösen Verbeugung, „Ihren Arm!“

Beide verließen das Landhaus. Henriette schlug einen Seitenpfad ein der von der Hauptallee zu einem Gebüsche führte. Zwischen den Bäumen erhob sich eines jener holländischen Bauernhäuser, die sich durch eine fest übertriebene Reinlichkeit auszeichnen. Das lange, ein Stock hohe Gebäude schien hellbraun lackirt zu sein. Die Jalousien an den glänzenden Fenstern waren mit grüner Oelfarbe angestrichen. Ueber der Thür wölbte sich eine dichte Epheulaube.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_311.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)