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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

nach ihrem Befinden erkundigen. Der Zufall hat so vortrefflich mitgespielt, daß wir es nicht besser wünschen können.“

Die reizende Amely schwebte dem Grafen wie eine himmlische Erscheinung vor. Er zitterte bei dem Gedanken, daß ein Zufall dieses Meisterwerk der Schöpfung zerstört haben könnte. In seiner Liebe zu der Marquise war er nicht vollkommen glücklich gewesen, das zärtliche Verhältniß war durch Umstände erschaffen, an denen mehr die Eitelkeit als das Herz Theil hatte. Die junge Wittwe hatte seine Bewunderung erregt, seinen Sinnen geschmeichelt – jetzt fand er in einer Sphäre, die der seinigen fern lag, ein Wesen, das für ihn etwas unaussprechlich Heiliges und Geweihtes besaß. Es eröffnete sich ihm eine Gefühlswelt, die er bis dahin nicht gekannt hatte. Ein Versprechen band ihn noch nicht an die Marquise, und er glaubte kein Verbrechen zu begehen, wenn er den günstigen Umstand benützte, das Wesen näher kennen zu lernen, das einen so seltsamen Eindruck auf ihn ausgeübt. Es ist ja möglich, führte er zur Entschuldigung an, daß der Nimbus, der sie aus der Ferne gesehen umgiebt, in der Nähe schwindet.

Gegen Abend des folgenden Tages ließ er sich nach dem Landhause führen, das in einem von einer blühenden Hecke umschlossenen Garten lag. Alles war einfach und geschmackvoll, und verrieth wohlhabende Besitzer. Durch die Blätter einer Laube unfern des Hauses schimmerte ein weißes Frauengewand. Der Abend war schön, und George konnte wohl annehmen, daß er die Gesuchte im Freien antreffen würde. Er ging der Laube zu. Bei seinem Eintritte erhob sich Amely, die eine Stickerei vor sich hielt. In einer reizenden Verwirrung empfing sie den Besuch, den sie sofort erkannte. George zitterte, als er ihre Hand an seine Lippen drückte.

„Die Besorgniß um ihr Wohl mag mich entschuldigen, wenn ich mich, der Fremde, selbst bei Ihnen einführe. Ich preise den Zufall, der mich so glücklich machte, mittelbar einen Unfall abzuwenden – –“

„Der leicht traurige Folgen hätte haben können, wenn Ihre Aufmerksamkeit mich ohne Begleitung gelassen. Gestatten Sie mir, daß ich noch einmal meinen Dank ausspreche –“

„So schmeichelhaft es für mich ist, Sie mir verpflichtet zu sehen, so wenig Ansprüche mache ich auf Ihren Dank. Hätte ich noch tausendmal mehr gethan, so würde ich den schönsten Lohn darin finden, daß Sie im Stande sind, mich heute zu empfangen.“

Sie verneigte sich und flüsterte lächelnd:

„Dann spreche ich mit Freuden die Versicherung aus, daß ich mit dem Schrecken davon gekommen bin.“

Amely bot ihrem Gaste einen Sessel an. In der nun folgenden Unterhaltung entwickelte die junge Dame eine geistige Liebenswürdigkeit, die der ihrer äußern Erscheinung völlig entsprach. Das war Anmuth, natürliche Grazie und und Naivetät! George war wie geblendet, so daß er seine Gewandtheit in dem Umgange mit Frauen beeinträchtigt fühlte. Er suchte nach ihren Familienverhältnissen zu forschen; sie kam ihm offenherzig mit der Erklärung entgegen:

„Meine Mutter, mit der ich allein dieses Haus bewohne, lebt von einer bescheidenen Rente, die indeß immer noch groß genug ist, unsern Ansprüchen zu genügen. Die alte Frau ist streng gottesfürchtig, und wenn Sie mich bei der Prozession ein kleines Amt bekleiden sahen, so erfülle ich ein Gelübde, das ich einst gethan, als meine gute Mutter schwer krank darnieder lag. Sie hängt mit zärtlicher Liebe an mir, und mehr als einmal hat sie nach meinem großmüthigen Beschützer gefragt. Aber was konnte ich ihr sagen?“

„Sagen Sie ihr, daß der Graf von Montlosier die Schönheit und Frömmigkeit ihrer Tochter bewundert!“ rief George, seiner kaum noch mächtig.

Amely’s Hand erzitterte, die er in der seinigen hielt. Als ob sich ihrer eine jähe Bestürzung bemächtigt, duldete sie unwillkürlich, daß der junge Mann seine Lippen auf ihre Fingerspitzen drückte.

„Herr Graf,“ sagte sie nach einer Pause, „der Abend ist angebrochen. Meine Mutter ist seit einiger Zeit leidend; kann sie Ihnen auch heute ihren Dank nicht aussprechen, so hofft sie auf eine spätere Gelegenheit – –“

„Sie gestatten mir, daß ich meinen Besuch wiederhole?“

„Besuchen Sie meine Mutter!“ flüsterte sie kaum hörbar.

„Und Sie –?“

„Ich werde den Frohnleichnamstag nie vergessen!“

Sie grüßte und verließ die Laube, in der bereits eine tiefe Dämmerung herrschte. George sah der weißen Gestalt nach, die flüchtig wie ein Schatten dem Hause zu schwebte und in der geöffneten Thür verschwand. Er begriff, daß Amely nicht anders handeln konnte. Sinnend verließ er den Garten. Draußen stand Adam, der ihn anredete.

„Geh, erwarte mich zu Hause!“ befahl er dem Diener.

„Wo werden Sie speisen, gnädiger Herr?“

„Sorge für Thee – fort!“

Adam schlug den Weg nach der Stadt ein. George begann einen Spaziergang zwischen den Gartenhecken. Alle seine Gedanken waren mit Amely beschäftigt, denn aus der kurzen Unterhaltung hatte er die Erkenntniß geschöpft, daß kein blendender Nimbus sie umgab, daß sie vielmehr alle Eigenschaften besaß, um dauernd zu fesseln. George hatte früher über ernste Leidenschaften gelächelt, und die Schwärmerei Dermont’s für seine unbekannte Leserin war ihm wie eine romantische Schwäche erschienen; jetzt befand er sich selbst in einer Verfassung, die allen jenen Ansichten Hohn sprach. Vergebens suchte er den empfangenen Eindruck durch die Erinnerung an seine traurigen Vermögenszustände zu paralysiren, vergebens rekapitulirte er die Siege bei der Marquise, um die sich die ganze aristokratische Männerwelt bewarb – der berechnende Verstand erlag dem Herzen, das hartnäckig die reizende Amely nicht aufgeben wollte. An den Stamm einer Linde gelehnt, betrachtete er das freundliche Landhaus, in dessen erstem Stocke sich Licht zeigte.

„Welch ein Glück müßte es sein, mit ihr unter diesem friedlichen Dache ein ruhiges Leben zu führen!“ flüsterte er vor sich hin. „Die wahre Liebe ist sich selbst genug, sie allein bietet dauernde Freuden, während das glänzende Leben der großen Welt nur einen flüchtigen Sinnenreiz gewährt! Hier empfindet man die Poesie der Liebe; dort wird sie durch Leidenschaften, von äußern Umständen erzeugt, vertrieben – sie sinkt zu einer glänzenden, aber kalten Prosa herab.“

Das Geräusch von Schritten weckte den Grafen aus seinen Träumereien. Zwischen den Hecken erschien die Gestalt eines Mannes, der sich langsam dem Orte näherte, wo George im Schatten der Linde stand. Er verhielt sich ruhig, um den Mann vorüber gehen zu lassen. Aber der Fremde, in einen leichten Mantel gehüllt, blieb stehen und betrachtete das Landhaus, an dessen erleuchtetem Fenster in diesem Augenblicke Amely erschien, um einen Rosenstock zu tränken, der auf einem Blumenbrette stand. Bei dem Lichte, das aus dem Zimmer hervordrang, ließ sich die reizende Gestalt des jungen Mädchens deutlich erkennen. Zugleich hörte man ihre Stimme, denn sie unterhielt sich mit einer Person, die sich in dem Zimmer befand. Nachdem sie ihr Geschäft vollbracht, schloß sie das Fenster, und gleich darauf erlosch das Licht.

Der Mann im Mantel verblieb regungslos an seinem Platze, und unverwandt hafteten sein Blicke auf dem Landhause. George begann zu zittern, denn es war nicht schwer zu begreifen, daß den Spaziergänger eine bestimmte Absicht leitete, und daß sein Ziel das Landhaus sein mußte. Die Eifersucht mit allen ihren Qualen erwachte in der Brust des armen George, und dieses bittere Gefühl belehrte ihn, daß er für das Blumenmädchen eine ernste Leidenschaft hegte. Da wandte sich plötzlich der gefürchtete Nebenbuhler, und schritt der Linde zu, ohne Zweifel in der Absicht, von dem verborgenen Plätzchen aus seine Beobachtungen fortzusetzen. Der Graf trat ihm entgegen.

„George!“

„Dermont!“ rief bestürzt der Graf.

„Still, Freund, still! Man hört jedes Wort, und dort –“

„Wer wohnt in dem Landhause?“ flüsterte George mit gepreßter Stimme.

„Meine Leserin aus der Eremitage.“

„O Himmel!“ rief George unwillkürlich.

Dermont starrte den Freund an. Bei dem Mondenlichte konnte er den Schrecken bemerken, der sich in seinem bleichen Gesichte aussprach.

„Sie hier, Graf?“ fragte Dermont, den eine Ahnung durchbebte, denn er erinnerte sich, daß ihm George von dem tiefen Eindrucke erzählte, den ein Mädchen auf ihn ausgeübt hatte. „Was führt Sie um diese Stunde in diese einsame Gegend? Ich glaubte Sie auf der Reise nach Scheveningen!“ fügte er in einem Tone hinzu, der fast vorwurfsvoll klang.

Der Graf ergriff hastig den Arm des Freundes und zog ihn mit sich fort. Als Beide das Landhaus hinter sich hatten, blieb George stehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_310.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)