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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Aber des tödtenden Buchstabens Knechte
Scheuen des Geistes lebendiges Licht,
Und, mit dem Bannstrahl in drohender Rechte,
Mahnet den Denker das Ketzergericht.

25
     „Sprich, wie die Schrift es spricht:

     Nein, sie bewegt sich nicht! –
Oder Du mögest Dein Leben beenden
Tief in des Kerkers umnachtenden Wänden,
     Glaubst Du es immer noch:

30
     Ja, sie bewegt sich doch!


Als durch der Kerkernacht fressende Uebel
Endlich dem Greise die Manneskraft brach,
Spricht er’s – die Hand auf geschändeter Bibel –
Bebend und stammelnd den Peinigern nach,

35
     Wie es der Buchstab spricht:

     „Nein, sie bewegt sich nicht!“
Doch weil die Schrift, an dem Himmel geschrieben,
Tief in dem Herzen ihm stehen geblieben,
     Knirschen die Zähne noch:

40
     „Und sie bewegt sich doch!



Wahrheit! Du mußt deine Märtyrer haben;
Ohne sie winket dir nimmer der Sieg! –
Als man den Dulder schon lange begraben,
Lange sein Mund, der begeisterte, schwieg,

45
     Und nun kein Mensch mehr spricht:

     „Nein, sie bewegt sich nicht!“ –
Kündet ein Denkmal am heiligen Orte:[1]
Wahrheit, du siegst! – Und es huldigt dem Worte
     Selber die Kirche noch:

50
     „Ja, sie bewegt sich doch!


Fesselt die Erde in zwängende Schranken!
Greifet der Zeit in das rollende Rad!
Bindet die Flügel der kühnen Gedanken!
Haltet die Menschheit auf strebendem Pfad! –

55
     Thörichter Blödsinn spricht:

     „Erde, beweg’ dich nicht!“ –
Nimmermehr zwingt ihr sie, stille zu stehn!
Vorwärts und vorwärts wird ewig sie gehn!
     Hindert und hemmet noch –

60
     Und sie bewegt sich doch!

 G. H–r.




Handwerker-Briefe.[2]
Nr. 1.

Sie wünschen von mir genaue Auskunft über die in Delitzsch, Eilenburg, Braunschweig, Wolfenbüttel und verschiedenen andern Städten zur Hebung des Handwerkerstandes und Kleingewerbes bestehenden volkswirthschaftlichen Vereine, weil sich auch in Ihrem Orte das Bedürfniß dazu immer dringender herausstellt. Ich bin um so mehr zur Erfüllung Ihres Wunsches bereit und im Stande, als ich mich mit dem Geist und der Einrichtung dieser Vereine erst neuerlich viel beschäftigen mußte, indem es galt, auch in unserm Städtchen einen Vorschußverein zu gründen, der mit Anfang dieses Monats, ganz nach dem Muster des Delitz’scher, seine Wirksamkeit eröffnet hat.

Ohne Sie mit gelehrten Auseinandersetzungen ermüden zu wollen, muß ich doch vor allen Dingen über den volkswirthschaftlichen Standpunkt, die leitenden Grundsätze, welche bei Einrichtung jener Vereine inne gehalten sind, so viel im Allgemeinen vorausschicken, als zum Verständniß der ganzen Organisation, sowie der erzielten Resultate unerläßlich ist. Dabei lassen Sie uns einen unbestrittenen Erfahrungssatz als Ausgangspunkt wählen. Es ist der allseitig anerkannte charakterische Zug der neuern Industrie, daß sie mehr und mehr die Naturkräfte sich dienstbar zu machen, dieselben für ihre Arbeitszwecke auszubeuten sucht, und so der Thätigkeit des Menschen jene gewaltigen Mächte zugesellt, welche die Produktivität seiner Arbeit bis in das Unendliche steigern. Bei den ungemeinen Fortschritten der letzten Jahrzehnte auf naturwissenschaftlichem wie auf technischem Gebiet, greift diese Tendenz immer reißender um sich, und bringt es nothwendig mit sich, daß der vereinzelte, nur auf seine Hand angewiesene Arbeiter nicht Stand zu halten vermag, daß der lohnende Betrieb sich mehr und mehr in großartige Etablissements concentrirt. So geht dem Kleingewerbe, dem Handwerk ein Nahrungszweig nach dem andern verloren und in den fabrikmäßigen Betrieb über. Gegen diesen Gang der Dinge ankämpfen zu wollen, ist eben so widersinnig als vergeblich, da derselbe mit dem Fortschritt menschlicher Kultur überhaupt nothwendig zusammenhängt, und seine wohlthätigen Wirkungen für die Gesellchaft im Ganzen nicht bestritten werden können, weil auf diese Weise die zur Nothdurft und Annehmlichkeit des Lebens erforderlichen Güter immer wohlfeiler beschafft und also einem immer größeren Kreise von Konsumenten zugänglich gemacht werden können. Freilich leiden unter solchen Uebergangsperioden ganze Klassen von Producenten, welche die alte, erlernte Betriebsweise verlassen und in neue, ungewohnte Bahnen einlenken sollen. Allein, wenn einmal das Festhalten des Alten auf die Dauer zur Unmöglichkeit wird, so kommt es vor Allem darauf an, den einzigen Rettungsweg so bald als möglich einzuschlagen, ehe der letzte Rest von Kraft dazu in völliger Verkommenheit schwindet. Dies kann aber nicht anders geschehen, als daß man sich dem Fortschritt anschließt, daß man, anstatt gegen jene unwiderstehlichen Mächte anzukämpfen, sie sich verbündet, die eigene, schaffende Hand durch sie verstärkt, anstatt dieselben im ohnmächtigen Entgegenstemmen von ihnen zermalmen zu lassen.

Nun gehört aber zu diesem Einlenken mehr als die bloße Einsicht und der Wille. Da bedarf man zur Produktion in größerem Maßstabe allerhand Vorrichtungen und Anstalten, als Maschinen, Instrumente, Gebäude etc., die mehr oder weniger kostspielig sind. Weiter gehört ein Geschäftsbetrieb dazu, der alle kaufmännischen Vortheile benutzt. Da gilt es, sich weitere Absatz- und Bezugs-Märkte zu öffnen, die rechten Zeiten und Konjuncturen abzupassen, besonders im Großen und Ganzen, mit Vermeidung der Detailhändler, das Rohmaterial anzuschaffen, und zu alledem gehören wiederum beträchtliche Geldmittel. Kurz, es liegt in dem angedeuteten Sachverlaufe, daß zu einem lohnenden Gewerbebetriebe je länger jemehr Kapital erfordert wird, daß Jemand ohne bedeutende Mittel immer weniger die Möglichkeit des Bestehens vor sich sieht. In richtiger Würdigung dessen haben daher der Großhandel und die Fabrikindustrie zu dem Institut der Banken ihre Zuflucht genommen, welche, theils aus öffentlichen Fonds, theils durch das Zusammenschließen von Privatkapitalien gegründet, dem Einzelnen die nöthigen Mittel vorschießen. Dagegen fehlte es gerade denen, welche eine solche Hülfe am Meisten Noth thut, dem Handwerker und Kleingewerbe, bisher durchaus an solchen ihnen zugänglichen Instituten. Auch läßt sich nicht leugnen, daß, wie die Sachen stehen, die Organisation des Kredits in einer dem Bedürfniß dieser Klassen entsprechenden Weise mannigfache Schwierigkeiten bietet. Und hier sind wir eben bei der Aufgabe angekommen, welche sich die erwähnten Vereine gestellt haben. Obschon sie nämlich die Sache von verschiedenen Seiten aus in Angriff nehmen, laufen sie doch sämmtlich darauf hinaus:

daß sie den Handwerkern und kleinen Gewerbtreibenden so viel wie möglich die Vortheile eines angemessenen Kapitals bei ihrem Geschäftsbetriebe zu sichern, und sie namentlich in den Besitz
  1. Zu Ehren Galilei’s wurde 1737 – fünfundneunzig Jahre nach seinem Tode – in der Kirche Sta. Croce zu Florenz ein prächtiges Denkmal errichtet.
  2. Bei der Wichtigkeit der jetzt in vielen preußischen, hannöverschen und andern Städten sich organisirenden „Vorschußvereine für Handwerker“ werden diese Mittheilungen aus der Feder eines bekannten Nationalökonomen unsern Lesern und darunter besonders dem verehrlichen Handwerkerstand sehr willkommen sein.
    Die Redaktion.
  3. Empfohlene Zitierweise:
    Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_298.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)