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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

machten, daß der Kutscher zu viel dem Schnapse zugesprochen hatte. Indessen hatte der Mensch noch seine volle Besinnung, und Matz selbst hatte oft behauptet, als ächter Fuhrmann und Reiter bewähre der Litthauer sich erst, wenn er zu viel Schnaps getrunken habe.

Wir kamen ohne Unfall, kurz nach Sonnenuntergang bei dem Kruge zu Peteraten an. Der Kutscher verlangte hier Halt zu machen, um seine Pferde für die mühsame Tour bis Tilsit zu stärken. Der Abrede gemäß hätte er zwar noch bis Powilken fahren sollen. Allein die Erwartung, besonders des Executors Matz, in Peteraten die Bestätigung zu erhalten, daß am vorgestrigen Tage der entflohene Trinkat da gewesen sei, bewog uns, nachzugeben.

Es war kalt geworden. Dem klaren, warmen Sonnentage war ein klares Frostwetter gefolgt. Der Aufenthalt am Kruge war auf mindestens eine halbe Stunde zu berechnen. Wir verließen daher sämmtlich den Wagen und begaben uns in die Krugstube.

In der Krugstube befand sich nur ein einziger Gast. Es war der Schreiber John. Er saß vor einem großen Schnapsglase. Sein geröthetes Gesicht zeigte, daß das Glas nicht das erste war, aus dem er getrunken hatte. Seine schwere Stimme sollte dies bald noch mehr beweisen.

„Aha, Herr Wachtmeister, schon zurück? Gute Geschäfte gemacht in Rußland? Auch den Schlom Schwarzbart eingefangen? Oder hat es nicht glücken wollen?“

Wir wollten umkehren. Allein ein anderes Zimmer war in dem Kruge nicht zu haben. Draußen in der Kälte zu sitzen, war gleichfalls nicht angenehm, und der Executor Matz erklärte, dafür einzustehen, daß der Mensch kein verletzendes Wort sprechen werde.

„Nur," setzte er hinzu, „müssen Sie mir erlauben, mich mit ihm einlassen zu dürfen. Ich muß erfahren, was der Schurke schon von dem Schlom Schwarzbart weiß.“

Als habe er die Anrede des Schreibers nicht gehört, ging er zu dem Schenktische und bestellte sich ein Glas Warmbier.

„Alter Soldat, alter Sergeant,“ höhnte der Schreiber, „trinkt warmes Frauenbier. He, Herr Wachtmeister, wollen Sie nicht mit mir trinken? Echten Kümmel.“

„Schlom Schwarzbart hat ihn wohl für Sie bezahlt" fragte der Executor.

„Was würde das dem Kümmel schaden?“

„Dem Kümmel nicht. Aber wer sich hier in Preußen der Freundschaft des Schlom Schwarzbart rühmt, den möchte ich wohl auf die Kreisjustizcommission nach Ragnit bringen, nicht in die Kanzlei, aber in die Gefängnisse.“

„Ei, ei, Herr Wachtmeister, wir sind hier nicht auf der Haide, wie vorgestern Abend.“

„Wir sind auch nicht weit von ihr entfernt.“

„Da haben Sie Recht,“ warf der Schreiber mit einer eigenthümlichen Hast ein.

Der Executor wurde aufmerksamer.

„Auch der Schlom Schwarzbart ist wohl nicht weit?“

„Es ist möglich.“

„Oder waren Sie vielleicht drüben in Neustadt bei ihm?"

„Ich gehe nicht gern über die Grenze.“

„Wo hätten Sie denn gehört, daß wir den Schwarzbart haben?“

Der Schreiber lachte höhnisch laut auf.

„Haben Sie ihn wirklich, Herr Wachtmeister? Wohl in dem Wagenkasten da drüben? Oder da in ihrem Busen unter dem Rocke, neben dem Pistol, das sich dort abzeichnet?“

Der Executor nahm einen ernsten Ton an. „Hören Sie, Bursch. Sie wissen einerseits, daß wir den Juden nicht haben. Sie wissen andererseits, daß in Russisch-Neustadt Schritte gethan sind, ihn zu fangen. Jetzt heraus damit, woher haben Sie diese Nachricht? Wenn sie nicht antworten, werde ich den Herrn Kreisjustizrath bitten, Sie zu arretiren. Verdächtigt sind Sie genug.“

Der Executor hatte sich diesmal nicht verrechnet. Die Furcht vor der Kreisjustizcommission that ihre Wirkung. Der Schreiber gab nach.

„Nun, nun, Herr Wachtmeister, nicht so strenge; ich scherzte ja nur.“

Das Gespräch wurde unterbrochen. Der Kutscher trat ein. Er sah geheimnißvoll, beinahe etwas verstört aus.

Pons Secretaris!" rief er leise und winkend dem Secretär zu.

Er sprach mit diesem leise.

Auch das Gesicht des Secretärs nahm den Ausdruck einiger Aengstlichkeit an. Er bat mich, mit ihm auf den Flur zu kommen, mit einem doppelten Winke auf den Schreiber, aber auch auf meine Frau.

„Was giebt es?"

„Der Kutscher meldet verdächtige Sachen. Während er die Pferde gefüttert, hat er zwischen den Bäumen jenseits der Landstraße mehrere Männer vorbei schleichen gesehen. Zuletzt ist Einer an ihn heran gekommen, ein Jude, der ihn gefragt hat, wen er fahre, und wohin die Reise gehe. Der Jude hat lauernde Blicke in den Wagen geworfen.“

„Wie war das Aeußere des Juden?“

„Er hat einen langen schwarzen Bart getragen, und, was dem Kutscher besonders aufgefallen ist, keine jüdische Kleidung, sondern einen kurzen szameitischen Wandrock.“

„So soll der Schlom Schwarzbart bei seinen Verbrechen in Preußen gekleidet sein.“

„Allerdings.“

„Der Verdacht des Matz würde dadurch bestätigt werden.“

„Das macht mich eben besorgt.“

„Welche Richtung haben die Männer genommen?“

Er wußte es nicht. Er fragte den Kutscher danach, der mit uns die Krugstube verlassen hatte.

Der Litthauer zeigte in den Weg nach Coadjuthen hinein.

„Von daher kommen wir ja, Herr Secretär.“

„Aber hundert Schritte in jenem Wege geht eine Straße nach der Plein ab. Sie läuft in die tilsiter Landstraße wieder ein, und ist für Fußgänger jetzt bequemer zu passiren als die letztere. Auf dieser bricht man durch die noch zu dünne Frostdecke des Moorgrundes durch. Ueber den Sand in der Plein geht man weg.

„Woher waren die Männer gekommen?“

Der Litthauer gab die Richtung des dingkenner Forst an.

„Nach dieser Auskunft,“ bemerkte ich, „wüßte ich keinen Grund zu einem Verdachte. Wenn jene Menschen etwas gegen uns im Sinne hätten, so machten sie einen eben so weiten als unnöthigen Umweg, um aus dem dingkenner Forst durch die Plein in den tilsiter Weg zu gelangen.“

„Es ist wahr; die tilsiter Straße führt an dem Forst entlang.“

„Ich wüßte überhaupt nicht, wer und warum man uns überfallen wollte.“

„Jene entsprungenen Verbrecher, der Schlom Schwarzbart, der unzweifelhaft von dem verrätherischen Kludszweit schon erfahren hat, wie auf ihn vigilirt wird. – Es treibt sich außerdem immer Gesindel genug an der rechten Memelseite umher.“

„Und was sollte alles dieses Gesindel von uns wollen? Uns zu berauben, wäre wenigstens nicht der Mühe werth.

„Aber zu Rache ist solches Volk stets geneigt."

„Matz scheint Sie angesteckt zu haben, und jener Schreiber mit der Urfehde. Schweigen wir von der Sache gegen meine Frau, die sich beunruhigen möchte. Der Kutscher scheint mit seinen Pferden fertig zu sein."

Der Kutscher spannte wieder an. Wir fuhren weiter.

Der Executor Matz hatte zu seinem großen Verdruß aus dem Schreiber nichts heraus gelockt.

Es war völlig dunkeler Abend geworden. Die Pferde kamen nur sehr langsam vorwärts. Der Moorgrund des Weges war von dem Forste nur mit einer dünnen Kruste überzogen. Bei jedem Tritte brachen sie durch diese durch. Zu Fuße wären wir schneller voran gekommen.

In der That holte uns bald ein Fußgänger ein. Matz wurde unruhig als er den Menschen sah. Auf einmal sprach er leise in den Wagen hinein.

„Es ist der Schreiber John, Herr Kreisjustizrath. Soll ich den Menschen anhalten?“

„Damit der Mensch Ihnen noch einmal den Vorwurf des Straßenraubes machen kann?“

„Aber was hat der Kerl hier auf der Straße zu schaffen? Er wohnt nach dem Forst zu.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_284.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2017)