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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Ungarische Haideschenke.


will. So wie seine Hände sich hier zeigen, greife ich zu, fasse ihn und schwinge ihn aus dem Wasser in den Nachen hinein.“

„Du den schweren, kräftigen Kerl?“

„Im Wasser wiegt das Pfund kein Loth. Aber paßt jetzt auf. Er ist nahe. Ich höre ihn. Haltet die Ruder fest. Wenn wir ihn haben, wird er sich wehren, er ist stärker als wir drei. Schlagt ihn mit den Rudern nieder, auf den Kopf, wohin Ihr ihn trefft.“

„Warum empfangen wir ihn nicht im Wasser mit den Rudern?“

„Bist Du toll, Herr? Er würde untertauchen und von unten her den Nachen umwerfen. Ruhig, er ist da."

Der Flüchtling hatte den Nachen erreicht. Er bäumte sich wieder hoch auf im Wasser. Mit einem ungeheuern Satze schnellte er sich empor, nach dem schmalen, leichten Fahrzeuge hin. Diesmal war sein Bäumen nicht das eines hohen Rosses, aber der furchtbare Sprung jener wilden Tigerkatze, an deren Gier und Unbändigkeit sein Aussehen schon immer erinnert hatte. Er griff nach dem Rande des Nachens.

Mix Szillus erwartete ihn. Der junge Litthauer hatte sich fest auf seine Knie gestemmt. Den Körper hatte er vorgebeugt, die Augen starr auf den Rand des Schiffes gerichtet, die Arme ausgestreckt zum sofortigen kräftigen Zugreifen.

Die starken Fäuste des Flüchtlings zeigten sich an dem Rande. Sie umklammerten ihn. Die Finger schlugen sich ein zu einem ungeheuern Rucke.

Mix Szillus griff zu. Die gleichfalls starken Fäuste des litthauischen Fischers schlugen sich um die Faustgelenke des riesigen Schwimmers. Aber Mix Szillus hatte seine Kraft falsch berechnet. Der Ruck erfolgte, ohne daß er ihn hindern konnte.

Das Schiff hatte indeß nur geschwankt. Es war nicht umgeschlagen.

Friedrich Victor setzte zu einem zweiten stärkern Ruck an.

In demselben Augenblicke erhob Mix Szillus sich höher, griff nach den Oberarmen des Schwimmenden, umfaßte diese und die Schultern, und suchte, mit einem kräftigen Schwunge den Verbrecher aus dem Wasser zu heben und in den Nachen zu werfen.

Friedrich Victor stemmte sich gegen den Rand des Schiffes. Es erhob sich ein Kampf zwischen Beiden. Aber nur einen Augenblick lang. Der Gefangenwärter gab den Ausschlag. Er sprang auf, von der andern Seite des Nachens, um dem Litthauer Hülfe zu leisten.

So wie er seinen Platz verließ und den Streitenden nahte, verlor jedoch das schmale Fahrzeug das Gleichgewicht. Die größere Schwere, die Schwankungen der Strömung, das Zerren der Streitenden warfen ihn auf die Seite. Eine verzweiflungsvolle letzte Anstrengung des Flüchtlings trat hinzu. Der Kahn schlug um. Unter ihm, von ihm bedeckt lagen der Gefangenwärter und seine beiden Gefangenen.

Friedrich Victor schwamm lachend davon, erreichte das Ufer, durchlief die Wiesen, und war nach kurzer Zeit in den schützenden Waldungen der schreitlauker Berge verschwunden.

Der zweite Nachen, der bald darauf herankam, hatte sich nur damit zu beschäftigen, den Gefangenwärter und den zweiten Gefangenen aus dem Wasser aufzufischen. Mix Szillus konnte schon dabei helfen; er hatte sich allein unter dem umgeworfenen Fahrzeuge hervorgearbeitet. Der Gefangenwärter konnte erst nach Verlauf einer Stunde, durch die größten Anstrengungen, in’s Leben zurückgerufen werden. Von dem zweiten Entflohenen, Trinkat, wurde gar keine Spur wieder aufgefunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_273.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)