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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

einige Besuche dort gemacht, als er nach beendigten Studien auf der Karlsschule in Stuttgart vom Herzoge von Meiningen im Baufach angestellt wurde. Und schon in Stuttgart selbst war er von den lieben Cousinen und deren Mutter begrüßt worden, als dieselben 1784 aus der Schweiz kommend Wilhelms Mutter besuchten, die sich ihrer Söhne wegen damals in Stuttgart aufhielt. Diese vortreffliche Dame hatte unserem Schiller den ersten Schutz geboten, als derselbe von der Noth und dem Herzog Karl von Würtemberg verfolgt wurde; auf ihrem Gute Bauerbach bei Meiningen lebte der flüchtige Freund ihres Sohnes sicher und sorglos; sie achtete nicht der Nachtheile, die daraus ihrem Sohne selbst in Stuttgart erwachsen konnten.

Wilhelm hatte die Verwandten auch zu Schiller’s Aeltern auf der Solitüde geführt, und es ihnen zur Pflicht gemacht, die hier empfangenen Grüße dem Sohne selbst zu bringen, der in Mannheim schon im ersten Stadium seines Ruhmes stand. Und hier war es denn, wo Schiller zum ersten Male Caroline und Charlotte sah. Dieses Begegnen war indessen flüchtig und fast kalt. – Die Schwestern waren noch ganz erfüllt von ihrem Schweizerleben, hatten eine Art Scheu vor dem Dichter der Räuber; und verwunderten sich deshalb, daß ein so gewaltiges und ungezähmtes Genie ein so sanftes Aeußere haben könne. Bei Schiller war kein Eindruck von diesem Begegnen zurück geblieben; – Caroline hatte schon Tieferes davon getragen, wie sie überhaupt auch schon vorher mehr als Charlotte den großen Genius in dem Dichter der Räuber erkannt hatte. – Auf Charlotte hatte wohl mehr das zwar lebhafte, aber doch milde, mehr genießende und schwärmerisch anerkennende, als selbst producirende und dominirende Wesen des Vetters Wilhelm Eindruck gemacht, während dieser mit hingebender Begeisterung Carolinen angehörte, und dieses Gefühl bis jetzt treu bewahrt und noch eifriger entwickelt hatte, vielleicht ohne es selbst zu wissen, wenigstens ohne es ahnen zu lassen: Caroline war ja schon seit drei Jahren Gattin, – wenn auch keine glückliche. Eine Convenienzheirath hatte sie dem sonst sehr vortrefflichen und edelgesinnten Herrn von Beulwitz ungeliebt vermählt.

So standen denn nun die vier Menschen in eigenthümlicher Stimmung zusammen: Schiller litt noch recht wund an seiner unglücklichen Liebe zu Frau von Kalb; Charlotte hatte kurz vorher einen geliebten Mann nach Amerika wandern sehen, um ein für allemal ein Verhältniß abzubrechen, von dem wir nur wissen, daß es unglücklich war und das jetzt noch Charlotten’s Herz bewegte. In dieser Stimmung war sie vielleicht um so empfänglicher für den erneuten Eindruck, den Wolzogen’s plötzliches Erscheinen auf sie ausübte. – Dieser aber war mehr denn je versunken im Anblick Carolinen’s, und diese staunte begeistert Schiller an, der von Weimar aus damals immer weiteren Ruhm gewonnen, immer helleren Glanz von sich ausgestrahlt hatte und in seinem ganzen Erscheinen auch liebenswürdiger geworden war. Schiller fühlte sich früher schon innig zu ihr hingezogen, doch ohne tiefere Bedeutung; Charlotte machte auch jetzt wenig Eindruck auf ihn. – Das war die eigenthümliche Situation, in welche sich die Vier hier zusammen fanden, und aus der sich später die eigentlich nicht zu erwartende Doppelheirath entwickelte.

Manche Leserin dieser Erzählung wird vielleicht gar nicht recht erbaut sein von diesem Beginn der berühmten „Liebe Schiller’s zu Charlotte;“ noch weniger von unserer Behauptung, daß Schiller’s eigentliche Liebesgluth weit mehr Carolinen als Charlotten angehörte; daß Beide weit mehr durch ruhige Neigung und Freundschaft als durch Leidenschaft an einander gefesselt waren. Die Jugend und Frauenwelt hat sich jene Liebe meist sehr ideal und schwärmerisch gedacht und sich mit schönen Verzückungen in ein Verhältniß zwischen den Liebenden und Gatten hinein phantasirt, das eigentlich nie bestanden hat. – Aus der Erziehung und dem Charakter Charlotten’s, dann aus schlagenden Stellen in Schiller’s, Carolinen’s und Charlottens’s weit verzweigtem Briefwechsel wollen wir unsere Behauptung zu rechtfertigen, dann aber auch darzulegen versuchen: daß gerade dieses Verhältniß das für beide Theile gemäße war und sich zu reiner, schöner Blüthe und Frucht entwickelte, indem es Charlotte immer bedeutender, Schiller immer ruhiger und zufriedener machte; Charlotte war der gute Erdenengel unseres unsterblichen Dichters.

So recht mitten im Herzen des thüringer Wald- und Berglandes geboren und erwachsen, und zwar in einer Gegend, die die lieblich-anmuthigen und wildromantischen Reize dieses herrlichen Landes in sich vereinigt: das allein schon konnte nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung so erregbarer und empfänglicher Naturen wie die unserer zwei Schwestern sein. Auch die Aeltern nahmen sich mit so viel Bildung, Geschmack und eifrigem Willen der Entwickelung ihrer Töchter an, daß dies durchaus nachhaltig auf sie wirken mußte. Der Vater, Landoberjägermeister, und als Forstmann von bedeutendem Ruf, wirkte auf die Mädchen als kräftige, durch und durch gesunde und resolute Natur, – die Mutter, eine geborne von Wurmb, als ruhige, gottesfürchtige Frau und als ceremoniöse Oberhofmeisterin; der Erstere aber mehr auf Carolinen, die doch schon im vierzehnten Jahre stand, als der Vater starb, von diesem ganz besonders in Obhut genommen war und zu Pferde, zu Wagen und zu Fuß bei vielen fernen und nahen Waldtouren den gichtigen Vater begleitet und dabei die starke, freie Wald- und Bergluft des Landes eingeathmet, die wilde Romantik desselben kennen gelernt und in diesem frischen Naturverkehr Blick und Sinn sich erweitert und gestärkt hatte.

Charlotte war, währenddem noch Kind, fast nur der Mutter und dem lieblich anmuthigen Naturkreis der nächsten Umgebung überlassen. Dies noch mehr nach dem Tode des Vaters 1779, und zwar immer entschiedener und einseitiger, weil die Mutter sie zur Hofdame heranbilden wollte und das junge Gemüth sehr früh mit all den Kleinlichkeiten, Lächerlichkeiten und abgeschmackten Ceremonien erfüllte, die damals namentlich an den kleinen Höfen und ganz besonders am dortigen Hofe, zu solcher Stelle nöthig waren. Die Vorschriften und täglichen Uebungen für Haltung, Miene, Geberde mußten natürlich auch das innere Wesen berühren, wenigstens es einschüchtern oder einzwängen.

Dazu kam noch, daß Caroline schon mit sechzehn Jahren Braut wurde und damit an sich, in ihrem Hause und in der Gesellschaft eine so frühe und dominirende Selbstständigkeit gewann, daß die, doch nun auch herangewachsene und immermehr zur Jungfrau sich ausbildende Charlotte noch lange Zeit fast unbeachtet blieb, und unerkannt, einsam, in ertödtendem Studium zur Hofdame, ihr junges Leben hinbrachte, ihre reiche, tiefe Gemüthswelt verschließen, in manchem wohl gar versiegen, wenigstens einschlummern lassen mußte.

Um das zur Hofdame nöthige echte Französisch an schöner Quelle zu erlernen, wurde Charlotte nach der französischen Schweiz gebracht; Mutter, Schwester und deren Bräutigam begleiteten sie. Fast ein Jahr brachten sie in Vevey zu; aber während Mutter und Schwester die herrlichsten Gegenden besuchten, und mit Lavater in Verkehr traten, mußte Charlotte bei einem ehemaligen Jesuiten, Fauconnier, viel und streng Französisch treiben und schließlich längere Zeit die Krankenwärterin bei ihrer Schwester sein, die sich bei einem Ausflug in das Gebirge eine gefährliche Nervenkrankheit zugezogen hatte.

Alles dies zusammen mußte wohl, – bei einer schon an sich milden, bescheidenen, verständigen und still beobachtend angelegten Natur, – ein Wesen, einen Charakter bilden: mehr theilnehmend als anregend, mehr dankbar empfangend als leidenschaftlich austauschend, mehr klar, still und sicher in sich selbst beruhend, als mit voller Hingabe einer flammenden Liebe entzückend und berauschend. Ein solcher Charakter konnte Schiller’s Ideal nicht sein; ein solcher Charakter aber mußte dem idealen Schiller so recht zum Halt- und Mittelpunkte seines häuslichen Dichterlebens werden.

Einige Züge aus dem Leben Charlotten’s, zur Zeit, als Schiller in Beziehung zu ihrer Familie und dann näher zu ihr selbst trat, dürften geeignet sein, ihr Wesen in dem Sinne zu beleuchten, wie wir es aufzufassen versuchten. Sie liest z. B. Anton Reisser und empfiehlt es allen Schulmännern; sie liest Trenk und glaubt, es könne vielen jungen Leuten zur Warnung dienen; sie liest Tissot über die Nerven und hat den Wunsch, als Mann Anatomie studiren zu können; sie liest La Roche’s Reise nach London, findet sie meist langweilig und ermüdend, hat aber große Freude an der Schilderung der Nation, weil ihr bei derselben Größe und Wohlthätigkeitssinn harmonisch vereinigt erscheinen. Sie ist fertig im Zeichnen einfacher Landschaften; sie führt dieselben mit Reinheit und Zartheit, aber ohne Kühnheit aus. Sie spricht stets sehr langsam und leise, so daß sich der spätere Hausfreund Göritz noch darüber lustig macht; derselbe will auch ein herbes und vornehmes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_246.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)