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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Schiller’s Frau.
Ein Gedenkblatt zur fünfzigjährigen Todtenfeier Schiller’s am 9. Mai.

Charlotte von Schiller.

I.
Bis zum Hochzeitstag.

Trotz einem trüben Novemberabend des Jahres 1787 gingen zwei Damen vor einem reizend gelegenen und noch immer dicht umbuschten Hause zu Rudolstadt spazieren; die Eine mochte 26, die Andere 22 Jahre zählen; jene trug bei aller Jugendlichkeit doch das Gepräge der Frau, und zwar das einer sinnig-ernsten, wenn auch oft ein heller Strahl geistiger Lebhaftigkeit den Ernst durchleuchtete. Die Jüngere erschien durchaus mädchenhaft in der eher kleinen als mittelgroßen, schlanken und feinen Gestalt, in den ziemlich hellblonden, lang nach hinten zurückgeworfenen Haaren und den großen, edel geschnittenen hellblauen Augen; aber die reinen, klaren Züge waren oft wie mit einem Hauche frühreifen Verstandes überschattet. – In wenigen Minuten konnte die eigenthümliche Erscheinung um vieles älter und um vieles jünger aussehen als sie es wirklich war. – Es waren auch wohl ernste, bedeutungsvolle Momente und Empfindungen, die beide Schwestern jetzt durchsprachen und durchdachten; – sie schauten einige Minuten träumerisch hinaus nach den fernen Berggeländen – da erklang es von unten herauf wie Pferdegetrappel, sie blickten auf den Hügel hinunter und zwei Reiter sprengten heran, die Gesichter fast verhüllt in den Kaputzen ihrer langen grauen Mäntel. Sie grüßten die Frauen, die zwar neugierig voran, aber halb verlegen halb verwundert wieder zurücktraten.

Der Vetter!“ rief die Jüngere.

Schiller!“ rief gleichzeitig die Aeltere und Beider Gesicht war hoch geröthet.

Die Reiter, die nun abstiegen, wurden später die Männer der beiden Damen, – aber nicht derjenigen, die zuerst sie erkannt hatten: Charlotte von Lengefeld, die jüngere, wurde Schiller’s Frau; Caroline von Beulwitz, die ältere Schwester, wurde die Frau ihres Vetters Wilhelm von Wolzogen, des Jugendfreundes unseres großen Dichters. Die Freunde kamen von Meiningen, wo sie Wolzogen’s Mutter und Schiller’s dort verheirathete Schwester besucht hatten, und wollten in Rudolstadt die Verwandten des Ersteren nur vorübergehend begrüßen, als hier die Würfel ihrer späteren Lebensschicksale geworfen wurden.

Indessen sahen sich die vier edlen Menschen jetzt nicht zum ersten Male. Wolzogen’s und Lengefeld’s waren sich nicht allein befreundet, sondern auch verwandt. Wilhelm hatte schon früher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_245.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)