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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

wie sie, in der Form der Reisebeschreibung oder der Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Charaktere, für die Erscheinungen der äußeren Welt, in der Form der moralischen Abhandlung, der Selbstbetrachtung, der brieflichen Mittheilung oder dgl., für das Reich der inneren Empfindungen, eine nicht unwichtige Stelle in der Literatur einnimmt und noch mehr in einer früheren Zeit einnahm, hat unter den Frauen manche vortreffliche Bearbeiterin gefunden, zumal in Frankreich und England, wo die Frauen jene Eigenschaften, welche zu dieser Art von Schriftstellern vorzugsweise nöthig sind, Schärfe der Beobachtung, Klarheit und Leichtigkeit des Ausdrucks, unter dem anregenden Einflusse eines entwickelten geselligen und nationalen Lebens vielseitiger auszubilden Gelegenheit hatten. Besonders bekannt sind in dieser Beziehung die Briefe einer Madame von Sévigné, die Belehrungen einer Madame Genlis, die Betrachtungen einer Madame von Staël über Gegenstände der Kunst, des gesellschaftlichen Lebens, der Literatur, die Reisebeschreibungen und Länderschilderungen einer Lady Montogue, Miß Martineau, Miß Trollop u. A.

Unter unsern deutschen Frauen haben leider gerade die begabtesten von denen, welche einen ähnlichen selbständigen Weg schöpferischen Gestaltens ihrer Lebenserfahrungen und Empfindungen einschlugen, jener fördernden Nachhülfe äußerer Verhältnisse, namentlich jener strengen Schule einer allgemein verbreiteten Geschmackskultur entbehren müssen, welche ihren Strebensgenossinnen in England und Frankreich von so großem Vortheil waren. Von keinem kräftig entwickelten, durch starke Gegensätze anregenden, durch festgestellte Formen bindenden und bildenden Gesellschaftsleben getragen, schlossen sich diese höherstrebenden Frauengeister entweder in tiefsinnigen, aber für das große Publikum fast unverständlichen und nur einem kleinen Kreise Eingeweihter zugänglichen Enthüllungen ihrer innersten Herzens- und Geistesregungen ab, wie die geniale Rahel, oder sie ergingen sich in wunderlichen, oft geistvollen, bisweilen aber auch barocken und ungenießbaren Ergießungen, wie Bettina von Bettina von Arnim, oder sie verkamen in krankhafter Ueberreizung und Schwärmerei, wie die unglückliche Charlotte Stieglitz.

Fast wichtiger als das, was sie selbst geschaffen, sind die Dienste, welche begabte Frauen mittelbar der Literatur geleistet haben durch die persönlichen Anregungen, mittels deren sie häufig den männlichen Genius in die Bahnen schöpferischer Thätigkeit lenkten und auf diesen ermunternd und anfeuernd, leitend und regelnd, einwirkten. Art und Form dieses Einflusses sind wesentlich verschiedene gewesen bei uns und bei unsern westlichen Nachbarn jenseits des Rheins. In Frankreich ist es hauptsächlich die geistreiche Frau und die Frau von bedeutender gesellschaftlicher Stellung, welche den jungen Dichter oder Künstler in ihre Kreise zieht, zum Schaffen anfeuert und in seinen äußern Erfolgen durch ihre Gönnerschaft und durch die Anerkennung, welche sie ihm in weitern Kreisen zu verschaffen weiß, unterstützt.

Dagegen war es in Deutschland von jeher mehr das sinnige, zugleich geist- und gemüthvolle Weib, welches, selten als Gönnerin, gewöhnlich nur als seelenverwandte Freundin bisweilen als wirkliche Lebensgefährtin, den Dichter, nicht nur als Dichter, sondern zugleich als Mensch seiner ganzen Persönlichkeit nach mit dem poetischen Zauber ihrer Liebe und Verehrung umgab, in sein Schaffen und Empfinden einging, an seinem Ruhme – oft nur in bescheidener Entfernung – sich erfreute, seine Kränkungen mit empfand und nicht selten noch das Andenken des Gefeierten mit einem duftenden Kranze aus den Blüthen des eigenen Geistes schmückte[1].

Beinahe einem jeden unserer größeren Dichter steht ein solcher befreundeter weiblicher Genius zur Seite. Die Geschichte nennt im innigsten Bunde mit Klopstock seine Meta, mit Wieland Sophie Delaroche, mit Schiller Frau von Wolzogen und Frau von Kalb, mit Herder seine Gattin Caroline, mit Goethe Frau von Stein und andere Freundinnen, mit Tiedge Elisa von der Recke. Zuweilen wohl war solcher weiblicher Einfluß der Literatur minder günstig, Verhätschelungen, Verhöhnungen und Vereinseitigungen vielversprechender dichterischer und künstlerischer Talente durch Frauen sind mehrfach zu beklagen gewesen.

Allein überwiegend ist doch die wohlthätige Macht, welche das Gemüth und den Geist begabter und gebildeter Frauen auf die Weckung, Beschwingung und Veredlung des dichterischen Genius allezeit geübt haben, und die Literatur und die Menschheit bleiben ihnen dafür ewig verschuldet.

Ungleich ferner, als das Reich der künstlerisch schaffenden Phantasie liegt den Frauen, ihrer Naturanlage und Bestimmung nach, das Reich des sichtenden und forschenden Verstandes. Schon da, wo beide Gebiete sich berühren, im Fache literarischer Kritik, sind die Erfolge und Verdienste weiblicher Leistungen nur höchst unsichere. Selbst das berühmte, aber auch viel angefochtene Buch der Madame von Staël über deutsche Literatur und Wissenschaft, was wäre es gewesen ohne ihren gelehrten und kritischen Freund August Wilhelm von Schlegel? Für die eigentliche Wissenschaft, so weit es sich dabei nicht blos um ein Auffassen und Gruppiren von Einzelnheiten, sondern um das beharrliche Verfolgen einer bestimmten Idee oder einer Reihe von Ideen handelt, fehlt den Frauen das Organ eben dieser Vertiefung in eine Idee, dieser Beherrschung eines vielartigen Stoffs durch große, allgemeine Gesichtspunkte; es fehlt ihnen, mit einem Worte, dasjenige, was man das logische Denken nennt. Daher haben die Frauen weder in der Philosophie, noch in der Geschichte, noch in den exacten Wissenschaften jemals etwas Hervorragendes, Bahnbrechendes geschaffen. Kein philosophisches System, keine neue Erfindung im Reiche der Technik, keine neue Entdeckung in den Naturwissenschaften, kaum ein bedeutenderes geschichtliches Werk hat den Namen einer Frau verewigt. Sogenannte gelehrte Frauen hat es wohl ab und zu gegeben.

Dorothea Schlözer, des berühmten Publicisten Tochter erwarb in bester Form die Würde eines Magisters der freien Künste an der Universität Göttingen. Basedow’s Tochter glänzte als halberwachsenes Mädchen unter den Schülern ihres Vaters in der lateinischen Prüfung. Des großen Philologen Reiske gelehrte Frau half ihrem Mann bei seinen Ausgaben der griechischen Classiker, so wie Madame Dacier dem ihrigen bei seinen Uebersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen. Allein das waren theils bloße Spielereien, ohne eigentlichen bestimmten Zweck, theils zwar ganz verdienstliche, aber doch immer in beschränktem Kreise sich bewegende Bestrebungen.

In einer gewissen Art geschichtlicher und philosophischer Darstellungen haben einzelne ausgezeichnete Frauen nicht Unbedeutendes geleistet. Der Madame de Staël Betrachtungen über die französische Revolution haben ebenso wie ihre philosophischen Gedanken über den Einfluß der Leidenschaften auf die Einzelnen und die Nationen, eine ehrenvolle Stelle unter den gleichartigen Arbeiten der Männer eingenommen. Die Memoiren der Herzogin von Abrantes gehören zu dem Besten dieser Gattung. Miß Martineau hat sich in würdiger Weise den großen Geschichtsschreibern ihres Vaterlandes angereiht. Zahlreiche und fruchtbare Keime einer aus dem Leben und der Betrachtung des eigenen Innern geschöpften Philosophie finden sich in vielen der schon erwähnten Werke einer Sévigné, Genlis, Georges Sand, Blessington, Martineau, Rahel und in noch manchen andern Aufzeichnungen von Frauenhand.

Diese Art von Lebensphilosophie, die Beobachtung der menschlichen Seelenzustände in den nächsten Verhältnissen des häuslichen, bürgerlichen, geselligen Lebens, die Auffindung der natürlichen Regeln und Bedingungen für das richtige Handeln und das daraus entspringende Wohlbefinden der Menschen und die Darstellung der so gewonnenen Resultate in einer leichten, gewinnenden und überzeugenden Form, das scheint ein Feld wissenschaftlicher und literarischer Beschäftigung zu sein, welches sich für Frauen von Geist und Gemüth ganz besonders zur Anbauung eignet. Ihr sicheres moralisches Gefühl, ihre feine Beobachtungsgabe und ihr Instinkt für das Passende, Schickliche und Nothwendige sind hier ganz an ihrem Platze. Es wäre daher zu wünschen, daß Schriften, wie die unlängst erschienene „Little things“ („Kleinigkeiten“)[2] – von einer unbekannten Verfasserin – unter den zum Schriftstellern geneigten Frauen Nachahmung fänden.



  1. Wir denken hierbei namentlich an die trefflichen Biographien Schiller’s von Caroline von Wolzogen und Herder’s von seiner Gattin.
  2. Die einzelnen Abschnitte des kleinen Büchleins besprechen – unter den Aufschriften: „kleine Pflichten“, „kleine Sorgen“ u. s. w. – alle wesentlichen Vorkommnisse des täglichen menschlichen Lebens und knüpfen an dieselben philosophische Gedanken und Rathschläge.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_223.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)