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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

daß er so unerwartet gekommen sei, man habe nichts zu seinem Empfange thun können.

Albrecht bezog ein Zimmer, von dessen Fenstern aus man die Hauptstraße übersehen konnte, die zu dem Schlosse führte. Kaum hatte er sich erholt, als er Anordnungen traf, seine zukünftige Gattin zu empfangen. Als Zweck derselben gab er seinen längeren Aufenthalt auf dem Schlosse an. Drei Tage hatte er in peinlicher Unruhe verbracht, aber weder Fritz kam an, noch Amalie. Am vierten Tage fragte er den Kastellan nach dem Förster Zierlein.

„Der lebt noch, gnädiger Herr!“ war die Antwort. „Die Regierung hat ihm seinen Posten gelassen, obgleich er alt und schwach ist. Zwei tüchtige Jägerburschen versehen seinen Dienst und Alles geht gut. Der Kummer um seine Tochter, die auf so räthselhafte Weise verschwand, hat den kräftigen Mann vor der Zeit gealtert. Fragt man ihn nach ihr, so schüttelt er schmerzlich das kahle Haupt und sagt: meine Katharina ist todt! Laßt sie, laßt sie, fügt er gewöhnlich hinzu, indem er eine abwehrende Bewegung mit der Hand macht – es ist gut, daß es so gekommen ist!“

„Und hat man nie wieder etwas von ihr erfahren?“ fragte der Baron mit schwankender Stimme.

„Nie wieder, gnädiger Herr! Man flüstert sich wunderliche Dinge von ihr in das Ohr – sie soll sich selbst das Leben genommen haben.“

Der Baron brach das Gespräch ab. Die Auskunft des Kastellans erfüllte ihn mit Schmerz, aber auch mit Freude. Er hatte sich den Tod der unglücklichen Katharina nicht zum Vorwurf zu machen, denn um ihre Ehre zu retten und sie zu beruhigen, hatte er sich heimlich mit ihr trauen lassen. Um alle Zweifel zu beseitigen, kam zwei Tage später Fritz an, und überreichte seinem Herrn die vom Kloster ausgestellten Papiere. Nichts fehlte mehr zu seinem Glücke, als Amalie. Die Einsamkeit und die qualvolle Erwartung hatten seine Leidenschaft fast bis zum Wahnsinne gesteigert; er suchte tausend Gründe, die ihr Ausbleiben rechtfertigten, aber die Eifersucht, die sich nach und nach in Mißtrauen verwandelte, verwarf sie alle wieder.

Eines Morgens stand er an dem geöffneten Fenster. Da fuhr eine Postchaise den Hügel herab. Zitternd betrachtete Albrecht die langsame Fahrt des Wagens, der endlich in dem Thore verschwand.

„Sie kommt, gnädiger Herr!“ rief Fritz, der hastig eintrat.

„Wer?“ fragte der Baron, obgleich er wußte, wer gemeint sei.

„Wer anders als die reizende Dame aus Spaa und Aachen. Ich sah ihren lieblichen Kopf durch die Fenster des Wagens – nicht wahr, sie wird unsere junge Herrin? Ach,“ fügte er ausgelassen lustig hinzu, „das ist eine andere Frau für Sie, gnädiger Herr, als die einfältige Försterstochter.“

Fritz verschwand; nach einigen Augenblicken öffnete er die Thür wieder, und Amalie, in einem eleganten Reiseanzuge, trat ein. Sie hatte nicht Zeit zu grüßen, denn Albrecht schloß sie in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit Küssen.

„Bin ich noch immer willkommen?“ fragte sie, erröthend an seine Brust sinkend.

„Amalie, erlassen Sie mir die Beschreibung der Qual, die ich erduldet. Hier habe ich gehofft und gefürchtet“ – er deutete auf das Fenster –

„Und ich mußte mit großer Vorsicht reisen, denn der Graf hatte meine erste Spur entdeckt.“

„Jetzt hat er keine Rechte mehr an Sie!“

„Vergessen Sie nicht, daß ich in zwei Monaten erst die Volljährigkeit erreicht habe. Ach, und ich weiß nicht, wie weit ihm das Testament meines Vaters Vollmacht giebt. Albrecht, ich habe viel gewagt; tragen Sie Sorge, daß man mich Ihnen nicht wieder entreißen kann.“

Mit triumphirender Miene holte der Baron die Bestätigung des Todes seiner ersten Gattin.

„Damals glaubte ich zu lieben, Amalie, und jetzt liebe ich erst! vergessen wir die Vergangenheit, und versichern wir uns der Gegenwart und Zukunft.“

„Und wenn ich nun so arm bleibe, als ich jetzt zu Ihnen komme?“ fragte sie verschämt.

„Dann besitze ich einen Schatz von Anmuth und Liebenswürdigkeit, der alle Reichthümer der Welt aufwiegt.“

Fritz, der Zeuge dieser ersten Herzensergießungen gewesen, verließ das Zimmer.

„Jetzt also liebt der Herr Baron erst!“ murmelte er in einem schmerzlichen Zorne vor sich hin. „O, ich habe mich nicht getäuscht, die arme Katharina ist der Laune eines vornehmen Herrn geopfert!“

Der Baron zitterte für den Besitz des reizenden Wesens, an dem er mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Charakters hing, und auch Amalie sprach die Besorgniß aus, daß der Vormund es nicht unterlassen würde, seine Gewalt so lange geltend zu machen, als es ihre Minderjährigkeit ihm gestattete. Von einem so zähen Charakter als dem des Grafen, ließ sich Alles fürchten. Eine Trennung, und wenn sie nur auf Tage erfolgte, schien den Liebenden das größte Unglück zu sein. Außerdem erforderte es die Ehre der jungen Dame, daß der Brautstand so viel als möglich abgekürzt würde. Dem Ansehen des Barons gelang es, den Pfarrer seines Gutes zur Trauung zu bestimmen. Der Todtenschein Katharina’s und der Geburtsschein Amalia’s, den sie sich früher schon zu verschaffen gewußt hatte, um ihre Volljährigkeit darzuthun, beseitigten alle Bedenken des Priesters, der vor dem mächtigen und reichen Baron hohe Achtung hegte. Die Trauung Albrechts mit der Braut, die er sich von der Reise mitgebracht, ward still in der kleinen Kapelle des Schlosses vollzogen. Die Domestiken bewunderten die Schönheit und Milde der jungen Herrin, und unter lautem Jubel führte man die beiden Gatten in ihre prachtvoll eingerichteten Gemächer.

Es war gegen Abend des Trauungstages, als Fritz in den kleinen Saal trat, in welchem sich die Neuvermählten befanden. Amalie, einfach in weiße Seide gekleidet, trug noch den Brautkranz in den braunen Locken. Sie glich wirklich einem Engel von überirdischer Schönheit. Albrecht saß zu ihren Füßen, ganz Anbetung und Liebe.

„Verzeihung, gnädiger Herr, daß ich störe,“ sagte Fritz mit zitternder Stimme.

Der Baron sah ihn fragend an. Amalie ergriff ängstlich den Arm ihres Gatten.

„Ist etwas geschehen?“ flüsterte sie, bestürzt über die Aufregung des Dieners, von dem sie wußte, daß er treu an seinem Herrn hing.

„Der Graf von Funcal, in Begleitung seines Neffen, bittet um eine Unterredung.“

„Jetzt?“ rief der Baron auffahrend. „Der würdige Mann hat seine Zeit gut gewählt. Wenn ihn meine Gattin empfangen will –“

„Er mag mich an Deiner Seite sehen, Albrecht – jetzt fürchte ich ihn nicht mehr!“

„Fritz,“ befahl der Baron, „laß die Herren Funcal eintreten, dann bleibst Du in dem Saale, im Falle ich Deiner Dienste bedarf.“

Der Diener verschwand. Amalie warf sich an die Brust des Gatten und umschlang mit bebenden Armen seinen Hals.

„Fürchte nichts, Geliebte!“ tröstete er unter Küssen. „Uns umschlingt ein heiliges, festes Band, das weder menschliche Gewalt noch Bosheit zerreißen kann. Wenig Augenblicke werden genügen, um dem greisen Verbrecher seine Stellung zu uns anzudeuten.“

Fritz öffnete die Thür, und beide Funcals erschienen. Die Gatten traten ihnen Arm in Arm entgegen. Keiner der beiden Gäste drückte ein Erstaunen aus, sie grüßten mit kalter Höflichkeit.

„Herr Baron,“ begann der alte Graf, „mir scheint, ich komme zu spät, um die mir anvertraute Mündel vor einem großen Unglücke zu bewahren.“

„Verzeihung, Herr Graf,“ antwortete Albrecht mit erkünstelter Ruhe, „Sie kommen zur rechten Zeit, um meiner Gattin Glück zu wünschen und aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen, daß Sie der Pflichten eines Vormundes überhoben sind.“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_220.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)