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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Wann ist er angekommen?“

„Gestern um Mittag."

„Ist Ihnen die junge Dame bekannt?“

„Ich habe Gründe, sie für seine Tochter zu halten.“

Der Baron glaubte sich diesem Manne anschließen zu müssen. Sein Aeußeres verrieth Dürftigkeit, und deshalb lud er ihn zu einem Frühstücke ein. Der Mann mit der Habichtsnase zog seinen Hut und nahm die Einladung an. Nach wenigen Minuten saßen Beide beim Champagner.

„Wie ich Ihnen bereits gesagt,“ berichtete der Koloß, „so ist Herr von Funcal alle sieben Jahre in Aachen acht Tage anwesend, außer dieser Zeit sieht man ihn nicht. Man weiß, daß er ein Portugiese und enorm reich ist. Um die Reliquien zu verehren, unternimmt er die weite Reise, ein Beweis von seiner bewunderungswürdigen Religiosität.“

„Das ist nicht zu leugnen“ sagte der Baron. „Aber wer ist die Dame und in welcher Beziehung steht sie zu ihm?“ fragte er, von Unruhe gefoltert.

„Das müßte man zu erfahren suchen“ murmelte der braune Gast, dem die Aufregung des verliebten Barons nicht entging.

„Trinken Sie, mein Bester! Noch eine Flasche!“

Der Koloß verschlang den Champagner.

„Ich stehe zu lhren Diensten," sagte er, als die zweite Flasche geleert war. „Mir kann es nicht schwer fallen, die gewünschte Auskunft zu erhalten. Ich verspreche sie Ihnen," sagte er mit einem Lächeln, das Zuversicht einflößte. „Hier ist meine Hand."

„Ich verspreche Ihnen zehn Louisd’or, wenn Sie erforschen, wo die Dame wohnt!“ sagte der Baron. „Ich habe sie bereits in Spaa gesprochen, und habe ihr hier eine wichtige Nachricht mitzutheilen. – Wo finde ich Sie?“

Boule d’or Nr. 9.“

„Sie sehen mich wieder, sobald der Abend dämmert.“

Albrecht von Beck war allein. Das Geheimnißvolle, das Amalie umgab, machte sie ihm noch reizender und seine Liebe quälender. Mit dem festen Vorsatze, Vermögen und Leben daran zu setzen, um Gewißheit zu erhalten, verließ er das Kaffeehaus. Müde und matt kehrte er um zwei Uhr in sein Hotel zurück. Sein Diener übergab ihm ein Billet, das ein Knabe für den Gast auf Nr. 9 gebracht hatte. Das Billet enthielt folgende Zeilen:

„Mein Herr! Es geht Alles vortrefflich. Halten Sie sich diesen Abend neun Uhr bereit, es wird Sie zu dem gewünschten Ziele führen – Barchon.“

Um die bezeichnete Stunde erschien Barchon. Die Nacht war völlig angebrochen, als beide Männer das Hotel verließen, schwarze Gewitterwolken verdunkelten den Horizont. Albrecht war vorsichtig gewesen, er hatte sich mit einem Dolche bewaffnet und seinem Diener Befehl ertheilt, so zu folgen, daß er ihn stets im Auge habe. Barchon führte seinen Begleiter durch das Thor aus der Stadt. Dann schlug er einen Weg ein, der sich eine Zeit lang zwischen hohen Hecken hinzog. Plötzlich zeigte sich an einem Teiche ein stattliches Gebäude. Die zuckenden Blitze spiegelten sich in der ruhigen Wasserfläche ab.

„Hier wohnt der Portugiese!“ flüsterte Barchon. „Was gedenken Sie nun zu thun?“

„Ich will die Dame sprechen, und soll es in seiner Gegenwart geschehen!“

„Gut, so folgen Sie mir!“

Man trat zu dem Hause, in dessen erstem Stocke einige Fenster erleuchtet waren. Barchon zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür. Der aufgeregte Albrecht bemerkte diesen Umstand nicht, er folgte schweigend seinem Führer über die Hausflur und stieg die Treppe zu dem Corridor des ersten Stockes hinan, der durch eine Lampe matt erhellt wurde.

„Wo ist mein Diener?“ fragte der Baron, den in diesem Augenblicke das erste Mißtrauen beschlich.

„Ich werde dafür sorgen, daß er in Ihrer Nähe bleibt!“ flüsterte Barchon zurück. „Uebrigens fürchten Sie nichts, mein Herr; der Portugiese, ein schwacher Greis, liegt um diese Zeit schon im Bette. Hier ist das Zimmer der jungen Dame - Sie werden sie ohne Zweifel allein finden.“

„Kennen Sie ihren Namen?“ fragte der Baron, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht geirrt habe.

„Ich hörte sie Amalie nennen.“

„Gut, erwarten Sie meine Rückkehr!“

Albrecht öffnete die Thür und trat in ein dunkles Vorzimmer. Ein heller Blitz erleuchtete den Raum, und gleich darauf ließ sich der erste Donner vernehmen. Dann ward eine Thür geöffnet und eine Dame in einem weißen Nachtmantel erschien.

„Betty! Betty!“ rief sie leise.

Albrecht erkannte die liebliche Stimme Amalie’s; seiner nicht mehr mächtig, trat er ihr rasch entgegen. Mit einem unterdrückten Schrei flog sie erschreckt in das Zimmer zurück.

„Ich bin es, Amalie, Ihr Freund, Ihr glühender Verehrer!“ rief er leise, indem er ihr folgte.

„Sie, mein Herr, Sie?“ fragte sie mit bebender Stimme.

„Konnten Sie zweifeln, daß ich Ihnen folgen würde? Amalie, es giebt kein Hinderniß, das mich von Ihnen trennen kann – ausgenommen Ihr eigener Wille!“ fügte er hinzu, indem er ihre zarte Hand ergriff und sie an seine Lippen drückte.

Jetzt schien sich das reizende Mädchen seiner Nachttoilette zu erinnern. Sie kreuzte die vollen runden Arme, die nur halb von feinen Spitzen bedeckt waren, auf dem erregten Busen, der wie Schnee durch den dünnen Flor des Mantels schimmerte. Die aufgerollten Locken bildeten einen Kranz um das liebliche Köpfchen. Wie wunderbar schön war das vor Scham und Verwirrung erröthende Mädchen! Amalie wagte kaum die Blicke emporzuschlagen.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Leonore.
Skizze von Elise Polko.
 Ueber das Herz zu siegen, ist groß – ich verehre den Tapfern;
 Aber wer durch sein Herz siegt, der gilt mir noch mehr!
 Schiller

Die fröhlichen Bewohner der schönen Kaiserstadt Wien, so geschäftig und ruhelos sie auch immer von einem Tage in den andern eilen, so wechselnd sie sich oft zeigen in ihren Neigungen, so vergnügungsdurstig sie erscheinen, haben sie doch zu allen Zeiten in einer Empfindung einen tiefen Ernst und eine rührende Innigkeit an den Tag gelegt: in der Empfindung für ihre großen Musiker. Der Wiener war und ist auf solche Erscheinungen eben so stolz als auf seinen Kaiser und – auf seinen Prater. Daß sich die Wiener damals nicht gerade darum sorgten, ob ihr lieber Haydn, Mozart und Beethoven auch tagtäglich „Backhahndel“ zu verzehren hatten, ob ihre Wohnungen behaglich, ihre Beutel gefüllt waren, das konnte und durfte man ihnen nicht übel nehmen, jedes ächte Wiener Kind hat „halt“ gar zu viel mit sich selber zu tun. Jeder aber freute sich von Herzen und strahlte ordentlich, wenn er wieder ein neues Stück von seinen Lieblingen hörte, ließ sie dann auch hoch leben, d. h. mit dem Glase in der Hand, und zog gewiß den Hut bis zur Erde, wenn Einer oder der Andere jener berühmten Männer ihm einmal zufällig in den Weg kam. – Lächelt nicht! Das ist schon sehr viel! Wie mancher große Geist in schlichter Körperhülle ging an den Menschen vorüber, ohne daß ihn Einer warm anschaute, ohne daß ihm Einer dankte für das, was er geschaffen. – Und doch trifft eben solch’ ein Anschauen und Danken die Seele wie ein Frühlingssonnenstrahl, und kein Mensch, so erhaben er auch sei, so hoch über Alle er auch stehe, vermag solches ohne Schmerzen zu entbehren.

In dem ungewöhnlich schönen Monat Juni des Jahres 1822 konnte man täglich genau zu derselben Nachmittagsstunde auf dem sogenannten Wasserglacis einen hochgewachsenen Mann einsam auf und abwandeln sehen, dem jeder Begegnende ehrerbietig auswich. – Keine Minute früher noch später erschien dieser düstere Spaziergänger,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_192.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)