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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

im Flusse, lockere und nicht zu warme Kleidung, zuvörderst einen gesunden kräftigen Körper zu erlangen suchen, und diesem ist alsdann die geistige Arbeit anzupassen. – Die Nahrung im Jugendalter sei eine reichliche, nahrhafte und reizlose Kost aus thierischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln, das Getränk bestehe aus Wasser oder dünnem Biere und Milch, aus schwachem Kaffee und Thee. Oft wird hierbei darin gefehlt, daß man eine Nahrung ohne die gehörige Menge Kochsalz und Fett genießen und nicht genug trinken läßt, obschon unser Körper viel Wasser, Fett und Salz bedarf. – Die Luft, ebenso unentbehrlich zum Leben wie die Nahrung, muß natürlich rein und so oft als nur möglich im Freien geathmet werden. Man gewöähne die Kinder daran, in guter Luft kräftig und tief ein- und auszuathmen, dagegen unreine, schlechte Luft zu fliehen. – Die Kleidung, natürlich der Jahreszeit angepaßt, sei locker und kindlich, damit die Kinder sich nicht für Erwachsene halten. Bei Mädchen muß durchaus das Gewicht der Kleider von den Schultern getragen werden und deshalb dürfen sie nicht zu schwere Kleider (besonders Unterröcke) anziehen. Das Leibchen, an welches ein Theil der Bekleidung angeknöpft werden kann, sei locker und besonders über der Brust hinreichend weit, Corsets sollten noch gar nicht gebraucht werden. Die zuträglichsten Kleider für Mädchen sind die nach dem Kutten- oder Blousenschnitt verfertigten. Das Schuhwerk bestehe aus hinreichend langen Stiefelchen, welche über den Knöcheln leicht schließen. – Die Reinigung der Haut durch warme Bäder und Waschungen wird in dieser Altersperiode oft ganz mit Unrecht aufgegeben oder doch sehr vernachlässigt. Wöchentlich ein warmes Bad oder doch eine durchgreifende Abwaschung und Abreibung des ganzen Körpers, selbst beim Gebrauch von kalten Flußbädern, ist für die Haut und Gesundheit von großem Vortheil. – Bewegungen, welche leider bei der Erziehung der Mädchen und zwar zum bedeutenden Nachtheile künftiger Generationen für entbehrlich gefunden werden, sind gerade für dieses Lebensalter ganz unentbehrlich, müssen aber dem Körperbaue jedes Kindes gehörig angepaßt werden und ebenso unter einander, wie mit hinreichender Ruhe abwechseln (s. Gartenlaube Jahrg. III. Nr. 7). Mädchen wie Knaben sollten wo möglich täglich, am besten im Freien, Bewegungen, wie Springen, Laufen, Schwimmen, Tanzen oder Turnen, vornehmen. Es ist ein schändliches Verbrechen gegen die Natur und die Menschheit, die Mädchen, anstatt sie zu kräftigen Müttern heranzubilden, zu nervenschwachen, verkrüppelten Salondamen zu erziehen, abgesehen davon, daß passende Turnübungen schön machen. – Der Schlaf, welcher im Jugendalter der großen körperlichen und geistigen Thätigkeit wegen wohl stets gut ist, muß auch gehörig lang sein und wenigstens 10 bis 12 Stunden dauern. Es ist ganz falsch von Aeltern, wenn sie ihre Kinder nur so lange als sich selbst schlafen lassen; Blutarmuth und Bleichsucht ist die nächste Folge davon und deshalb auch in diesem Lebensalter schon so häufig. – Die Abhärtung durch Kälte (kalte Waschungen und Bäder, Flußbaden, leichte Kleidung und Schlafdecke) werde hübsch allmälig (im Grade und in der Dauer) gesteigert, aber nicht übertrieben. Man erinnere sich stets, daß plötzliche und kurze Einwirkung der Kälte wie ein Reizmittel auf die Hautnerven und das Gehirn wirkt und nervöse Reizbarkeit, Krampfkrankheiten (Veitstanz, Epilepsie) und Blutarmuth (Bleichsucht) erzeugen kann. – Die Sinnesorgane, vorzugsweise die Augen, verlangen eine ganz besondere Schonung und Aufmerksamkeit, da ihr Zustand auf den künftigen Beruf großen Einfluß hat (s. Gartenlaube Jahrg. II. Nr. 39.).

Die Erziehung muß, wie in den früheren Lebensaltern, eine körperliche und eine geistige sein, sowie auch die moralische, zu welcher die Grundlage schon im Kindesalter durch Gewöhnung gelegt wurde, durch den Verstand veredelt werden muß. Uebrigens sollte zwischen der Erziehung der Knaben und der Mädchen, ebenso wie bei Beider Erhaltung, nur wenig oder kein Unterschied gemacht werden, da so in diesem Alter das Geschlechtliche noch gar nicht entwickelt ist und nach den Schuljahren noch Zeit genug zur eigentlich weiblichen und männlichen Fortbildung existirt. Gartenlaube Die körperliche Erziehung muß vorzugsweise auf die Ausbildung von Bewegungsfertigkeiten gerichtet sein und bezieht sich deshalb ebensowohl auf den Gang und die Haltung bei den verschiedenen Bewegungen (beim Tanzen, Turnen, Schwimmen), wie auch auf Sprache, Gesang, Schreiben, Zeichnen, Malen und auf die mechanische Behandlung von Instrumenten. Ebenso ist ferner, wie auch schon im Kindesalter, der Sinn für Reinlichkeit, Ordnungsliebe und Pünktlichkeit recht tüchtig zu pflegen. Zu diesem Zwecke, sowie auch zur Erlangung von Geschicklichkeit in den gewöhnlichsten Verrichtungen und Handleistungen, sollte man Kinder sich selbst bedienen lassen, ihnen nicht immer nachräumen und Alles bequem machen. Kinder, denen bei Allem Hülfe geleistet wird, werden später gewöhnlich ungeschickte, unpraktische und unselbstständige Menschen. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist auf das Kind hinsichtlich des Reinhaltens seines Körpers zu verwenden; besonders sind Zähne, Haare, Hände und Nägel einer strengen Controle zu unterwerfen. – Die geistige Erziehung, ob eine häusliche oder Schulerziehung bleibt sich ganz gleich, muß folgende Gesetze beobachten, wenn sie von gutem Erfolge sein soll: 1) sie hat sich dem Körperzustande und der Beschaffenheit (Ernährung) des Gehirns des Kindes genau anzupassen[WS 1]; 2) sie darf nur sehr allmälig (in der Stärke und der Dauer) gesteigert werden; 3) sie muß eine passende Abwechselung im Geistigthätigsein beobachten; 4) sie soll jeder geistigen Anstrengung die nöthige Hirnruhe folgen lassen; 5) die Hirnthätigkeit selbst ist zuvörderst durch richtige Sinneseindrücke (Anschauungsunterricht) anzuregen und sodann ebensowohl in ihrer Gemüths- und Willens-, wie Verstandesrichtung durch Uebung (Gewöhnung), zu vervollkommnen. Eine richtige Verstandesbildung verlangt aber weit weniger die Ausbildung des Gedächtnisses und der Phantasie, als die gehörige Entwickelung des Begriffs-, Urtheils- und Schlußvermögens (Denkkraft. – Sonach muß man von einer Schule, wenn sie naturgemäß eingerichtet sein soll, Folgendes verlangen: a) sie hat nicht blos auf das geistige, sondern auch auf das körperliche Gedeihen ihrer Schüler die nöthige Rücksicht zu nehmen und deshalb, stets auf gute reine und mäßig warme Luft in den Schulzimmern (die gehörig zu lüften und nicht mit Schülern zu überladen sind) zu halten; ferner darauf zu sehen, daß die Höhe der Bänke und Tische gehörig zu einander und für die Größe der Kinder paßt, dass[WS 2] die Augen ordentlich geschont werden (s. Gartenlaube Jahrg. II. Nr. 39); daß die Kinder nicht zu lange und wohl gar ohne sich anzulehnen, gerade sitzen müssen; daß die Kinder keine falsche Haltung beim Sitzen annehmen; daß die Kinder zu gewissen Zeiten (Zwischenstunden) zu passenden Bewegungen (Turnen), wo möglich im Freien, und zum kräftigen Athmen angehalten werden; daß schwachen blutarmen Kindern nicht ebensoviel wie krästigen zugemuthet wird. b) Die geistige Erziehung geschehe vorzugsweise durch Anschauung (Veranschaulichung), die aber ebensowohl eine äußere (durch Sinneswahrnehmungen), wie eine innere (durch lebendige Vorstellung von Dingen mit Hülfe der Einbildungskraft) sein muß. Sodann müssen aber auch diese Vorstellungen, welche in uns ein Bild von einem Gegenstande, oder einer Begebenheit, einer Thatsache, einer Geschichte, einem Raume mit einer Menge von Gegenständen, einer Zeit mit ihren Ereignissen u. s. w. erwecken, zur Bildung von Begriffen, von Urtheilen und Schlüssen verwendet werden. Leider fehlen in den meisten Schulen die gehörigen Denkübungen, gegründet auf Anschauungen, und der größte Theil des geistigen Unterrichts besteht in Gedächtnißübungen.

Die Krankheiten des Jugendalters sind zwar auf den ersten Anblick nicht zahlreich, denn höchstens finden sich jetzt die Symptome von Erkältungskrankheiten (Schnupfen, Husten, böser Hals, Durchfall, ein, trotzdem kommt aber doch die Blutarmuth (Bleichsucht), besonders bei den .Mädchen und mit Schiefwerden, unglaublich häufig vor und wird, in den meisten Fällen ganz unbeachtet, in das Jungfrauen- (Jünglings-) Alter übergetragen. Die Ursache dieser Blutarmuth ist die falsche Erhaltung und Erziehung, besonders der Mädchen und hauptsächlich in der Schule, nämlich, das lange Still- und Geradesitzen, der Mangel der Freistunden und zweckmäßigen Körperbewegung, die überfüllten, schlechtgelüfteten Schulzimmer, die einseitige und anstrengende Verstandeskultur, der Mangel an Schlaf, an freier Luft und an nahrhafter Kost, und nicht selten vorzeitige Geschlechtserregungen (Onanie). Zur Heilung dieser Blutarmuth, welche sobald als möglich zu erstreben ist, wenn sie für die spätern Jahre keine schlimmen Folgen haben soll, ist es zu allererst durchaus nothwendig, daß das Kind längere Zeit den Schulbesuch einstellt, sodann sich viel im Freien aufhält und hier mäßige Bewegungen macht, leicht verdauliche und nahrhafte Kost (besonders Milch) genießt und von Zeit zu Zeit ein warmes (nicht etwa ein kaltes) Bad nimmt. Nur erst dann, wenn die Zeichen der Blutarmuth verschwunden

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_175.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)