Seite:Die Gartenlaube (1855) 156.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

dort die Berühmtheit des Tags, die spanische Tänzerin Pepita de Oliva, die an dem Abend zum ersten Mal in Brüssel aufgetreten, gesehen hatte. Alles war voller Entzücken und der Name der Spanierin auf allen Lippen. Der Unterhaltungsstoff ist ansteckend, wie mancher Krankheitsstoff, und so kam es auch, daß ich den alten Kapitain fragte, ob er nicht Lust habe, morgen mit in’s Theater zu gehen, und die schöne Spanierin zu bewundern. Der alte Soldat zuckte mit den Achseln, ließ eine dichte, blaue Rauchwolke emporwirbeln und murmelte dann:

„Wenn ich noch jung wäre, würde ich mir das Vergnügen nicht versagen, aber ich bin schon ein zu alter Knabe, um mich noch an dergleichen Dingen zu ergötzen – und dann“, setzte er zögernd und mit einem düsteren Ausdruck hinzu, „dann ist sie auch eine Spanierin, und so oft ich ein Weib dieses Volkes sehe, werde ich immer an eine unglückliche Geschichte erinnert, die mir meine Laune Tage lang verdirbt.“

Man kann sich denken, daß diese Worte meine Neugierde heftig erregten, und ich bat den Kapitain um eine nähere Erklärung. Im Anfang wich er aus und schien sich über das schon Gesagte zu ärgern, aber ich ließ ihn nicht los und erfuhr endlich folgende Geschichte, die ich hier so wieder erzählen will, wie ich sie mir an jenem Abend, als ich nach Hause gekommen, in mein Tagebuch aufgeschrieben.

„Es war im Jahre 1809, im dritten der napoleon’schen Feldzüge auf der pyrenäischen Halbinsel. Die französischen Truppen, an der Ostküste herunterrückend, hatten Barcellona genommen und näherten sich Saragossa, in welchem der spanische General Palafox commandirte. Eine düstere, unheimliche Stille lagerte über der Stadt, die sich mit finsterer Entschlossenheit zum Widerstand rüstete. Die Straßen von Saragossa sind bis auf eine, die Hauptstraße, alle schmal, düster und feucht, weil die hohen Häuser von Backsteinen das ganze Jahr keinen Sonnenstrahl hinein fallen lassen. Die einzige del Coso-Straße hat ein heiteres, freundliches Ansehen und schöne, geschmackvolle Häuser, und auf ihr ist auch immer das dichteste, lebhafteste Menschengetümmel. An dem einen Ende dieser Straße stand ein kleines, zweistöckiges Haus, hinter dessen grünen Jalousien man zuweilen einen schönen, blassen Mädchenkopf mit dunklen, feurigen Augen, frischen, rothen Lippen und nachtschwarzen Locken bemerken konnte. In der letzten Zeit mußte das arme Kind einen tiefen Kummer haben, der an ihm nagte, denn wenn sie an das Fenster trat, um ihre Blumen zu begießen, sah man oft in ihren schönen dunklen Augen Thränen schimmern, und häufig saß sie Stunden lang auf einer Stelle, den Kopf in die Hand gestützt und auf einen Punkt starrend, wie über den Gegenstand ihres Schmerzes brütend.

Die Ursache, aus welcher ihre Thränen flossen, war nicht schwer zu errathen. Dolores Lianares, so hieß die junge Spanierin, war, wie damals die meisten spanischen Frauen, eine glühende Patriotin, welche die Franzosen als Unterdrücker ihres Vaterlandes aus dem Tiefsten ihrer Seele haßte. Aber Dolores war neben der Patriotin auch Mädchen, ein spanisches Mädchen mit einem Herzen voll Gluth und Leidenschaft, und dieses feurige, glühende Herz hatte sie einem jungen spanischen Offizier geschenkt, Don Ramon, welcher in einem arragonesischen Regiment diente. Aber Don Ramon, der vor dem Ausbruch des Kriegs auf der hohen Schule zu Salamanca die Rechtswissenschaft studirt hatte, war ein entschiedener Priesterfeind, ein Feind der unbedingten Alleinherrschaft, ein Anhänger jener freien Richtung, die bald nach den französischen Kriegen so mächtig in Spanien auftauchte. Zum Unglück war der Befehlshaber des Regiments, bei welchem Don Ramon als Hauptmann stand, einer jener alten, glaubenseifrigen Spanier, wie sie die Zeiten des Pizarro und Philipp II. sahen, die auf Einflüsterungen eines Mönchs tausende von Indianern und Ketzern morden lassen konnten.

Don Baldomo, das war der Name des Obersten, hatte bald die ketzerischen Gesinnungen seines Hauptmanns kennen gelernt, und bei einer Musterung, die er über das Regiment hielt, warf er dies dem Don Ramon öffentlich in verletzenden Ausdrücken vor der Fronte seiner Compagnie vor und zog ihm außerdem, trotz Ramon’s oft bewiesener Tapferkeit, im Avancement einige junge Hidalgo’s (Edelleute) vor, die zwar weniger Tapferkeit und kriegerische Fähigkeiten, aber desto mehr jenen düsteren Glaubenseifer und Begeisterung für die unumschränkte Alleinherrschaft zeigten, wie sie der Oberst selbst besaß.

Don Ramon war außer sich; nach beendigter Musterung ließ er sich beim Obersten melden, und als er vorgelassen wurde, machte er ihm die bittersten Vorwürfe, verlangte Genugthuung mit dem Degen von ihm, und als ihm der Oberst diese verweigerte, nannte er ihn einen Ehrlosen. Der Oberst ließ ihn in Arrest werfen und wegen Verletzung der Subordination ein Kriegsgericht zusammentreten. Der Spruch war vorauszusehen; das Kriegsgericht aus lauter Gegnern der Ansichten Don Ramon’s zusammengesetzt, konnte nur auf Kassation oder Tod durch die Kugel erkennen. Don Ramon kam ihm zuvor, mit Hülfe einiger treuer Soldaten seiner Compagnie entfloh er aus dem Militärgefängniß und eilte nach der nächsten, von französischen Truppen besetzten Stadt. Mit blutigen Händen und Füßen, zerrissenen Kleidern kam er im französischen Hauptquartier an.

„Wo ist der kommandirende General?“ frug er mit vor Aufregung bebender Stimme den ersten Soldaten, der ihm begegnete.

Man führte ihn in dessen Wohnung.

„General!“ sprach er, „ich bin Spanier, aber ich bin auch Mann, ich bin Soldat. Man hat mich wie einen Elenden behandelt, mich eingekerkert, und nur durch die Flucht konnte ich mich einer entehrenden Strafe oder dem Kugeltod entziehen.“

Und er erzählte die ihm widerfahrenen Unbilden. Es lag damals in der Politik Napoleon’s, junge Männer aus guten spanischen Familien in seine Dienste zu ziehen.

Der General richtete einige Fragen an den jungen Mann, die ihm von der Wahrheit seiner Aussagen überzeugten, und am Abend war er als Adjutant seinem Stab zugetheilt.

Wer vermag den Schmerz der armen Dolores zu schildern, als sie diesen Uebertritt ihres Geliebten zu den Feinden des Vaterlandes erfuhr? Sie zerraufte sich ihr schwarzes Haar, rang die zarten Hände wund und weinte Tag und Nacht. Als sie sich so weit wieder gesammelt, daß sie einige Gedanken fassen konnte, sendete sie durch einen geheimen Boten folgendes Briefchen an Don Ramon:

„Unglücklicher! Du liebtest also die Fahnen des fremden Unterdrückers mehr als Dein Vaterland, mehr als Dolores? Du eilst in die Reihen derer, die Deine Brüder tödten und Deine Schwestern entehren! – Du bist zum Verräther an Deinem Land, zum Verräther an unserer Liebe geworden! Dolores Lianares wird nie einem Manne angehören, dessen Hand sich roth von dem Blute eines Spaniers färbte – Lebe wohl! Gott und die heilige Jungfrau mögen Dir vergeben und gnädig sein. – Ich kann es nicht.
Dolores.“ 

Als der Kapitain so weit in seiner Erzählung gekommen war, hielt er einen Augenblick inne und zog eine alte Brieftasche heraus, aus welcher er ein altes, vergilbtes Papierblatt nahm, auf welchem mehrere kleine, dunkle Blutflecken zu sehen waren. Es enthielt einige Zeilen in spanischer Sprache und unten am Ende stand undeutlich und kaum leserlich der Name Dolores. Ich betrachtete mit einem gewissen, unwillkürlichen Schauder dies kleine Blättchen und gab es dann dem Kapitain zurück, der darauf in seiner Erzählung fortfuhr:

„Dolores Schmerz wurde zwar mit der Zeit etwas ruhiger, stiller, aber der Gram um den verlornen Geliebten nagte um so gefährlicher im Innern an dem Herzen des armen Mädchens und die besorgten Aeltern, welche die Rosenröthe von Dolores Wangen schwinden und ihre Augen immer thränenfeucht sahen, schickten sie, um ihren Kummer etwas zu zerstreuen, nach dem Kloster der heiligen Anna in dem kleinen Städtchen G., wo eine Tante von Dolores Priorin war.

Dolores kam im Kloster an, aber die kalten feuchten Mauern konnten das Andenken an Ramon nicht ersticken, und das Beten und Messe singen der Nonnen Dolores Schmerz nicht lindern.“

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)