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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

im Kreise umhergeblickt und dann die Hände, erbleichend und zitternd, vor das von Thränen überströmte Gesicht gelegt.

Als sie so einige Minuten, wie es schien, im heftigsten Kampfe mit sich selbst gestanden und der Präsident, seine Frage wiederholend, sich auf’s Neue an sie wendete, erhob sie langsam ihre Blicke gen Himmel und stammelte, ihre Hand auf das Herz legend, vor sich hin:

„Ich kann, ich darf es nicht sagen. Es ist das Geheimniß eines Andern.“

War nun schon vorher unter dem versammelten Publikum sowohl, wie unter den Richtern die allgemeine Stimmung für die Angeklagte gewesen, so mußte jetzt dieses so überaus edle und durch die höchste Einfachheit imponirende Benehmen doppelt zu ihren Gunsten sprechen. Viele Frauen weinten, und selbst die verhärtetsten Männerherzen fühlten sich von dem, was sie hier sich begeben sahen, gerührt.

Nachdem die Bewegung des Erstaunens und der innigsten Theilnahme ein wenig nachgelassen und wieder eine athemlose Stille eingetreten war, richtete sich der Vorsitzende nun an die Majorin von Gl…n, diese fragend, ob sie denn selbst keine Ahnung habe, zu welchem Zwecke die von ihr Beklagte die tausend Thaler entwendet haben könne.

Einen Augenblick stutzte die Befragte, dann sich sammelnd, erklärte sie mit stotternder, undeutlicher Stimme: „daß dies allerdings der Fall sei, sie jedoch nicht reden könne, wenn es nicht ein Anderer, bei der Verhandlung Anwesender thue, den die ganze Sache näher betreffe und welchem sie einleuchtender sein müsse als ihr.“

Diese Aeußerung, obwohl nur zum Theil und unvollständig verstanden, brachte in der Versammlung eine solche Sensation hervor, daß man es im ersten Augenblicke ganz übersah, wie ein junger, stattlicher Herr, welcher natürlich Niemand anders als Graf Eduard von B… war, dem Präsidenten ein Zeichen machend, daß er reden wollte, an die Schranken des Gerichtshofes herangetreten war.

Nachdem man endlich und nur mit großer Mühe die Ruhe hergestellt hatte, begann nun Graf Eduard von B… wie folgt:

„Der, dessen Geheimniß die Angeklagte nicht verrathen wollte und welchen die Anklagende als Denjenigen bezeichnet hat, dem die Sache am Nächsten angehe, bin ich, der ich bisher nur geschwiegen, um ein edles und aufopferndes Herz sich in seiner ganzen Herrlichkeit entfalten zu lassen. Meine Herren Geschworenen, ehe Sie Ihren Spruch fällen, hören Sie zuvor das noch mit an, was ich Ihnen hier zu eröffnen habe und welches, wie ich im Voraus weiß, auf Ihr Votum nicht ohne Einfluß bleiben wird.“

Nach diesen Worten haarklein die Geschichte erzählend, die wir auf den vorstehenden Seiten unsern Lesern schon im Voraus gegeben, schloß er seine Rede ungefähr wie folgt:

„Dies, meine Herren Geschworenen, ist der klare, einfache und wahre Thatbestand, wegen welchem die Angeklagte vor Ihnen steht. Ich weiß nicht, wie Ihr Spruch über dieselbe lauten wird, aber wie er auch laute: schuldig oder unschuldig, mein Verhalten gegen die Angeklagte soll dadurch nicht bestimmt werden. Laut und offen erkläre ich vor aller Welt, daß ich Natalie Bl… nicht nur ihrer That willen nicht gering schätzen kann, sondern daß ich sie derselben wegen ewig lieben und verehren werde. Gehen Sie, meine Herren Geschworenen und berathen Sie sich. Wie aber auch Ihre Entscheidung falle, hier stehe ich und bitte, daß die, über die Sie zu richten haben, unter allen Umständen nicht verschmähen möge, meine Gefährtin durch’s Leben zu werden.“

Ein Beifallssturm von Jauchzen und Händeklatschen durchscholl den Saal, den die Geschworenen mit gerührten Mienen und thränenden Blicken verließen, während Natalie Bl...., durchströmt von Glück und Wonne, ihrer selbst nicht mehr mächtig, Graf Eduard von Bl… ohnmächtig in die Arme sank.

Noch war sie ihrer Sinne nicht ganz mächtig, als die Geschworenen schon wieder erschienen, um durch ihren Sprecher erklären zu lassen, daß ihr Spruch über die Angeklagte einstimmig auf „nichtschuldig“ laute.

Nun brach ein Zurufen und Freudengeschrei vor den Assisen los, wie man es in B… vor denselben noch nie erlebt. Im Nu waren von allen Seiten die Barrièren überklettert und Graf Eduard von B… und seine Verlobte von einem solchen Menschenknäul umringt, daß man die angestrengteste Mühe hatte, sie aus demselben heraus, vom Erstickungstode zu retten. Als sie endlich hinaus auf die Straße traten und sich in einen herbeigeholten Wagen setzten, ließ es sich die Menge nicht nehmen, die Pferde auszuspannen, und denselben selbst bis vor die Wohnung des Grafen zu ziehen.

Hier angelangt, ward noch in derselben Stunde der Prediger geholt, und von diesem die Trauung vollzogen.

Die Majorin von Gl…n und ihre Tochter haben bald darnach B… verlassen, und wie es heißt, ist die Letztere später noch eine sehr unzweckmäßige und sie tief unglücklich machende Ehe eingegangen. Graf Eduard von B… und Natalie Bl… dagegen leben noch jetzt in der glücklichsten Gemeinschaft, die man sich denken kann, in B…, geschätzt, geachtet und geliebt von der ganzen Stadt, in der sie sich für immer heimisch gemacht.




Das spanische Mädchen.


Als ich im Herbst des Jahres 1854 in Brüssel war, besuchte ich in den Abendstunden gewöhnlich das Café Suisse auf dem Place de Monnaie, wo man neben einer guten Tasse Mocca und den französischen und englischen Journalen auch einige deutsche Zeitungen fand, welche uns wie gute liebe Bekannte erschienen, die man in der Fremde trifft und mit denen man von der Heimath plaudern kann. So ohne Weiteres bekam ich indessen nicht immer die Zeitungen, denn ein alter Herr von vielleicht einigen sechzig Jahren, dessen gerade, militärische Haltung auch außer dem grauen Schnurrbart und dem rothen Bändchen der Ehrenlegion, das er im Knopfloch trug, den ehemaligen Soldaten verrieth, hatte in der Regel alle Journale, deren er habhaft werden konnte, zusammengetragen und vor sich aufgehäuft, und während er mit der einen Hand das Blatt, in welchem er eben las, hielt, stützte er sich mit der anderen auf die übrigen Blätter, so daß in der That etwas diplomatisches Geschick dazu gehörte, um dem alten Herrn eins der Journale zu entführen. Dabei machte er in der Auswahl der Zeitungen keinen Unterschied, und französische, deutsche, englische Blätter lagen friedlich neben dem madrider „Heraldo“, ein Beweis, daß der Mann eine große Sprachkenntniß besitzen müsse. Wer die Kaffeehäuser großer Städte besuchte, wird gewiß eine derartige Originalität, einen dieser „Gazettophagen“, wie sie Cuvier nennen würde, gesehen haben. Da der Zufall wollte, daß der Kapitain, dies war er, wie ich später erfuhr, zu gleicher Stunde mit mir das Café besuchte, so entstand ein sonderbares Verhältniß, eine Art Bekanntschaft zwischen uns, die jedoch die Eigentümlichkeit hatte, daß niemals zwischen uns ein Wort gewechselt wurde. Zuletzt war trotz unseres beständigen Zeitungskriegs die Gegenwart des Einen dem Andern förmlich zum Bedürfniß geworden; es lag ein eigner Reiz für uns Beide in dieser hartnäckigen Vertheidigung und meinen beharrlichen Angriffen.

Eines Tages indessen, als der Kapitain D.... seinen ledernen Beutel mit der Meerschaumkopfpfeife vergessen, wurde unsere bisher stumme Unterhaltung gesprächig. Ich bot dem Kapitain, der vergebens in allen seinen Taschen suchte, und dem ich den Aerger darüber in den Augen las, eine gute Manilla an, die nach einigem Sträuben auch angenommen wurde. Die Zigarre wurde gewissermaßen zur Friedenspfeife, denn von dem Augenblick an hörte unser Zeitungskrieg auf und wir fingen an, mit einander zu sprechen, wobei ich erfuhr, daß der alte Militär unter dem Kaiser gedient und die Feldzüge in Spanien, Deutschland und Rußland mitgemacht, woher auch seine ausgebreitete Sprachkenntniß rührte, da er sich Jahre lang in fremden Ländern aufgehalten. Alte Soldaten sind, wenn man sie nur erst zum Reden gebracht, in der Regel dann sehr gesprächig, und unsere Unterhaltung war im besten Zug, als sich das Café mit einer lärmenden, plaudernden, begeisterten Menge füllte, die aus dem dem Café gegenüberliegenden großen (vor Kurzem abgebrannten) Theatre royal kam und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_155.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2019)