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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Die Wissenschaft im Kriege.

Nicht die Kriegswissenschaft, sondern sie selbst, die Wissenschaft überhaupt, die moderne Göttin des Friedens und der Freiheit für alle Menschen meinen wir.

Die jetzige Wissenschaft giebt dem jetzigen Kriege Formen, Gestalten und Wendungen, welche die Führer weder zu benutzen, noch zu würdigen wissen. Es sind lauter Erfindungen und Verbesserungen, von denen man sich in den Schlachten bei Leipzig und Waterloo noch nichts träumen ließ. Wo waren im letzten Kriege die Zündnadelgewehre, die gereifelten Büchsen, die ovalen und spitzen Kugeln, die Revolvers, die Kriegsdampfschiffe, die Eisenbahnen, die elektrischen Telegraphen, die Lancaster- und Dampfkanonen?

Die 600 Könige, welche England beherrschen, verachteten während ihres langen Friedens alle Wissenschaft, insofern sie Miene machte, sich in ihre sieben Kriegsministerien einzudrängen, während ihre Friedenspolitik stets daran arbeitete, den Weltfrieden immer unmöglicher zu machen. Nachdem sie nun binnen wenig Monaten über 120 Millionen Thaler und mehr als 25,000 Soldaten in’s Wasser, in den Schmutz, unter die Erde geworfen, nachdem sie Europa’s Kultur auf’s Tiefste erschüttert und ihr eigenes gehumbugtes Volk durch kindisches Ungeschick und greisenhafte Hinfälligkeit aufgerüttelt, hat man endlich angefangen, sich vergessener und verhöhnter Erfindungen zu erinnern, so daß sie jetzt plötzlich der Wissenschaft und Kunst allein zumuthen, sie zu retten und Sebastopol zu nehmen.

Die große Kanonengießerei von Nasmyth schmiedet jetzt Tag und Nacht furchtbare Feuerschlünde, da die gegossenen sich vor der Wissenschaft als schwächer erwiesen haben. In Low Moor, Newcastle u. s. w. arbeiten Tausende an Construction neuer Eisenkanonenboote neuester Mathematik mit geschmiedeten Eisenwänden von 4 Zoll Dicke, jedes für 12 monströse Lancasterkanonen.[1] Man hat eine ganze doppelte Eisenbahn mit allem Zubehör nach der Krim abgesandt. Man zieht elektrische Telegraphen von London bis nach dem Kriegsschauplatze. Man schickt Photographen zu Schiffe vor die russischen Festungen, um im Fluge deren Bilder zu fixiren. Man läßt an allen möglichen Orten neue, wissenschaftliche Zerstörungsinstrumente gießen, schmieden, bauen und bilden, sogar Dampfwurfgeschosse.

Jacob Perkins Dampfflinte.

Hierbei wollen wir etwas verweilen. Zuerst arbeitet die Anstalt von Nasmyth an einem fabelhaften Ungeheuer, genannt schwimmender Dampfmörser: (steam floating mortar). Er wird den unterm Wasser unsichtbaren Theil dicker, undurchdringlicher Dampfboote von Schmiedeeisen bilden. Das Boot naht sich, ohne sich um den Kugelregen zu bekümmern, langsam dem feindlichen Schiffe und entzündet beim ersten Zusammenstoße das Pulver in dem Mörser, der sofort dem feindlichen Schiffe sechs Fuß unterm Wasser eine Platz-Bombe in die Eingeweide schicken würde, gegen welche es keine Pille als Gegengift giebt. Nasmyth, der Erfinder behauptet, daß der so applicirten Bombe die dicksten Eisen- und Eichenwände nicht widerstehen könnten, und so eine einzige Pille dem mächtigsten Kriegsschiffe mit einem Schlage das Lebenslicht ausblasen würde. Dieses Ungeheuer ist noch im Werden, aber die Dampf-Flinte von Jacob Perkins schon ein Mann in den besten, nämlich von just 30 Jahren. Jacob Perkins zeigte seine Dampfflinte

  1. Vergl. Gartenl. Nr. 49 von 1854.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_145.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)