Seite:Die Gartenlaube (1855) 144.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Taunus begriffen, lustig lärmend bei ihm einsprachen und ihn dringend einluden, mit von der Parthie zu sein.

Anfangs nicht recht dazu aufgelegt, gab er schließlich doch ihren Wünschen nach, weil er wohl glaubte, vor der Uebernahme ernster Verpflichtungen und eines eigenen Hausstandes sich noch einmal sein Junggesellenleben und seine Burschenfreiheit recht zu Nutze machen zu dürfen. Nachdem er also die Majorin von Gl…n und Clotilde von seinem Vorhaben unterrichtet und zu seiner Freude gesehen hatte, daß den Damen eine kurze Abwesenheit von seiner Seite der Ausstattungsbeschaffung und andern häuslichen Rücksichten wegen ganz erwünscht und zu Gefallen war, machte er sich, nach leicht erwirktem Urlaub von seinem Präsidenten, mit seinen Genossen vergnügt auf den Weg, welcher meist in einer ansehnlichen Cavalcade zu Pferde zurückgelegt wurde.

Nachdem man eine Zeit lang die Gebirgsgegend kreuz und quer durchstreift und sich zur Genüge an den schönen Höhenpunkten und den herrlichen Fernsichten erfreut hatte, zog man denn natürlich auch zu den Badeorten, die gerade in den Tagen dieses romantischen Wanderzuges sehr belebt und mit den elegantesten Gästen gefüllt waren. Nachdem man auch hier in erweitertem Kreise kleine Ausflüge, allerlei Parthien, Gesellschaften und Bälle mitgemacht, fingen zur Abwechselung einzelne aus der Genossenschaft an sich an den Spieltisch zu begeben. Graf Eduard, von diesen, die seine Spiellust kannten, aufgefordert, sein Glück mit ihnen zusammen zu versuchen, schlug zu ihrer Verwunderung dies Anerbieten aus und blieb dem verhängnißvollen Saale zu seiner eigenen, nicht geringen Freude, standhaft fern.

Unglücklicher Weise aber ward am Abend vor dem Auseinandergehen des vergnügten Reiseclubbs ein solennes Festmahl gegeben, in dessen Verlauf diejenigen jungen Leute, die seither gespielt und ziemlich Glück gehabt hatten, um wie sie sagten, nicht aus dem Zuge und der Schußlinie Fortunas zu kommen, anfingen, eine sogenannte „freundschaftliche Bank“ aufzulegen. Da es nun hieß, daß das Ganze nur eine halbe Stunde währen und hohe Sätze nicht angenommen werden sollten, so wurde beschlossen, daß Niemand unbetheiligt am Spiele bleiben sollte.

Graf Eduard protestirte nun zwar dagegen und setzte zu Anfang, als er sich einhellig überstimmt und wider Willen zum Pointiren genöthigt sah, um die Sache lächerlich zu machen, ganz kleine unbedeutende Geldstücke, aber unversehens und nur zu bald von dem Eifer der alten Spiellust überkommen, begann er heftiger und bedeutender aufzusetzen.

Kaum war eine Stunde vergangen, so hatte er alle guten Vorsätze und jede Mäßigung, seine Freunde aber ganz und gar jene Freundschaftlichkeit vergessen, unter deren Aegide die Bank eröffnet worden war. Weit davon entfernt, das Spiel bald wieder eingehen zu lassen, begann man vielmehr es immer wilder und leidenschaftlicher nicht allein weiter, sondern auch höher zu treiben. Die ansehnlichsten Summen in Gold, Silber und Papier rollten oder glitten herüber und hinüber. Aber bald schon reichte das, was vorhanden war, nicht aus. Man schrieb Zahlen auf Zettel und Karten, die mehr als um das Fünf- und Sechsfache die Geldvorräthe überstiegen, die man bei sich führte. Am Tollsten und Unbesonnensten wirthschaftete Graf Eduard, der durchaus einmal zu denen zu gehören schien, welche im Spiel Unglück zu haben bestimmt sind. Eine Karte nach der andern verlor, und je mehr er verlor, desto mehr setzte er, um damit die Chance des Wiederzurückgewinnens zu haben. Allein vergebens. Nur das Wenigste und Geringste rettete er, das Meiste blieb unwiederbringlich in der Kasse der Bankhaltenden, wo es, nachdem er einen mit Zahlen beschriebenen Zettel nach dem andern ausgegeben, zuletzt so anschwoll, daß er sich selbst nicht mehr den ganzen Umfang seines Verlustes zu vergegenwärtigen im Stande war.

Als man endlich die Sitzung aufhob und die beschriebenen Zettel zum Einlösen sammelte, fand sich, daß Graf Eduard gegen zweitausend Thaler verloren hatte, eine Summe, über die er, wie er wohl wußte, im Moment nicht zu verfügen vermochte, welche er aber dennoch auf Ehrenwort versprach, in spätestens acht Tagen eingeliefert zu haben.

Mißmuthig und verstimmt ging hiermit die Gesellschaft auseinander, die sich durch die letzten Stunden ihres Zusammenseins die angenehmen Eindrücke und die freundschaftlichen Empfindungen, die sich dadurch in ihr erzeugt, so vollständig zerstört und vernichtet hatte, daß jeder nur rasch und ärgerlich vom Andern loszukommen und des Abschieds ledig zu sein suchte.

Als Graf Eduard in B. wieder angekommen war, ließ er es seine erste Sorge sein, die Spielschuld zusammen zu treiben. Ein paar hundert Thaler, die er liegen hatte, mit dem vereinigt, was aus einigen unnöthigen Schmucksachen gelöst wurde, machten ungefähr tausend Thaler voll. Nun fehlte aber beinahe noch die Hälfte, und diese herbei zu schaffen, schien ihm mehr und mehr eine Unmöglichkeit zu werden. Freunde, die er in’s Vertrauen zog, zuckten die Achseln und entschuldigten sich damit: selbst in Verlegenheit zu sein, bei offenkundigen Wucherern dagegen scheute er sich anzufragen, um seinen Leichtsinn nicht gleich wieder an die große Glocke zu hängen. Auch wußte er ja, daß er von seinem Vater Geld zur Ausstattung in dieser Zeit erhalten würde, und demzufolge also nur Aufschub bedurfte. Allein, wie eben den bekommen? Er wußte sich nicht zu helfen, und entschloß sich aus diesem Grunde zuletzt ganz offen mit Clotilde über diese Angelegenheit zu sprechen.

Noch an demselben Tage, an dem er diesen Vorsatz gefaßt hatte, machte es sich, daß er mit seiner Braut nach Tische allein im Zimmer blieb. Nachdem er nun die Sache so geschickt und zart wie möglich eingeleitet, kam er denn schließlich mit der Darstellung seiner Verlegenheit und der Bitte hervor unter irgend einem Vorwande, sich das Geld von der Majorin aushändigen zu lassen und ihm dann zur Abzahlung seiner Ehrenschuld überantworten zu wollen.

Clotilde, die sein Geständniß und Ersuchen mit ziemlichem Widerwillen und einer nur sehr erzwungenen Zurückhaltung mit angehört hatte, brach nun, da er geendigt, mit heftigen Vorwürfen über seinen Leichtsinn und das Schwanken seiner Vorsätze gegen ihn los, zum Schluß ihm kurz und bündig erklärend, daß die Mutter nur eben so viel Geld, als im Moment zur neuen Einrichtung und einer möglichen Uebersiedelung nach einem andern Orte hin gebraucht werde, flüssig gemacht habe und deswegen auf keinen Fall sich zu einer Extraausgabe dürfte verstehen wollen und können.

„Ihr Deinen Leichtsinn und die Verlegenheit offenbaren, in die Du Dich dadurch gebracht,“ sagte sie endlich mit dem sichtlichen Bemühen von dem Gegenstande abzulenken, „hieße nur Dir und mir die heftigsten Vorwürfe von ihrer Seite zuziehen und doch keine Hülfe erlangen. Lassen wir also die Mutter aus dem Spiele, und sieh zu, Dich auf andere Art zu arrangiren.“

„Nun gut,“ sagte Eduard, „höre denn einen andern Vorschlag, einen Vorschlag, der allerdings etwas gewagt aussieht, aber Dir nicht zu gefährlich vorkommen wird, wenn ich Dir erkläre, daß ich alle Mittel rasch und gleich zu der mir nöthigen Summe zu gelangen, erschöpft habe und nun keinen anderen Ausweg mehr weiß, das von mir gegebene Ehrenwort einzulösen.“

„Das klingt ja ganz verzweifelt und feierlich!“ schaltete Clotilde ein.

„Und so ist es auch,“ entgegnete Eduard gemessen, nach einem augenblicklichen Schweigen folgendermaßen fortfahrend: „Du weißt, wo Deine Mutter ihre Gelder und Werthpapiere hat. Suche Dir den Schlüssel dazu zu verschaffen und nimm ohne ihr Wissen tausend Thaler davon.“

„Willst du mich zur Diebin machen?“ fuhr Clotilde entrüstet auf, indem sie Miene machte sich zu entfernen.

„Höre mich ganz aus,“ sprach Eduard, sie zurückhaltend mit unbeirrter, bittend klingender Stimme: „Ich sagte Dir ja schon, daß die Sache schlimmer aussieht, als sie ist. An Stelle des weggenommenen Geldes legst Du einen Zettel, auf welchen Du etwa Folgendes schreiben magst: „Zürne nicht, liebe Mutter, wenn Du einen Theil der hier niedergelegten Summe vermissest; ich habe ihn für Eduard gebraucht, der sich in augenblicklicher Verlegenheit befindet und ihn in den nächsten Tagen ersetzt haben wird.““ – Kommt Deine Mutter zu dem Schranke und entdeckt sie die Entwendung, so wird sie zart genug sein, davon nicht weiter Notiz zu nehmen. Vielleicht oder vielmehr wahrscheinlich aber wird sie indeß gar nicht zu dem Gelde sehen, und da ich in einigen Tagen, wo ich Geld von zu Hause bekomme, das Fehlende ersetzt haben werde, so bleibt und muß die Sache ein Geheimniß zwischen uns Beiden bleiben.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_144.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)