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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

nicht eben die glücklichsten für sie. Zwar wurde sie äußerst anständig und rücksichtsvoll behandelt, genoß den freien Umgang aller Leute, die das von Gl…n’sche Haus frequentirten, besuchte Theater, manchmal sogar Bälle und Gesellschaften, zu denen sie aus Artigkeit für ihre Damen, so wie aus Lust an ihren Talenten und sittigem, feinem Benehmen eingeladen ward, und kurz: es fehlte ihr äußerlich eigentlich nichts, aber dafür hatte sie innerlich einen desto größeren und schmerzlicheren Druck zu empfinden.

Clotilde, die gar keine Stimme besaß, den Gesang verachtete und die Musik verpönte, hatte ihr das Spielen auf dem Piano wie das Singen im Hause geradezu untersagt.

„Sie können es ja auswärts thun,“ hatte die Majorin bei Gelegenheit dieses Verbotes bemerkt. „Wenn wir in Gesellschaft und in Soireen sind, da erwerben Sie sich noch obenein ein Verdienst um denjenigen Theil der Versammlung, der weil er eines ernsten Gespräches unfähig oder keine Whistparthie findet, von Herzen vergnügt und dankbar ist, eine leichte Unterhaltung und Zerstreuung für seine Sinne zu erhalten.“

Daß die Musik weichen und empfindsamen Gemüthern ein stilles Bedürfniß der Seelenentlastung, ein Trost, eine Erhebung, kurz ein geweihter, von der Einsamkeit erst recht geheiligter Genuß sein könne, davon hatte die Majorin so wenig wie ihre Tochter einen Begriff. Daß die Aufsätze über irgend eine politische Frage der Gegenwart, einen Gegenstand der strengen Wissenschaft, welche Natalie oft ihren Gebieterinnen vorlesen mußte, für diese eine ertödtende Qual, eine wahre Marter waren, davon vermochten oder beliebten sie wenigstens sich ebenso wenig eine Vorstellung zu machen. Sie fragten nichts darnach, daß der Lesenden alle nöthigen Vorkenntnisse zum Verstehen dieser Dinge fehlten, und daß sie nicht im Stande war, sich dieselben ohne eine freundliche Anleitung, der sie sich gewiß gern unterworfen hätte, von selbst anzueignen.

Ja, man schien sich sogar etwas darauf zu Gute zu thun, daß man Jemanden hatte, der mit gefälligem, von geistiger Intelligenz zeugendem Organe Dinge vortrug, die ihm unbekannt waren, und über welche man sich vor seinen Augen wie über unverstandene Geheimnisse unterhalten konnte.

Nur zu oft leider findet man auch in geistig hochgestellten und vornehmen Kreisen etwas von jener Grausamkeit und Suffisance, die sonst nur dem Dünkel und der Roheit eigen, hier aus einer Art Lässigkeit und Nonchalance entsteht, und um so empörender und verletzender wirken, um so weniger sie als absichtlich gelten können. Die Art, wie die Majorin von Gl…n und ihre Tochter bei diesen Lectüren die Vorlesende außer Acht ließen, war ohne Zweifel keine vorgenommene oder offen bezweckte, sondern eben eine ganz von selbst dadurch entstehende, daß Natalie nicht mitzureden vermochte, allein eben deswegen für diese eine um so kränkendere und schmerzlichere, als sie von Clotilden’s Spottlust und abweisender Härte abgeschreckt, nicht wagte, mit irgend einer Bitte um Erläuterung hervorzutreten.

Graf Eduard von B…, der diesen Vorlesungen oftmals beiwohnte und aus einem taktvollen Herzen heraus die Unerquicklichkeit von Natalien’s Lage wohl erkannte, pflegte bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich lachend zu erklären, daß er leider wenig von allen diesen Dingen gelernt und sie deswegen nur mangelhaft verstehend, um Auseinandersetzung der Hauptpunkte bitten müsse.

Obgleich er Natalie bei solchen und ähnlichen Anlässen äußerlich eben keine besondere Aufmerksamkeit schenkte und sie wirklich auch, wie wir schon gesagt, für dieselbe nicht besaß, so fühlte diese doch, daß sie, wie es allerdings auch der Fall war, nur ihr zu Liebe von ihm herbeigeführt waren. Und wie dem französischen Sprüchwort gemäß, noblesse obligé, ein gewisser Adel der Seele, eine feine unwillkürlich und zart aus dem Herzen steigende Aufmerksamkeit, gewissermaßen der Duft der Galanterie, am Meisten danken und verpflichtet macht, so fühlte auch Natalie gerade um dieser uneigennützigen, und man könnte sagen, unbewußten Artigkeit wegen die tiefste und innigste Verehrung für Graf Eduard, eine Verehrung, die in der übereinstimmenden Liebe zu Musik, Gesang und der schönen Literatur, die sie allerdings nicht all zu oft von dem Grafen sich offen dargelegt sehen, aber doch vielfach fast instinktmäßig in ihm ahnen konnte, noch einen bedeutenden Zuwachs erhielt.

Dieser Zuwachs der Verehrung ward in ihr durch nichts, sogar auch dadurch nicht gestört, daß sie im Laufe der Zeit über eine Leidenschaft des Grafen in Kenntniß gesetzt wurde, die der eigenen Familie desselben, wie auch Clotilde und ihrer Mutter große Bedenken über ihn einflößten.

Graf Eduard B… nämlich liebte das Spiel und vermochte leider der ihm am Rhein so oft und gefährlich nahtretenden Versuchung nicht immer sieghaft zu widerstehen. Schon mehrmals durch namhafte Verluste in große Verlegenheit gebracht, gewarnt von Freunden, bedroht von der Entrüstung seiner Familie und den Vorwürfen der Majorin und ihrer Tochter, fiel er dennoch dann und wann der umstrickenden Passion immer wieder zum Opfer.

Sein Vater, der schon viele seiner Spielschulden zu decken genöthigt worden war, hatte, nachdem er eben noch eine sehr beträchtliche und nicht ohne Schwierigkeiten von ihm zu bestreitende, eingezahlt, in einem sehr ausführlichen und ernstgehaltenen Briefe erklärt, nun auch fernerhin nichts mehr dieser Art für ihn thun zu wollen und zu können.

„Wenn Du nur irgend vernünftig sein und meine Lage bedenken willst,“ hieß es darin unter Anderem, „so wirst Du von selbst einsehen, lieber Sohn, daß Deiner thörichten Spiellust noch fernerhin auch nur den geringsten Vorschub zu leisten, eine pure Versündigung an dem Geschick Deiner Geschwister, namentlich Deiner Schwestern wäre. Beinahe schon ein Viertel unseres Vermögens hat Deine unglückselige Wuth das Glück der Karten und des Rouletts zu versuchen, dahin gerafft. Dir noch einen Heller mehr zur Fröhnung dieses Lasters in Aussicht stellen, hieße dem Ruine unserer Aller Thür und Thor öffnen. Darum noch einmal und so wahr Gott mein Zeuge ist, zum letzten Male, die heilige Versicherung, Eduard, daß ich nie und unter keine Umständen noch einmal eine Spielschuld für Dich decken werde. Ich will lieber die Schmach und den jammervollen Schmerz, Dich als verzweifelten Selbstmörder enden zu sehen, auf mich laden, als die Schuld übernehmen, eine große blühende Familie durch unzeitige Nachsicht mit dem verbrecherischen Leichtsinn eines Sohnes an den Bettelstab gebracht und auf Generationen hinaus elend und abhängig von Wind und Wetter in der Welt gemacht zu haben. Der Chef und das Haupt eines Hauses, der oder das nicht wie ein König im Kleinen, die Sicherheit und Zukunft der Seinen mit einer allwaltenden Gerechtigkeit im Herzen trägt, verdient nicht je nur einen Augenblick das Glück empfunden zu haben, im Schooße der Seinen zu weilen. Aeltern, deren Angedenken von den Kindern nicht gesegnet ist, und welche nicht nach Kräften Sorge dafür trugen, ihr Loos zu einem glücklichen und so in sich freien werden zu lassen, daß sie sich edel und gut unter den Stürmen ihrer Zeit zu entwickeln und eine ihnen zusagende Laufbahn ungehindert verfolgen können, diese sind allein als die den Staat wirklich untergrabenden, subversiven Bürger desselben anzusehen. Kein Revolutionär ist so schlimm, als es ein schlechter Familienvater ist. Und darum und aus diesem Grunde, mein Sohn, erkenne und würdige, wenn ich sage: nur dies Mal und dann nie wieder, stehe ich für die Schulden ein, die Du im Spiele machtest.“

Nach dem Lesen dieser Zeilen war Graf Eduard so erschüttert, daß er nicht nur sich, sondern auch den Seinen sowohl, wie der Majorin und ihrer Tochter die unverbrüchlich sein sollende Versicherung gab, nie wieder an den Rouletttisch treten oder eine Karte berühren zu wollen.

Erfreut von diesem Gelöbniß und auf die kindliche Liebe seines Herzens und auf den Ernst seiner Neigung zu Clotilden bauend, ward kurze Zeit darnach seine Verlobung mit dieser öffentlich angezeigt und begangen.

Es schien, daß die Braut durch den eben mitgetheilten Brief ihres künftigen Schwiegervaters, von der Würdigkeit der Familie, in die sie treten sollte, überzeugt, anfing, sich etwas näher und inniger an ihren Verlobten anzuschließen, während dieser wiederum sich ernster und gemessener gemacht, nun mehr auch eher Ton und Gelegenheit fand, sich in ihre Ideenkreise und ihr ganzes Wesen einzuleben.

Auf diese Weise verfloß denn ruhig und angenehm ein halbes Jahr, das nach allen Seiten hin anregend und genußreich, das Verhältniß der Verlobten so gesichert zu haben schien, daß man bereits an die Festsetzung des Vermählungstages zu denken und Pläne zu machen begann, wie und wo das künftige Leben einzurichten sein möchte, als plötzlich eines schönen Tages Freunde von Graf Eduard aus der Residenz auf einem Ausfluge nach dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_143.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)