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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ihre Jugendkraft zurückgegeben zu haben. Mit einem Ungestüm, der dem ihres jüngeren Gefährten nichts nachgab, verfolgten sie das Gesindel, welches jetzt zu fliehen begann und das sich, seines Führers beraubt, bald im Dunkel des Waldes nach allen Seiten hin zerstreute, denn der Muth eines bösen Gewissens reicht nur so weit, als der Erfolg einer schlechten Handlung günstig ist.

Unter einer alten Eiche, die ihre breitastigen Zweige weit ausstreckte, fanden sich die drei Männer wieder zusammen. Aus ihren von der Anstrengung noch aufgeregten Zügen sprach eine tiefe Bewegung. Sie drückten sich herzlich und innig die Hände, und in dieser einfachen geräuschlosen Handlung sprach sich die Anerkennung ihres gegenseitigen Werthes in diesem feierlichen Augenblick kräftiger und deutlicher aus, als solches durch eine Reihe der ausgesuchtesten Worte hätte geschehen können.

„Die Gefahr ist vorüber,“ sagte der Förster, „doch thut noch immer Wachsamkeit Noth; zurück also, meine treuen Freunde, in das Haus, wo ein Gegenstand, der uns Allen theuer ist, in banger Sorge unserer Rückkehr harrt.“

Alle Drei traten aus dem Dunkel des Waldes und schritten dem Forsthause zu. Plötzlich zuckte der alte Soldat zusammen und rief seinen beiden Gefährten ein leises „Halt“ zu.

„Was giebt es, Wilm?“ fragte der Förster gespannt.

„Seht!“ sagte dieser mit gepreßter Stimme, indem er seinen Arm ausstreckte, „die Schufte haben uns überlistet und den Rückweg nach der Festung abgeschnitten.“

Die beiden Anderen blickten auf und eine bange erwartungsvolle Minute verging.

„Wilm hat Recht,“ rief der Vater Marien’s mit einer Stimme, die zum ersten Male bebte, weil ihm die Gefahr, in welcher seine hülflose Tochter schwebte, in ihrer ganzen Größe entgegentrat, – „seht, dort im Schimmer des Mondes blinkt der Lauf von drei bis vier Gewehren!“

„Was ist zu thun?“ fragte Wildenhaupt, „denn eine Täuschung waltet hier nicht ob – auch ich erkenne einen Haufen Bewaffneter.“

„Still!“ rief der Förster, „ich höre die Stimme meines Kindes.“

Diese Worte wirkten elektrisch auf die drei Männer; in gespannter Erwartung standen sie lauschend da, während man den Herzschlag jedes Einzelnen vernehmen konnte.

„Ich zweifle weder an Ihrem guten Willen noch an Ihrer Tapferkeit,“ sagte Marie mit klarer Stimme zu einer Person, welche im Vordergrunde der Gruppe stand, „und mein Vater wird gewiß in seinem Danke gegen Sie nicht zurückbleiben.“

„Gott im Himmel!“ seufzte der Alte, „der Schreck hat auf den Verstand des armen Kindes eingewirkt.“

„Man spricht von Neuem,“ sagte der Baron. „Hören Sie.“

„Aber Sie werden zugeben, Fräulein Marien“, sagte die vorige Person, „daß viel Muth und Geschicklichkeit dazu gehört, im entscheidenden Augenblick eine solche Flankenbewegung auszuführen. Muth, sage ich, weil wir uns wie die Spartaner in den Termopylen auf einen sicheren Tod vorbereiten mußten, Geschicklichkeit, weil ich mit taktischer Gewandtheit in demselben Augenblick mit meiner Schaar vorrückte, als der Feind seinen Rückzug antrat und auf diese Weise eine starke Reserve ohne Verlust in’s Hintertreffen geführt habe, was offenbar mißglückt wäre, wenn ich blos meinem persönlichen Muthe Folge geleistet und von Vorne angegriffen hätte.“

„Ich verstehe hiervon nichts, Herr Eduard,“ sagte Marie in einem fast an Heiterkeit grenzenden Tone, „indessen zweifele ich nicht im Mindesten an der Wahrheit Ihrer Auseinandersetzungen.“

„Und dann,“ fuhr dieser fort, „kennen Sie, Fräulein Marie, meine tiefe Verehrung zu Ihrer liebenswürdigen Person, und schon dies würde mich veranlaßt haben, mich mit Hintenansetzung jeder Rücksicht muthig in den Tod zu stürzen.“

Hier wurde der arme Eduard durch ein schallendes Gelächter unterbrochen, und zugleich gewahrte er zu seinem Schrecken, daß aus dem Dunkel des Waldes eine Anzahl Bewaffneter hervorbrach. Diese unerwartete Erscheinung übte einen solchen Einfluß auf seinen Geist aus, daß plötzlich sein Redefluß verstummte und seine Person eilig hinter einem großen Regenfaß verschwand, während seine Begleiter nicht minder behende hinter anderen deckenden Gegenständen unsichtbar wurden.

„Aber zum Kukuck, wo stecken Sie denn, Herr Eduard?“ rief eine bekannte Stimme, in welcher wir die des alten Forstmannes wieder erkennen, „ist es Recht, daß Sie sich unseren Blicken in dem Augenblick entziehen, wo wir Ihnen unseren Dank abstatten wollen!“

„Ach!“ sagte der Gemeindeschreiher, mit etwas verlegener Miene, aus seinem schützenden Versteck hervortretend, „Sie sind es, Herr Gruner. – Nun, ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Abend zu wünschen; es hat so seine eigene Bewandtniß mit den taktischen Bewegungen bei Nacht, und ich habe stets gehört, daß man dem Feinde gegenüber in allen Fällen eine möglichst starke Position zu gewinnen suchen muß.“

„Sie sind so bis an die Zähne bewaffnet, mein bester Herr Eduard,“ sagte der Förster, gutmüthig lachend. „Eine halbe Stunde früher hätten wir die vier Pistolen, welche Sie da im Gürtel tragen, so wie den langen Kürassiersäbel, der Ihnen an der Seite hängt, trefflich brauchen können, abgesehen von den zwei Dolchen, die ich außerdem noch bei Ihnen bemerke.“

„Sie erhielten also die Zeilen, welche ich an Sie richtete, wie es scheint, zu spät?“ fiel Wildenhaupt ein.

„Keineswegs,“ entgegnete der Gemeindeschreiber, „ich habe bereits seit einer halben Stunde mit meiner Schaar dort im Dickicht gelegen und den Muth bewundert, mit welchem Sie den Kampf führten. Allein wie dich bereits die Ehre hatte, Fräulein Marie zu berichten, lag es in meinem Plan, durch eine geschickte Flankenbewegung dem Gefecht den Ausschlag zu geben, und dies ist mir, wie ich zu meiner Genugthuung gewahre, auch vollkommen gelungen.“

Hier schlug der alte Soldat ein so boshaftes Gelächter aus, daß der Gemeindeschreiber es für nöthig fand, durch einige Worte den Eindruck, welches dasselbe auf die Anwesenden machte, zu mildern.

„Der alte Wilm,“ sagte er, „hat noch seine Taktik aus dem vorigen Jahrhundert, während man jetzt die Kriegsführung auf ganz andere Grundsätze basirt. Doch ich sehe, die Zeit ist schon so weit vorgerückt, daß der Tag anbricht. Da nun durch Ihren Muth und meine Flankenbewegung der Feind völlig aus dem Felde geschlagen ist, so will ich, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, mit meiner Schaar abziehen, um mich bei einer warmen Tasse Kaffee von den Strapatzen dieses nächtlichen Feldzuges zu erholen.“

„Thun Sie das, Herr Eduard,“ sagte der alte Forstmann, „ich hoffe, im Lauf des Tages noch das Vergnügen zu haben, Sie in meinem Hause zu sehen und dann werden Sie es nicht verschmähen, unseren Dank für Ihre thätige Hülfe nochmals entgegen zu nehmen.“

„Ich werde nicht verfehlen, mich einzufinden,“ sagte der Gemeindeschreiber, „zumal ich eine zarte und delikate Angelegenheit zu erledigen beabsichtige. – Also, Fräulein Marie, ich nenne mich Ihren ergebenen und gehorsamen Diener, und habe die Ehre, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen.“

Mit diesen Worten stellte sich Herr Eduard an die Spitze seiner Truppe und schwenkte mit derselben in sehr stolzer und gravitätischer Haltung von dem Schauplatz seiner Thaten ab. Die Bewohner des Forsthauses zogen sich ebenfalls, von den Anstrengungen der Nacht ermüdet, in das Innere desselben zurück, und kurze Zeit darauf herrschte dort ein so tiefer Frieden, daß Niemand die eben beschriebenen Ereignisse geahnet haben würde, wenn die geschwärzten und rauchenden Trümmern des Thorweges nicht auf etwas Außergewöhnliches hingedeutet hätten.



VI.

Fünf oder sechs Stunden später saß der alte Gruner wieder in seinem Lehnstuhl. Vor ihm standen Marie und Wildenhaupt, im Hintergrunde der Invalide mit einer so behaglichen Miene, wie man sie an ihm seit langer Zeit nicht zu bemerken Gelegenheit gehabt hatte. Ein Ausdrück versöhnender Milde umfloß die Züge des Försters.

„Mein Sohn,“ sagte der Greis, zu Wildenhaupt gewendet, mit weicher Stimme, „ich habe heute in der Frühe, als ich Gott für unsere Rettung meinen Dank darbrachte, vor ihm auch noch in anderer Weise mein Herz ausgeschüttet. Ich habe ihn gefragt, ob es Recht sei, daß der Mensch seinen Groll lange Jahre hindurch in seinem Innern trage und dort der Leidenschaft und dem Hasse eine Freistätte einräume. Er hat mir geantwortet und mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_116.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)