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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und Religion, die Moplahs, deren es allein an der malabarischen Küste über 100,000 geben soll. Es sind von Hause aus wechabitische Muhamedaner, welche in absoluter Sinnlichkeit fest an die schönen Houri’s glauben, in deren Schooße sie sofort nach ihrem Tode in Ewigkeit schwelgen sollen. Sie kennen daher nicht nur keine Todesfurcht, sondern suchen oft den Tod aus demselben Triebe, der sonst zur Liebe treibt. In wollüstiger Aufregung ziehen sie ihre Messer, ermorden den ersten, besten Hindu und lassen sich dann ruhig verurtheilen und hinrichten. Man findet sie in der Regel heerdenweise beisammen. Die Sepoys (englische Soldaten von Eingebornen rekrutirt) sind nie gegen sie zu gebrauchen, weniger aus Feigheit, als Aberglauben. So kann man ihnen blos mit englischen Soldaten beikommen, von denen in der Regel eben so viel fallen, als Moplahs da sind. So wie sie eine Salve bekommen haben, springen sie mil brauner, nackter Brust in die Bayonnette hinein, indem sie das lange Messer mit Wucht und Sicherheit in das Gehirn des Soldaten hineinschleudern. Die Regierung von Malabar hat jetzt auch Maßregeln getroffen, diese wahnsinnigen Fanatiker unschädlich zu machen. Jeder Ort ist für seine Einwohner verantwortlich gemacht worden, so daß die Magistrate scharf aufpassen und die Schuldigen ausliefern müssen, die nicht mehr gehangen, sondern verbrannt werden sollen. – Die Zerstörung des Körpers durch Feuer soll dem überlebenden Moplah den wollüstigen Aberglauben ausbrennen, daß er direkt aus dem irdischen Tode in sein Paradies fliege.

So wird sich die westliche Civilisation auch in Ostindien und darüber hinaus bis China fort- und durchsetzen, zumal nachdem sie durch Krisen und Kriege mit dem Osten, materielle und moralische Niederlagen sich gezwungen gesehen haben wird, ihre eigenen dünkelhaften Vorurtheile, ihre mittelalterlichen Barbareien und ihre geldmachende Habgier abzulegen und einen neuen Adam anzuziehen.




Das spanische Espartogras.

Manchem meiner Leser, welche das Hôtel de Pologne in Leipzig besucht haben, sind gewiß schon die bunten, zierlich gemusterten, scheinbar aus einer Art von Binsen oder Stroh geflochtenen Matten aufgefallen, welche in dem großen Corridor an dem Eingange zu den Sälen den Boden bedecken, aber weder ihnen noch den Eigenthümern des Hotels wird es bekannt sein, daß jene Decken aus einem Stoffe bestehen, der ein Produkt des fernen Spaniens ist, ja daß sie vielleicht gar selbst ein spanisches Fabrikat sind. Viel häufiger als in Deutschland trifft man dergleichen Fußmatten in Frankreich, wo man sie nattes d’esparte, auch wohl nattes de jonc espagnol, am Häufigsten kurzweg nattes nennt. In Paris giebt es fast keine Haushaltung, wo man nicht dergleichen, meist schwarz und roth, oder roth und gelb (die spanischen Nationalfarben) gefärbte Decken in den gewöhnlich nicht gedielten, sondern mit einem lackirten und polirten Ziegelboden versehenen Zimmern findet. Mir fielen diese Decken auf meiner ersten Reise nach Spanien zuerst in Genf auf, wo ich sie im Hause eines reichen Naturforschers, welcher einige Jahre zuvor ebenfalls in Spanien gewesen war, in seltner Schönheit sah. Dort erfuhr ich auch, daß diese Matten nicht aus Binsen, sondern aus den Blättern einer in Spanien häufig wachsenden und diesem Lande, sowie dem nördlichen Afrika eigenthümlichen Grasart verfertigt würden, welche in Spanien den Namen Esparto führt, von den Botanikern aber Macrochloa tenacissimagenannt wird. Schon in Marseille bemerkte ich große Magazine, welche theils mit Espartomatten und andern aus diesem Stoffe gearbeiteten Gegenständen, theils mit unverarbeiteten, aber getrockneten und gebleichten Espartoblättern angefüllt waren, und gleich bei dem ersten Hafenbesuch fielen mir mächtige aus demselben Stoffe gemachte Ankertaue in die Augen, welche sich schon von fern durch ihre gelbliche Farbe von den hänfenen unterschieden.

Alles dieses, noch mehr aber die Nachricht von der Ankunft eines großen mit rohem Esparto beladenen Schiffes von Alicante, die ich zufällig am andern Morgen im Hafenberichte las, überzeugte mich, daß jene Grasblätter und alle daraus verfertigten Gegenstände einen wichtigen Artikel des spanischen Exporthandels bilden müßten, wie es in der That der Fall ist.

Ich war nun sehr begierig, die Pflanze, welche diesen nützlichen und vielfach benutzten Stoff liefert, im lebenden Zustande zu sehen, fand sie aber erst in der Gegend von Valencia. Sie wuchs dort auf dürren steinigen Kalkhügeln, doch nur in sehr geringer Menge, weshalb ich damals nicht begreifen konnte, wo all der Esparto herkäme, von dem in Valencia noch viel größere Vorräte vorhanden waren, als in Marseille. Allein bald führte mich meine Reise in Gegenden, wo Räume von mehreren Quadratmeilen Areal fast gänzlich mit Espartogras bedeckt waren, und nun wunderte ich mich nicht mehr über die ungeheuren Massen von unverarbeitetem und verarbeitetem Esparto, die ich in Marseille, Barcelona, Valencia und Madrid gesehen hatte.

Das Espartogras gehört zu denjenigen Gräsern, deren Blätter eine lederartige Beschaffenheit besitzen und sich länger als einen Sommer frisch erhalten. Die Mehrzahl dieser Gräser wächst in den Umgebungen des mittelländischen Meeres und gern nicht dicht beisammen stehend, wie die Gräser unserer Wiesen, sondern in einzelnen Büscheln. Diese lederblättrigen Gräser bilden daher niemals Rasen, zwischen ihren starren Blätterbüscheln blickt überall der nackle Erdboden hervor. Nicht selten laufen die Blätter in eine harte stechende Spitze aus, aber selbst, wo dies nicht der Fall ist, können die Blätter wegen ihrer Härte nicht als Viehfutter benutzt werden, im Gegentheil wird das Vieh davon krank, wenn es dergleichen Grasblätter zufällig mit seinem Futter bekommt. So wächst an den Abhängen der schneebedeckten Kämme der Sierra Nevada ein solches Gras mit kurzen, stechenden Blättern in großer Menge.[1] - Trotz der Starrheit seiner Blätterbüschel werden diese bisweilen von hungrigen Ziegen verschlungen, aber nur selten kommt ein solches Thier mit dem Leben davon, indem die harten, stechenden Blätter ihm den Magen förmlich durchbohren. Deshalb wird dieses sehr verhaßte Gras von den Hirten jenes Gebirges „Rompebarriga“, d. h. Bauchaufreißer genannt. Auch das Espartogras würde eher eine Plage als ein Segen der Gegenden, wo es wächst, zu nennen sein, wenn seine Blätter nicht jene außerordentliche Zähigkeit, Biegsamkeit und Elasticität besäßen, welche sie zur technischen Benutzung in so hohem Grade geschickt machen.

Das Espartogras besitzt einen ausdauernden, ästigen, holzigen, oft unter dem Boden fortkriechenden Wurzelstock, aus dem zahlreiche Faserwurzeln und Blätterbüschel entspringen (s. die beigedruckte Abbildung, welche eine vollständige Espartopflanze im blühenden Zustande, aber stark verkleinert und daneben bei a. eine Blüthe in natürlicher Größe darstellt). Die jungen Blätter sind grasgrün, zart und weich und werden deshalb von den Schafen und Ziegen, besonders aber von manchen Schneckenarten gern gefressen, weshalb man nur selten junge Blätter findet. In der ersten Jugend sind die Blätter eben, wie die Blätter unserer meisten Gräser; aber sehr bald, wenn das Blatt kaum einen Zoll lang geworden ist, beginnt der schmale, linealische Blattstreifen sich von den Rändern an auf seine obere Fläche zusammenzurollen, so daß das Blatt sehr bald die Form eines im Querschnitt vollkommen runden und fest zusammenschließenden Cylinders bekommt (Fig. c.), welche es nun beibehält. Die vollkommen ausgewachsenen Blätter sind ungefähr anderthalb Fuß lang, drei Viertellinien dick, der Länge nach feingestreift, aber ganz glatt, wie auch die Blüthenhelme von graugrüner Farbe, weshalb eine von Espartogras bedeckte Landstrecke ein sehr fahles Colorit und tristes Aussehen hat. Jedes Blatt verschmälert sich von seiner Basis an, wo es in eine breite, an ihrem Eingange mit feinen, wolligen Haaren bärtig umsäumte Scheide übergeht, nach oben hin ganz allmälig und läuft zuletzt in eine starre, steife, feststehende Spitze aus. Die aus dem Wurzelstock entspringenden Blattbüschel, welche allein zum Flechten brauchbare Blätter liefern, bestehen aus einer unbestimmten Anzahl ineinander gesteckter Blätter, indem, wie Fig. b. zeigt, immer die Scheide des zunächst vorhergehenden Blattes die des zunächst folgenden, und die Scheide des untersten und ältesten Blattes alle übrigen Blätter umfaßt. Die Blätter streben anfangs gerade aufwärts,

  1. Festuca indigesta Boiss.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_107.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)