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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

von Salselte, welche den alten, vielgötterigen Buddhadienst mit einem christlichen Deismus zu vereinigen suchten. Die Götter stiegen bei ihnen zu der Rolle von Heiligen herab. Auf den steinernen Altarwänden sitzen diese eingehauenen Heiligen zu Dutzenden wie Schneider auf ihren gekreuzten Beinen, versunken in andächtiges ewiges Nichtsthun und Nichtsdenken, die höchste Religiosität der Buddhisten. Zwischen den weißen, steinernen Figuren mit eingesetzten, silbernen Augen (ein schauerlicher Anblick, wenn vor diesen Augen das Licht der vor ihnen brennenden Lampe sich bricht) sitzt zuweilen eine größere schwarze, in welcher die Priester und Gläubigen die göttlichste Verkörperung der Gottheit sehen, ein Glaube, von dem man den weißen Amerikanern einen guten Theil eintrichtern sollte, damit sie in den Negern wenigstens Menschen achten lernen. In dem Tempel von Holwad machen noch zuweilen andächtige, bronzene Weiber und Kinder den silberäugigen Heiligen ihre Aufwartung und setzen ihnen Blumen und „Zuckerkant“ vor, sonst scheinen die Dschäns ziemlich dünn und spärlich geworden zu sein. Unter den vielen noch eifrig verehrten göttlichen Incarnationen treten besonders Kulte des Surya (Sonne), Buddhas, Krishnu’s und Bala-Rama’s hervor. Letzterer ist der Herkules Indiens, in dessen Verehrung eine Art revolutionärer Ermannung gegen den passiven, weichlichen Buddhismus gefunden wird.

Ostindischer Briefträger

Die großartigste alte Tempelstadt findet man einige Meilen von Cuttack, im Lande Gottes Bhobaneswar, zwischen dessen Ruinen noch 999 Tempel stehen (nicht einer mehr), deren Ursprung man weit vor Christi Geburt zurück verfolgen kann.

Diese seltsamen, höhlen- und backofenartigen Tempel mit feinem Schnitzwerk an den Eingangshallen, Löwen, Greifen und Elephanten, zerstreuen sich zwischen Deichen, Baum- und Buschwerk, Steinhaufen und verwitterten Säulen viele Meilen umher, so daß hier einst eine der riesigsten und prächtigsten Städte geblüht haben muß. Nach den Traditionen der Eingebornen wurde sie von einem mächtigen Rajah gebaut, der seine Unterthanen zwang, nichts zu thun als in den Pagoden den Göttern Andacht, ihm aber allein Steuern zu zahlen.

Ueber die Pagodenstadt stürmte verwüstend der Mongole im sechzehnten Jahrhundert, jetzt zieht der englische Soldat mit Weibern und Kindern über deren Ruinen und baut sich für die Nacht Zelte dazwischen auf. An die Stelle der alten indischen Gottheiten ist der englische Soldat der ostindischen Compagnie getreten, der mit seinen Zelten Civilisationsreisen in allen Richtungen des Landes macht und sich Wochen lang in seiner leichten Leinewandstadt zwischen den verfallenen Pagoden häuslich einrichtet.[1]

„Es ist herrlich, während der kühlen Jahreszeit unter den luftigen Zelten zu wohnen," schreibt man von dorther. "Die Tage sind zwar auch etwas warm, dafür aber die Nächte desto angenehmer. Die Sterne blitzen hell herab und wieder herauf aus den Wasserspiegeln unzähliger Teiche, auf welchen der kühlende Seewind mit riesenblätterigen Lotusblumen spielt, schneeweißen heiligen Lotusblumen, brennend rothen und den schönsten von allen, deren blasse Blüthen von rosigen Hauchen angeweht, der schönen Röthe reiner erglühender Wange der Unschuld gleichen. Daneben stieren silbergraue Pagoden-Ruinen in den lotusblumenreichen, glühenden Wassersternhimmel hinab. Aus dem Dickicht grunzen Bären, geifern mit gellem Schrei starrborstige Hyänen und musiciren in tausenderlei fremden Tönen allerlei raubgierige Thiere, die selbst den heiligen Ochsen nicht schonen, den sogar die Engländer noch nicht ungestraft verletzen dürfen. Wir schlafen unter diesem Raubgethier unter offenen Zelten, so daß wir tausend mal aufgefressen werden würden, wenn uns nicht ein stets brennendes Feuer und ein kleiner, couragöser Wachtelhund in Schutz nähme. Aber eines Nachts wurde ich doch mit nicht einem kleinen Schreck aus tiefem Schlafe durch ein furchtbares Grunzen und Schnauben dicht an meinen Ohren aufgeweckt. Ich schrie nicht schlecht nach meinem Ayah (Diener indischer Abkunft), der sofort herein sprang und mir verkündete, daß mich ein heiliger Brahminen-Bulle mit seinem Besuche beehre. Der Ochse stand eine Zeit lang ganz still und sah sich mit religiöser Würde um, nachdem er sich überzeugt haben mochte, daß wir nicht an seine Göttlichkeit glauben, drehte er sich mit mehr Grazie, als ich sonst lebendigem Rindfleisch zutraute, um und ging, indem er einige undeutliche Bemerkungen in

  1. Kleine militärische Züge begleiten und unterstützen die Civilisation und die Civil-Beamten, welche Steuern eintreibend durch die Lande ziehen, wenigstens da, wo die Gottheit der Kraft Bala Rama mehr verehrt wir, als die entmannenden buddhistischen Gottheiten. Diese englischen Civil-Aemter, deren Besetzung bis jetzt ein Privilegium der Direktoren in London ist, sollen, besonders auf Anregung Macaulay's, der allgemeinen Concurrenz des Verdienstes eröffnet werden, worüber in England freudige Aufregung herrscht, da diese Stellen in der Regel bald mit einem jährlichen Einkommen von 10,000 Pfund und mehr in's freie Privatleben zurückführen, um andern Steuereintreibern Platz zu machen. Wie über den Tausenden von Leichen vor Sebastopol das aristokratisch-nepotistische Militärsystem Englands zusammenbrach, wird in Indien ein nicht weniger scheußliches Privilegium endlich fallen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_105.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)