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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

da, der Vogel stand auf und lief herum, als ob nichts geschehen wäre. Nun ward ein Pistol auf ihn abgefeuert, während der Indianer, welcher schoß, kaum vier Schritte entfernt stand. Drei Kugeln trafen den Condor und verwundeten ihn in den Hals, in die Brust und in den Bauch, der Vogel aber blieb fest auf den Beinen. Eine vierte Kugel zerschmetterte ihm das Bein. Nun stürzte der Condor allerdings, starb aber an allen diesen Wunden erst nach mehrern Stunden.

Der Lämmergeier der Alten steht dem Condor an Größe nur wenig nach, ja kommt ihm vielleicht gleich und hält sich eben so wie dieser in den großen Gebirgsketten auf. So wie der Condor der große Geier der neuen Welt ist, so thront dieser Adlergeier auf den unzugänglichen Felsenspitzen des alten Continents. Auf den Schweizer- und deutschen Alpen von Piemont bis Dalmatien, in den Pyrenäen, auf den Gebirgen Ghilan’s und Sibiriens, Aegyptens und Abyssiniens sitzt dieser, der größte der europäischen Raubvögel, auf Beute lauernd. Seine Klauen sind zum Raube noch besser geschaffen, als die Nägel des Condor. Deshalb sucht er sich auch gewöhnlich eine lebendige Beute und stößt auf Lämmer und andere Thiere von dieser Größe herab. Die Geschichten, die man sich erzählt, daß er zuweilen sogar Kinder in seinen Klauen fortgetragen habe, haben einen viel größern Anstrich von Wahrscheinlichkeit, als wenn man sie von dem Condor erzählt, dessen Fuß verhältnißmäßig schwach ist. Der Lämmergeier begnügt sich mit todter Beute nur dann, wenn keine bessere zu haben ist, und Bruce erzählt von der Hartnäckigkeit und Keckheit dieses Thieres ein Beispiel, welches wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu dürfen glauben:

„Auf der höchsten Spitze des Berges Lamalmon,“ erzahlt dieser Reisender, „während meine Diener sich von dem beschwerlichen Marsche erholten, sich an der köstlichen Luft labten und ihre Mahlzeit verzehrten, welche aus so eben gekochtem Ziegenfleisch in mehrern großen Schüsseln bestand, kam plötzlich ein großer Adler zum Vorschein. Er schoß nicht, wie diese Thiere sonst zu thun pflegen, rasch aus der Höhe herab, sondern kam langsam längs des Bodens hergeflogen und setzte sich innerhalb des Kreises, den die Männer bildeten, dicht neben das Fleisch. Das laute Geschrei meiner Diener rief mich zur Stelle. Ich sah den Adler eine Minute lang still stehen, als ob er sich besönne, während die Diener nach ihren Lanzen eilten. Ich ging so nahe hinzu, als mir die Zeit gestattete. Seine Aufmerksamkeit war ausschließlich von dem Fleische in Anspruch genommen. Ich sah, wie er mit der Klaue in eine der Schüsseln fuhr, in welcher ein großes Stück Fleisch in der noch fast siedend heißen Brühe schwamm. Der unerwartete Schmerz bewog ihn, die Klaue schnell wieder zurückzuziehen und sich nach einer andern Beute umzusehen.

„Ein wenig seitwärts lagen auf einem hölzernen Teller zwei andere Stücken Fleisch. In diese hieb er beide Klauen und trug sie fort, warf dabei aber, wie mir schien, noch einen sehnsüchtigen Blick auf das größere Stück, welches in der heißen Brühe lag. Er flog langsam über den Boden hin fort, wie er gekommen war und verschwand um eine Ecke des Felsens. Die Muhamedaner, welche die Esel trieben, versicherten mir, daß er wiederkommen werde, worüber sich meine Diener, die so eben einen für sie sehr empfindlichen Verlust durch ihn erlitten, eben nicht zu freuen schienen.

„Da ich für meine Person den Wunsch empfand, genauere Bekanntschaft mit ihm zu machen, so lud ich meine Büchse mit Kugel, und setzte mich dicht neben die Schüssel mit dem Fleisch. Auch dauerte es nicht lange, so kam er wieder zum Vorschein, und das laute Geschrei meiner Begleiter: „Er kommt! er kommt!“ wäre wohl hinreichend gewesen, ein weniger muthiges Thier zu verscheuchen. Ob er nicht mehr so hungrig war, wie zuerst oder ob ihm meine Erscheinung verdächtig vorkam, weiß ich natürlich nicht, aber er machte eine kleine Schwenkung und setzte sich ungefähr zehn Schritt von mir nieder, so daß die Fleischschüssel zwischen ihm und mir in der Mitte stand. Da die Schußlinie vor mir frei war und ich nicht wissen konnte, ob er sich nicht in der nächsten Minute einem meiner Leute gegenüber setzen würde, in welchem Falle es ihm dann leicht hätte gelingen können, auch das noch übrige Fleisch fortzutragen, so legte ich an und schoß ihn mitten durch den Leib, ungefähr zwei Zoll unter dem Flügel. Er stürzte sofort und verendete binnen wenigen Augenblicken, ohne ein Glied zu zucken. Er maß von einer Flügelspitze bis zur andern acht Fuß vier Zoll, von der Spitze des Schwanzes bis zur Schnabelspitze vier Fuß sieben Zoll; sein Gewicht betrug zweiundzwanzig Pfund und er war sehr feist und wohlgenährt.“

Das Condorpärchen, von welchem wir hier erzählen, befand sich trotz seiner Gefangenschaft wohl und munter, und das Weibchen legte sogar in einem Zeitraume von drei Jahren sieben Eier, machte aber nie einen Versuch, eins davon auszubrüten.

Als wir eines Tages den zoologischen Garten besuchten, sahen wir die Condors mit einem frischgelegten weißen, drei oder vier Zoll langen Ei, welches auf dem nackten Boden ihres Käfigs lag. Von einem Neste irgend welcher Art war keine Spur vorhanden, und es lag etwas Wehmüthiges und doch auch zugleich Lächerliches in dem Ausdruck von Hoffnungslosigkeit, womit die beiden Aeltern das gelegte Ei betrachteten. Sie sahen erst das Ei und dann einander selbst an, als ob sie sagen wollten. „Was sollen wir nun, da wir es haben, damit anfangen?“ und die stumme Antwort ihrer betrübten Augen und niederhängenden Köpfe war augenscheinlich: „Nichts.“

Endlich machte man den Vorschlag, sobald das Condorweibchen wieder ein Ei lege, es einer Henne unterzulegen, was auch bald darauf geschah. Der Brütplatz war ein ein wenig über dem Fußboden erhöhter Käfig in einem der Vogelhäuer des Zoologischen Gartens. Die Henne unterzog sich ihrer Aufgabe mit der größten Ausdauer. Ein Tag nach dem andern und eine Woche nach der andern verging. Die gewöhnliche Zeit, zu welcher eine Henne sonst die Frucht ihres Brütens aus dem Eie hervorgehen sieht, war längst vorüber, aber die gute Pflegemutter harrte unverbrüchlich aus, bis endlich nach vierundfunfzig Tagen an einem schönen Junimorgen früh sechs Uhr der junge Condor die Wand seines Gefängnisses zu durchbrechen begann.

Der Prozeß des Auskriechens ging sehr langsam vor sich. Der junge Vogel kam erst nach siebenundzwanzig Stunden völlig aus dem Ei heraus und zwar nicht ohne Hülfe des Wärters, der es nothwendig fand, die Schale zu entfernen, weil das Häutchen um den jungen Vogel herum trocken geworden war.

So erblickte der erste in England ausgebrütete Condor das Licht dieser besten Welt. Er war nackt und sah dunkelgrau aus; Rücken und Seiten waren mit schmutzig-weißem Flaum bedeckt. Am Abend des Tages, an welchem er ausgekrochen, fraß er ein Stück von der Leber eines jungen Kaninchens. Mit diesem Futter, welches er sehr gern zu genießen schien, fuhr man fort, und man hatte gegründete Hoffnung, ihn am Leben erhalten zu sehen, als er leider am Morgen des einundzwanzigsten Tages nach seiner Ausbrütung todt im Käfig gefunden ward. Die gute Henne, welche gegen ihr Pflegekind bis zum letzten Augenblicke sehr aufmerksam gewesen war, schien es sehr zu vermissen. Das Geschrei des jungen Condors glich dem Quieken einer Ratte, deren es um die Wohnung der Henne und ihres Pfleglings herum sehr viele gab. Zuweilen quiekten sie und dann näherte sich die nun vereinsamte Pflegemutter dem Loche, aus welchem das Quieken sich vernehmen ließ, horchte und blieb eine Zeit lang gluckend stehen, als ob sie erwartete, ihr Pflegekind hervorkommen zu sehen.




Blätter und Blüthen.

Hoffmann von Fallersleben in Weimar brachte neulich einen Toast auf Lessing aus, dessen Schlußworte lauten:

 Dank Dir!
Der Du unter den erhabenen Längstbegrabenen
Ein Meister den Kranz gezeigt den Meistern
Und die Pfade gebahnt hast unseren Geistern!
 Du,
Der Kunsterscheinungen Kenner und Richter,
Der Wissensmeinungen Prüfer und Sichter,
Des Regelzwanges kühner Vernichter,
Im Kampf ein Sieger, beim Streit ein Schlichter,
Du Schrecken aller Perückengesichter,
Du Geißel für alle Dichterwichter
Und alles Philistergelichter,
Du, das Licht der Dichter!
Der Dummheit Aechter,
Der Wahrheit Verfechter,
Der Schönheit Wächter!
Dein sei in Lieb und Dankbarkeit
Heute gedacht und allezeit!
 Lessing hoch!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_099.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2023)