Seite:Die Gartenlaube (1855) 088.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Walde ausmündete. Die Sonne war untergegangen und die Dämmerung begann ihr geheimnißvolles Netz über die Gegend auszuspannen. Dies mochte vielleicht die einsame Wanderin zu größerer Eile anspornen, obgleich ihr Anzug mehr auf einen Spaziergang wie auf eine längere Reise deutete, und man daher berechtigt war, hieraus den Schluß zu ziehen, daß sie in dieser Gegend keine Fremde sei. Dem äußeren Anscheine nach stand sie in dem blühenden Alter von achtzehn bis neunzehn Jahren, aber in ihrer ganzen Erscheinung lag eine so überraschende Lieblichkeit, daß wir den Leser um Nachsicht bitten, wenn wir auch hier bei einer näheren Schilderung einige Augenblicke verweilen.

Das junge Mädchen war von mittlerer Gestalt, aber dabei so proportionirt gebaut, daß selbst der strengste Kunstrichter sich vergebens bemüht haben würde, einen Fehler zu entdecken. Dabei hatte die Natur diesem schlanken, im schönsten Ebenmaß emporschießenden Körper mit einer Weiche und einer zarten Fülle ausgestattet, die bei jeder Bewegung desselben in überraschender Weise hervortrat. Ein schöner, feingeformter Kopf ruhte auf einem blendend weißen, etwas gebogenen Halse, über demselben bildete ein Netz des schönsten kastanienbraunen Haares die Einfassung zu einer schmalen, etwas hervorstehenden Stirn, unter welcher ein Paar große braune Augen auftauchten, deren sanfte Strahlen sich in den weichen Linien eines Kinnes verloren, über welchem ein kleiner Mund mit runden, feingeschnittenen Lippen sichtbar wurde. Ihre Kleidung war einfach, aber äußerst reinlich und nach den Regeln der Mode nicht ohne Geschmack gewählt; ein weißer Strohhut verhüllte theilweise die jugendlichen Züge des eben beschriebenen lieblichen Gesichts.

Wir haben vorhin bemerkt, daß das junge Mädchen eilig voranschritt. Allein nicht blos der hereinbrechende Abend, sondern auch noch ein anderer Grund mußte sie hierzu veranlassen.

Während sie ihren Weg verfolgte, schlug sie oft ihre großen schönen Augen empor und ließ sie mit sichtbarer Unruhe nach dem Hause schweifen, welches aus der Mitte des vor ihr liegenden Waldes auftauchte. Mitunter färbte auch ein leises Roth Stirn und Wangen, dann legte sie die kleine weiße Hand beschwichtigend auf’s Herz und versuchte, obwohl vergeblich, eine innere Aufregung zu bemeistern, die sich von Zeit zu Zeit bei ihr kund gab.

Sie hatte jetzt einen Hohlweg erreicht und wollte eben das Innere desselben betreten, als sie plötzlich mit allen Zeichen des Schreckens inne hielt und starr nach dem entgegengesetzen Endes desselben blickte. Es war sichtbar, daß sie überlegte, ob sie weiter gehen oder umkehren sollte. Indem sie noch hierüber in Zweifeln sich bewegte, näherte sich ihr im Halbdunkel eine männliche Gestalt, die allem Anschein nach sie hier erwartet zu haben schien. Bei der Enge der Straße konnte jetzt, wo das junge Mädchen sich endlich doch zu Fortsetzung ihres Weges entschlossen hatte, von einem Ausweichen um so weniger die Rede sein, da der neue Ankömmling fast die ganze Breite desselben einnahm. Dies war wohl auch die Ursache, weshalb die einsame Wanderin, als sie sich dem Letzteren bis auf wenige Schritte genähert hatte, aus Verlegenheit einen Augenblick stehen blieb. Zwei Augen, in welchen sich eine Begehrlichkeit abspiegelte, welche die rosigen Wangen des jungen Mädchens erbleichen ließen, leuchteten ihr entgegen.

„Fräulein Marie, schönste Blume unserer Berge,“ sagte eine wohlbekannte Stimme, „so hat das Glück mich doch ein Mal begünstigt und mir die Gelegenheit geboten, Ihnen meine Huldigungen ohne Zeugen darzubringen.“ –

„Ich weiß eine solche Höflichkeit zu schätzen und spreche Ihnen hierfür meinen Dank aus, Herr Julius,“ entgegnete diese mit einer kurzen, ernsten Verbeugung, indem sie ihren Weg fortzusetzen suchte. –

„O immer und immer dieses Sprödethun!“ fuhr Julius, ihr den Weg vertretend und sie mit einem äußerst freien Blick messend, fort. „Was veranlaßt Sie, liebliches Wesen, der feurigen Gluth eines von Ihren Reizen entflammten Herzens ewig nur diese stolze Kälte entgegen zu setzen?“

„Herr Julius, es ist weder der Ort noch die Zeit, Ihnen hierüber eine Antwort zu geben. Ich ersuche Sie, mir den Weg zum Durchgange zu öffnen.“

„Nein,“ sagte dieser in einem etwas trotzigen Tone, „nicht eher, bis ich Ihren Hochmuth besiegt habe. Ich gebe die Hoffnung hierzu nicht auf!“

„O ich bin ja nicht hochmüthig,“ erwiederte Marie mit einer solchen Weiche und Kindlichkeit im Ausdruck ihrer Stimme, daß die Unschuld eines reinen, frommen Gemüthes sich unzweideutig darin abspiegelte, „und wenn ich Sie bitte, mich ruhig weiter ziehen zu lassen, so geschieht es allein deshalb, weil es sich für ein junges Mädchen nicht paßt, hier in dieser abgelegenen Gegend im Zwielicht in der Gesellschaft eines Mannes zu verweilen, der –“

Hier stockte das liebliche Kind und erröthete tief, indem sie das schöne von Angst erfüllte Auge verlegen zu Boden schlug.

„Nun vollenden Sie nur, holdes Waldblümchen. Sie wollen sagen: eines Mannes, der Ihrem Geschlechte gegenüber in keinem besonderen Rufe steht.“

Marie hob den schönen Kopf stolz in die Höhe und sagte:

„Wozu ein Gespräch weiter fortführen, zu welchem Sie mich gezwungen haben und von dem ich wünschte, daß dessen weiterer Inhalt mir fremd bleiben mag. Noch ein Mal also: Wenn Sie ein Mann von Anstand und Sitte sind, so lassen Sie mich ruhig meines Weges ziehen, Herr Julius.“

„Nein!“ entgegnete dieser, dem geängstigten Mädchen ungestüm einen Schritt näher tretend. „So läßt sich ein Mann, der die Welt und ihr Geschlecht kennen gelernt hat, nicht abweisen. Ich bin reich und gegen Diejenigen, welche ich liebe, freigebig! Erwidern Sie meine Neigung und es soll Ihnen an nichts fehlen, was Ihnen das Leben angenehm machen kann.“

Edle und reine, aber von Natur schüchterne Gemüther erhalten in der Regel ihre Energie dann wieder, wenn auf rohe und gemeine Weise der Versuch gemacht wird, das Bollwerk erhabener Grundsätze zu zertrümmern, welches sie in ihrem Herzen gegen das Laster und die Frivolität errichteten. So war es auch jetzt mit Marie. Eine hohe Röthe des Unwillens übergoß ihr schönes Gesicht und zwei jener zuckenden Blitze, womit sich die Unschuld ihren Verfolgern gegenüber in den Augenblicken der Gefahr nicht selten so trefflich zu wappnen versteht, trafen aus ihren sonst so mild leuchtenden Augen den dreisten Antragsteller.

„Ich bin nur ein schwaches Mädchen,“ sagte das holde Kind mit einer vor innerer Entrüstung erbebenden Stimme, „und kann mich nicht wie ein Mann für die empfangenen Beleidigungen rächen, aber dennoch habe ich den Muth, Ihnen zu sagen, daß Ihr Benehmen ein völlig schamloses ist, welches in der tiefsten Verachtung seine gerechte Würdigung findet.“

„Schön,“ erwiederte Julius, „Ihre Worte entheben mich der Mühe, noch ferner eine Maske zu tragen, die ohnedem lästig ist. Hören Sie also, stolzes, aber um so reizenderes Kind: Sie haben in meinem Herzen eine Gluth entzündet, die ich nicht mehr zu bewältigen vermag. Ihr Besitz ist das Ziel, nach welchem ich strebe und dieses Ziel, glauben Sie es mir, werde ich erreichen, sei es im Guten, sei es im Bösen, sei es auf friedlichem, sei es auf gewaltsamem Wege.“

„Fürchten Sie den Zorn meines Vaters!“

„O Ihr Vater!“ lachte Julius mit dem kalten Hohne eines Teufels, „Ihr Vater! – möge er sich nur hüten, das Ungewitter herauf zu beschwören, was über seinem Haupte schwebt! – Ein königlicher Förster in der jetzigen Zeit, wo das Gesetz von der Faust seiner Feinde gehandhabt wird! – Glauben Sie denn nicht, daß alle jene Leute, welche in’s Gefängniß wandern mußten, weil sie sich einige Stückchen Holz aus dem großen, weiten Forste holten, oder weil sie sich die Freiheit nahmen, einen Rehbock zu tödten, Rache gegen den Mann im Herzen tragen, welcher sie dem Gesetze überlieferte, und den sie als ihren natürlichen Feind betrachteten? – Nun, sind diese Hinweisungen nicht im Stande, Ihren Stolz und Ihre Sprödigkeit etwas zu beugen?“

„Aber mein Vater,“ sagte Marie, indem bei dem Gedanken an die Gefahr, welche demselben drohte, ihr Gesicht erbleichte, „mein Vater erfüllte nur die Pflicht seines Amtes und hat den wahrhaft Armen und Unglücklichen niemals verfolgt.“

„Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß ich eine Waffe gegen den Zorn Ihres Vaters besitze,“ sagte beschwichtigend Julius. „Noch ein Mal, Marie, erwiedern Sie meine Neigung und dem alten Manne soll kein Haar gekrümmt werden.“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_088.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)