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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

das feinere Tuch und die sorgfältigere Wahl ihrer Wäsche, so wie der Schoppen Wein, welchen jeder vor sich stehen hatte, darauf hin, daß sich ihre äußere Lage weit über die des gewöhnlichen Landmanns erhebe und diese sie berechtige, sich zu den Honorationen des Ortes zu zählen. Auch führten sie fast allein die Unterhaltung, und die Aufmerksamkeit, mit welcher die übrigen Anwesenden ihren Worten lauschten, bewieß hinlänglich, daß Niemand zugegen war, welcher Lust gezeigt hätte, ihnen ihre Ueberlegenheit streitig zu machen.

„Dies Glas auf ein freies, unabhängiges Deutschland und auf unseren wackeren Deputirten auf der Linken," sagte der Jüngste von Beiden, ein junger Mann von etwa 28 Jahren, dessen sorgfältig gescheiteltes Haar und zierlich gefaltete Halskrause den Stutzer verriethen, – „was meinen Sie, Herr Julius, sollte eine rothe Schärpe nicht gut stehen und das Wort „republikanisch“ in den Ohren der Leute nicht eben so wohl wie „königlich“ klingen?“

Der Andere, einige Jahre älter und ein Mann von breiten Schultern mit röthlichem Haar und einem kalten, herzlosen Blick, lehnte sich bequem in den Sessel zurück und sagte, indem er langsam sein Glas ausschlürfte, nicht ohne einen Anflug von Ironie:

„Nun, auf das Wohl des künftigen Bürgermeisters, wenn die Sache des Volkes siegt, Herr Gemeindeschreiber, dem Verdienst seine Krone! –

„Das gefällt mir, Herr Julius,“ sagte der Andere mit einem Lächeln des Wohlbehagens, „daß Sie meine Anhänglichkeit für die Sache des Volkes zu würdigen wissen, obgleich ich Ihnen versichern kann, daß mich dabei ganz uneigennützige Gründe leiten und ich nicht nach Amt und Würden strebe. Sollte indessen der dringende Wunsch meiner Mitbürger mich zu einem solchen Ehrenposten brauchen, so stelle ich nicht in Abrede, daß –“

„Daß Sie dem öffentlichen Wohle dies Opfer bringen werden, Freund Eduard. – Nun, das ist eine Antwort, womit Jeder zufrieden sein kann. Also auf eine hoffnungsreiche Zukunft und – “

Hier brach der Redner plötzlich ab und ließ seinen Blick über den vor ihm liegenden Thalgrund streifen.

„Teufel! Freund Eduard, da schleicht der Fremde schon wieder dem Forsthause zu. – Haben Sie Acht, der führt Etwas im Schilde, und ehe wir es uns versehen, wird das Waldblümchen von unbekannter Hand gebrochen sein, während wir Einheimische doch das nächste Recht dazu haben.“

Der Gemeindeschreiber hatte sich erhoben und schaute gleichfalls aufmerksam durch’s Fenster. Unten im Thal bewegte sich in der That eine jugendliche Gestalt rüstig am Rande des dasselbe durchschneidenden Baches fort und verschwand bald darauf am Eingange des vorerwähnten Waldes.

„Ja,“ sagte er, „das ist Herr Müller, der hier nun schon seit sechs Wochen seine Zeit verträumt – ein Maler, der, wie es solche Leute zu machen pflegen, in den Bergen umherstreift, um seine Mappe zu füllen. – Aber, Herr Julius, wenn Sie glauben, daß er dem Waldblümchen gefährlich werden könnte, so sind Sie in einem großen Irrthum befangen, denn da uns das Gespräch einmal auf dieses Thema geführt hat, so glaube ich Ihnen versichern zu dürfen, daß die Neigungen von Fräulein Marie sich nach einer ganz andern Seite hinwenden.“

„Sie machen mich ganz neugierig,“ sagte der Andere mit dem bereits bemerkten Anfluge von Ironie, „so ein Wunderblümchen findet man nicht auf jedem Wege, und es wäre doch sonderbar, wenn –“

„Nun, was denn? – Ich sage Ihnen, nicht Jeder versteht es, die Herzen der Frauen zu fesseln, aber sollten wir bis zur Republik gelangen und das Vertrauen meiner Mitbürger mich alsdann zum Bürgermeister erheben, so werden Sie Etwas erleben.“

„Wenn’s nur keine Blamage ist, Freund Eduard.“

„Sprechen Sie was Sie wollen, aber ich sage Ihnen, man fürchtet weder die herumstreifenden Maler noch andere auf Abenteuer ausgehende Herren,“ sagte der Gemeindeschreiber, sich in die Brust werfend und seinem Gesellschafter einen Blick der Siegesgewißheit zuwerfend.

Der Andere erwiederte nichts, sondern schaute lächelnd in sein halbgefülltes Glas. In diesem Lächeln drückte sich theils Spott über die Ruhmredigkeit seines Gesellschafters aus, theils verrieth es die listige Ueberlegenheit eines Mannes, der in seinem Innern ganz andere Pläne barg, als seine leicht hingeworfenen Worte verriethen.

Der Gemeindeschreiber hingegen, welcher eben kein großer Physiognom war, hielt dieses Schweigen für eine unmittelbare Wirkung seiner Worte und dieses Lächeln für den Ausdruck der bei seinem Gefährten hervorgerufenen Verlegenheit.

Da der Gegenstand, um den es sich handelte, ein solcher war, der seine Eitelkeit und sein Herz gleich stark berührte, so beschloß er, die über seien Gegner vermeintlich errungenen Vortheile durch einige weitere Bemerkungen möglichst zu vervollständigen. Zu dem Ende warf er sich bequem in den Sessel zurück, legte den Kopf in den Nacken und sagte mit einem an Siegesgewißheit grenzenden Tone:

„Sie zweifeln also, Herr Julius, in der That noch immer an Fräulein Marien’s Neigung zu einer gewissen Persönlichkeit? – O, ich könnte Ihnen hierfür schlagende Beweise liefern, z. B. wie auf einem bekannten Herren, welcher sich jetzt die Ehre giebt, Ihnen dies Glas zuzutrinken, erst noch gestern beim Kirchgange zwei wohlbekannte braune Augen mit besonderem Wohlgefallen ruhten.“

„Ha, ha! Freund Eduard, Sie bleiben doch ein Narr Ihr lebenlang! – Haben Sie denn nicht bemerkt, daß diese wohlbekannten braunen Augen, wie Sie sich sinnreich auszudrücken belieben, an Ihnen vorüberstreiften und sich auf eine ganz andere Person hefteten – auf den Fremden nämlich, welcher soeben hier im Wiesengrunde an uns vorüber schritt?“

„Wenn man nicht wüßte, daß der Neid aus Ihnen spräche, so sollte man es fast glauben,“ sagte der Gemeindeschreiber, mit der Miene eines Mannes, der sich so leicht nicht aus dem Sattel heben läßt; – „gehen Sie, Sie mögen ein recht guter Rechnenmeister sein, wenn es darauf ankommt, Ihre Renten einzukassiren, aber was die Liebe betrifft, so gehören ganz besondere Anlagen dazu, um mit Erfolg zu speculiren, und das Herz eines jungen Mädchens ist kein Geldsack, welchen man nach Belieben ausschütten kann.“

„Und doch ist das Geld der Hebel, welcher die Menschen in Bewegung setzt. Haben Sie Geld, Freund Eduard, so besitzen Sie die Mittel, selbst der Stolzesten und Sprödesten gegenüber zum Ziele zu gelangen.“

Wäre der Gemeindeschreiber ein Mann von nur einiger Weltkenntniß gewesen, so würde ihm der sonderbare Blick, welcher diese Worte begleitete, nicht entgangen sein. Allein Eitle denken nur an sich, und es ist nichts leichter als diese Klasse von Menschen zu täuschen. Es entging ihm daher auch jetzt, daß die sonst glanzlosen Augen seines Gesellschafters in sonderbarer Gluth aufloderten und die scharfe und entschiedene Betonung seiner Worte auf einen Entschluß hindeuteten, der in der der innersten Tiefe seines Herzens zur Reife gekommen war. Einem Mann, wie Julius, dessen Handlungen die kälteste Ueberlegung leitete, mußte das Preisgeben selbst der kleinsten Blöße offenbar unangenehm sein. Er schien auch jetzt zu fühlen, daß er vielleicht Jemand Gelegenheit gegeben hatte, einen Blick in sein Inneres zu werfen, den er vielleicht gerade am Wenigsten damit vertraut zu machen wünschte, und er suchte deshalbe durch eine geschickte Wendung den Fehler zu verbessern.

Er erhob sich nämlich schnell, leerte sein Glas, reichte dem Gemeindeschreiber die Hand und sagte im Tone der Gutmüthigkeit:

„Wir plaudern und plaudern, während andere Leute schon am Mittagstisch sitzen. Also, Freund Eduard, auf Wiedersehen! Sie nehmen heute das Bewußtsein mit sich, als Sieger den Kampfplatz behauptet zu haben.“

Diese Worte, aus dem Munde eines im Orte sonst als stolz bekannten Mannes, hätten gewiß den eitlen Schwätzer beruhigt, wenn irgend ein Verdacht bei ihm aufgestiegen gewesen wäre. Aber dies war nicht der Fall. Er dachte sogar nicht einmal mehr an seinen Freund Julius, sondern seine Gedanken weilten bei dem Fremden, welcher ihm doch schließlich mehr Besorgnisse einflößte, als er anfänglich einzugestehen Willens gewesen war.

Indem er sein Glas leerte und die „Schöne Aussicht“ ebenfalls verließ, beschloß er, es sich als nächste Aufgabe zu stellen, über die näheren Verhältnisse des Malers Erkundigungen einzuziehen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_086.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)